Bibliotheken in Berlin: Schmökern statt shoppen
Seit Jahren ringt Berlin um einen neuen Standort für seine Zentral- und Landesbibliothek. Nun gibt es einen neuen Vorschlag: die Galeries Lafayette.
Mit Chialos Vorschlag ist die ZLB also mit einem Donnerschlag zurück im Gespräch. Und das ist auch sinnvoll, denn je größer und bunter Berlin wird, desto mehr Menschen zieht es anders als noch vor wenigen Jahren erwartet in die Bibliotheken. Die Bibliotheken verwandeln sich, wie Expert*innen es formulieren, zunehmend zu sogenannten dritten Orten, also für Kinder aus armen Familien beispielsweise, die nachmittags nicht wissen, wohin; für Migrant*innen, die hier ihre Tage verbringen, weil sie nicht arbeiten dürfen; für alte Leute, die sich hier das neue Handy erklären lassen können.
Andere europäische Städte haben das längst erkannt und reagiert: Die 2018 eröffnete Bibliothek Oodi in Helsinki bietet Medienräume, einen Saal mit intelligenten Wänden und sogar eine Sauna. In der 2020 fertiggestellten Deichman-Bibliothek in Oslo können Besucher*innen Computerspiele spielen, im Minikino Filme gucken, es gibt ein Tonstudio, Nähmaschinen, 3-D-Drucker und diverse Werkzeuge zum kostenfreien Gebrauch. Bibliotheken sind längst weit mehr als staubige Bücherkisten, wo Menschen wegen lauten Benehmens angerüffelt werden und sich am Ende vielleicht trotzdem ein, zwei Bücher ausborgen dürfen.
Aus ungewöhnlicher Richtung
Die Idee Joe Chialos ist auch deshalb so erfrischend, weil sie aus ungewohnter Richtung kommt. Bibliotheken auch als Bollwerk für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu begreifen, als „Zeichen des Aufbruchs“, wie Chialo es formuliert? Schmökern den Vorrang vor Shopping zu geben und Umnutzung den nachhaltigeren Vorrang vor Neubau? Die ohnehin sterbende Friedrichstraße, die in letzter Zeit nur noch als ideologische Kampfzone für den Wahlkampf in Sachen Verkehrswende und Vollbremsung derselben missbraucht wurde, durch eine Bibliothek zu beleben?
Dazu passt hervorragend, dass die ZLB in einer Pressemitteilung ein computeranimiertes Foto der Galeries Lafayette als Bibliothek zeigt, auf der die Friedrichstraße wieder als Hölle für die Autofahrer*innen dieser Stadt, genauer gesagt als Fußgängerzone erscheint. All das sind Ansätze, wie sie bislang eher aus den Reihen fortschrittlicher Grüner oder Linker in dieser Stadt zu hören waren.
Es ist also kaum verwunderlich, dass sich auch der Generaldirektor der ZLB, Volker Heller, begeistert zeigt, indem er von „einer Jahrhundertchance für Berlin“ spricht. „Wir finden die Idee toll und wir glauben auch, dass das geht“, so Pressesprecherin Anna Jacobi zur taz. „Das Gebäude ist wunderbar, genau so, wie man Bibliotheken heute baut, kompakt und trotzdem durchsichtig, groß genug und sehr glamourös – und das nur zwei Kilometer nördlich von unserem Hauptstandort entfernt.“ Noch dazu wäre der Standort super an den ÖPNV angeschlossen: Man erreicht ihn in sieben Minuten zu Fuß vom S-Bahnhof Friedrichstraße und in drei Minuten zu Fuß vom U-Bahnhof Unter den Linden (U5 und U6).
Es wäre sogar groß genug
Hinzu kommt: Das Gebäude verfügt über vier Unter- und sieben Obergeschosse mit einer Fläche von insgesamt 35.000 Quadratmetern. Lediglich die Außenmagazine der ZLB, derzeit im Westhafen, müssten weiter betrieben werden. Und das Beste: Die Nutzung des Bestandsgebäudes in der Friedrichstraße wäre nach kurzem Umbau bereits ab 2026 möglich. Die zähe und jahrelange Diskussion um die ZLB in Berlin – mal sollte sie aufs Tempelhofer Feld, dann ans Marx-Engels-Forum, mal ins Humboldt Forum oder ins ICC –, sie hätte sich endlich erledigt.
Im Grunde bleibt also nur ein einziger, dafür aber gewaltiger Haken: Laut einer Aussage eines Presssprechers in der Kulturverwaltung haben die Gespräche mit dem Eigentümer des Q270 in der Friedrichstraße, dem US-Investor Tishman-Speyer-Properties, gerade erst begonnen, man erwäge erst noch die „Möglichkeiten der Realisierung“.
Darum zeigt sich auch die Opposition eher vorsichtig optimistisch. „Bibliotheken sind heute multifunktionale Aufenthaltsorte und ob man die in einem Kaufhaus realisieren kann, bleibt für mich eine offene Frage“, so Laura Neugebauer, Sprecherin für Wissenschaft, Forschung und außerschulische Bildung der Grünen. „Die Lösung wäre zwar fantastisch“, so die kulturpolitische Sprecherin der Linken, Manuela Schmidt. „Wir fürchten aber, dass sich der Eigentümer nur für Maximalrendite auf so etwas einlassen könnte.“
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