Bibeldialog auf dem Kirchentag: Als Abraham zum Messer griff

Katrin Göring-Eckardt, Dunja Hayali und Anja Reschke legen dieselbe Bibelstelle aus. Jede versteht sie anders.

Die Journalistin Anja Reschke und Kirchentagspraesident Hans Leyendecker auf dem Kirchentag

Skeptische Blicke: Anja Reschke ist auf dem Kirchentag anderer Meinung als Hans Leyendecker Foto: imago-images/epd

Ganz wie Greta

In einer alten Halle auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerkes steht Sören Böcker, über seinem Hemd liegt ein Ringhalstuch. Der junge Pfadfinder findet, dass die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg etwas mit Jesus gemein habe. Beide haben Leute um sich versammelt und wollten etwas bewegen. Eine Gleichsetzung der beiden gehe aber zu weit. Abraham stattdessen? „Ja, auf jeden Fall, das würde schon eher gehen.“

Die Frage ist naheliegend. In das Industriegebiet, in dem alle Räder still stehen, ist Böcker gekommen, um Katrin Göring-Eckardt anzusagen. Hunderte Gäste haben sich auf den Weg in den Dortmunder Süden gemacht, um der Bibelarbeit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden beizuwohnen. Ausgelegt wird eine Textstelle des ersten Buch Mose. Gott verlangt von Abraham, seinen geliebten Sohn Isaak zu opfern. Der „fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete“. Im letzten Moment interveniert Gott und sagt: Passt schon, Probe bestanden.

Eigentlich, findet Göring-Eckardt, sei das eine „Geschichte zum Davonlaufen“. Zugleich habe die Geschichte eine zentrale Botschaft: Gott wolle niemals Kinderopfer. „Ich bin hier“, sagt Abraham. Deshalb nennt Göring-Eckardt ihn den „Hörenden“. Was heißt es für heute, dass Isaak gerettet wurde? Auch beim Klimaschutz gehe es um die Rettung der Kinder. Auch Greta Thunberg sage „Ich bin hier“.

Wenn Greta Thunberg die moderne Version von Jesus – oder zumindest Abraham – ist, ist Göring-Eckardt ihre Predigerin. Alexander Nabert

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Typen, die nerven

Schwere Klänge des Posaunenchors lenken die Aufmerksamkeit auf die Bühne, bevor TV-Moderatorin Anja Reschke und Kirchentagspräsident Hans Leyendecker ans Podium treten.

Kirchentage unter evangelischen ChristInnen heißt: Ernst zu nehmen, was dort verhandelt, erörtert, begrübelt und was direkt zur Sprache gebracht wird.

In Dortmund stehen Themen wie Migration, Feminismus, Klima und Umwelt im Mittelpunkt. Typische taz-Themen also.

Deshalb begleiten wir den Kirchentag auch: vor Ort und mit vier täglichen Sonderseiten in der Zeitung. Die taz Panter Stiftung hat dafür 9 junge JournalistInnen ins Ruhrgebiet geschickt.

Reschke macht von Anfang an keinen Hehl aus ihrer kritischen Haltung, sie fragt: „Wo ist denn dieser Gott hin, den ich kenne aus den Gottesdiensten, der Gute, der Gütige? Also für mich tritt er da auf wie so ein autokratischer Despot.“ Außerdem kritisiert Reschke die devote Haltung Abrahams, der sich nicht gegen die „unmenschliche“ Forderung des Gottes wehrt, sondern brav seine Befehle befolgt. „Es sind genau diese Typen, wie Abraham, die mir im realen Leben manchmal wirklich auf die Nerven gehen: Die Ja-Sager, die Leise-Treter, die keine Haltung haben.“

Leyendecker entgegnet: „Es ist nicht so einfach.“ Er zitiert eine sehr spezielle Theorie von Woody Allen, in der Gott Abraham unterstellt, dass dieser keinen Sinn für Humor habe und daher seinen „Witz“, Isaak für ihn zu töten, wörtlich genommen habe.

Später bezieht Reschke die Bibel-Passage auf ihre eigene Geschichte. Nachdem sie sich im Jahr 2015 deutlich gegen Rassismus ausgesprochen hatte, wurde sie mit Hasskommentaren auf Social Media überschüttet. Die Opferrolle, die ihr in den Medien daraufhin zugetragen wurde, hänge ihr bis heute nach. Reschke fragt: „Bin ich also Isaak in der Geschichte?“

Zum Schluss betont Leyendecker: „Auch wenn uns vieles an diesem Text fremd bleibt, das sollten wir mitnehmen: Gottes Nein zu Menschenopfern.“ Samba Gueye

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Selbst befriedigen

Die Band spielt ihren ersten Ton, schon klatschen alle mit. Dann huscht die Moderatorin durchs Eisstadion der Westfalenhallen und haucht dem Sänger etwas ins Ohr. „Eine Anweisung von oben“, sagt er und lacht, es passt ja so himmlisch gut. Alle sind gebeten aufzustehen. Schwungvolles Hüftwackeln zur Einstimmung für die Bibelarbeit mit Dunja Hayali. Hayali möchte im Dialog bleiben, deshalb sollen viele Fragen des Publikums eingeworfen werden können.

Dass Abraham seinen Sohn opfern soll, kann Hayali nicht so richtig nachvollziehen. Wenn Gott eh wisse, dass Moses bald die Zehn Gebote ausrufen würde, wozu noch diese Prüfung? Offenbar muss Gott ein ziemlicher Narzisst sein, wenn er die Liebe Abrahams so sehr braucht, dass er diesen Beweis dafür fordert. Was wäre, wenn Abraham sich Gott verweigert hätte? Was wäre, wenn Abraham sich selbst umgebracht hätte, als Ausweg? Wann müssen wir uns verweigern? Als sie sagt, niemand dürfe in Gottes Namen töten, applaudiert das Publikum.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Für Hayali steht fest: Gottes Liebe, eigentlich alle Liebe, basiert auf Vertrauen. Wenn derartige Liebesbeweise gefordert werden, dann sind persönliche Grenzen gefragt. „Am Ende kann man Gott nicht befriedigen“, sagt sie. „Man kann nur sich selbst befriedigen.“ Hayali trifft Nerven, wenn sie von „Gesicht zeigen“ spricht und davon, dass es keine Kriminalisierung von Seenotrettern geben darf. Auch das Publikum ist davon überzeugt: dass es nicht ums Quatschen geht, sondern ums Handeln. Anna Kücking

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