Bilanz der IAA-Proteste: Alle sprechen von Erfolg
Aktivist*innen, Industrie und Polizei ziehen positive Bilanz rund um die „Mobilitätsmesse“. Was das bedeutet, sehen sie unterschiedlich.
Seit Mittwoch hatten Protestierende in München für Furore gesorgt. Mehrere linke Bündnisse hatten bundesweit gegen die Autoindustrie mobilisiert. Auch wenn letztlich weniger Menschen anreisten, als die Veranstalter*innen erwartet hatten, waren am Samstag immerhin 20.000 Aktivist*innen aus dem Münchner Umland bei einer Großdemonstration und einer Fahrradsternfahrt dabei. Am Freitag gelang es einigen, ein Haus in der Innenstadt zu besetzen; an drei Stellen stürmten andere die Ausstellungsflächen in der Innenstadt und verursachten stundenlanges Verkehrschaos auf Autobahnen. Die Polizei reagierte aggressiv, die Medienberichte über die IAA prägten Schlagzeilen wie „Protest und Schlagstöcke gegen Autogegner“.
Am Sonntagvormittag traten die Sprecher*innen der Blockade-Bündnisse auf dem Mobilitätswende-Camp zum letzten Mal vor Journalist*innen. „Die Polizei ist aktiv und präventiv gegen jeden Protest vorgegangen“, sagte die Camp-Sprecherin Elena Balthesen. Dabei seien Aktivist*innen verletzt worden, mindestens zwei mussten ins Krankenhaus. Sowohl an Bahnhöfen, als auch überall in der Stadt kam es zu den Kontrollen.
Besonders hart traf es Mathilda F. (Name geändert). Am Freitag hatte die 18-Jährige, die im Handwerk tätig ist, versucht, vor dem besetzten Haus auf einen Baum zu klettern. Polizist*innen rissen sie herunter. Sie stürzte aus zwei Metern Höhe und schlug mit Kopf und Rücken auf. An den Sturz könne sie sich nicht erinnern, an den Moment danach sehr wohl: „Es war ein absolutes Gefühl der Hilflosigkeit“, sagt F.
Der Vorwurf: Körperverletzung
Anstatt erste Hilfe zu leisten, trugen Polizist*innen die Klettererin weg und nahmen sie in Gewahrsam. Die Sprecherin der Demosanitäter*innen, Fenja B. (Name geändert), hält das für unverantwortlich: F. habe über Schmerzen im Hals und der Brustwirbelsäule geklagt und unter Amnesie gelitten – ein Anzeichen für ein Schädel-Hirn-Trauma. „Laut den Leitlinien des Rettungsdienstes darf eine Person mit diesen Symptomen nicht bewegt werden“, so B., sonst bestehe die Gefahr einer Wirbelfraktur, einer irreversiblen Lähmung und auch eines Ausfalls der Atemsysteme.
Der Anwalt Milan Martín, der F. vertritt, wertet das Vorgehen der Beamt*innen als Körperverletzung im Amt. Die Maßnahme sei an Rechtswidrigkeit nicht zu überbieten. Der Rettungsdienst habe die Verletzte erst transportieren dürfen, nachdem sie ihre Personalien angegeben hatte. „Nötigung“, so Martín. Zwei Personen, die erste Hilfe leisteten, werde versuchte Gefangenenbefreiung vorgeworfen. Rückblickend auf die Aktionstage spricht er von einer „systematischen Beschränkung der Freiheitsgrundrechte“.
Der Vorwurf: Behinderung der Pressearbeit
Neben den Aktivist*innen gerieten auch Journalist*innen ins Visier der Behörden. Der Vorsitzende der deutschen Journalist*innen Union Berlin-Brandenburg, Jörg Reichel, zählt neun tätliche Angriffe und sechs Behinderungen der Pressearbeit, darunter Ingewahrsamnahmen und Durchsuchungen. Der freie Fotograf Iván Furlan Cano bekam auf der Großdemonstration am Samstag gezielt von zwei Seiten Pfefferspray ab, wie ein Video zeigt. Auch zu hören ist, wie ein Polizist sagt: „Scheißfotowichser“. Die Grünen im Bayerischen Landtag forderten am Sonntag eine umfassende Aufklärung der Ereignisse und reichten mehrere Parlamentsanfragen zum Polizeieinsatz ein.
Der Pressebericht der Polizei München klingt anders. Die Behörde ist mit ihrem Einsatz „hochzufrieden“, sagte Polizeivizepräsident Michael Dibowski am Sonntag. Auch der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) wertete die Messe als Erfolg. 400.000 Besucher*innen hätten „eine deutliche Abstimmung mit den Füßen“ vorgenommen, sagte die VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Das Konzept, auch die Innenstadt als Ausstellungsfläche zu nutzen, sei gut angenommen worden. Dass große Autokonzerne wie Toyota, General Motors oder die Opel-Mutter Stellantis der Messe ferngeblieben waren, schob Müller der Pandemie zu.
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