Beziehungen zwischen Türkei und USA: Der Streit eskaliert
Seit der Festnahme eines US-Konsulatsmitarbeiters in der Türkei haben sich die Länder entzweit. Selbst ein Ausstieg der Türkei aus der Nato scheint möglich.
Das Neue
Am Montag wurde bekannt, dass die türkische Staatsanwaltschaft einen zweiten türkischen Mitarbeiter des US-Konsulats in Istanbul per Haftbefehl sucht. Der Mann weigert sich, das Konsulat zu verlassen. Daraufhin wurden seine Frau und seine Tochter festgenommen, am Dienstag sein Sohn. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnet das US-Konsulat in Istanbul als „Spionagenest“ und den US-Botschafter John Bass als Persona non grata. Die USA stellen sich hinter ihn. Schon nach der Festnahme des ersten türkischen Konsulatsmitarbeiters hatten sie die Vergabe von Visa an Türken ausgesetzt.
Der Kontext
Zwischen den USA und der Türkei gibt es schon länger Streit. Im Kampf gegen den IS in Syrien haben sich die USA mit der syrischen Kurdenmiliz YPG verbündet und liefern ihr auch Waffen. Die Türkei betrachtet die YPG als Partner der PKK und beschuldigt die USA, ihre größten Feinden indirekt mit Waffen zu versorgen, die sich auch gegen die Türkei richten könnten. Aufgrund dieses Streits versucht die Türkei in Syrien nun an den USA vorbei mit Russland und dem Iran eine syrische Nachkriegsordnung zu finden. Erdoğan hat kürzlich auch ein milliardenschweres Raketenabwehrsystem statt in den USA in Russland gekauft.
Noch schwerer wiegt ein weiterer Punkt: Erdoğan und sein innerer Kreis sind offenbar davon überzeugt, dass die USA zumindest indirekt am Putschversuch vom Juli letzten Jahres beteiligt waren. Die Weigerung der USA, den türkischen Sektenführer Fethullah Gülen, den die Regierung als Drahtzieher des Putsches sieht, auszuliefern, verstärkt diesen Eindruck. Gülen lebt seit Ende 1999 in den USA, 2013 wandelte er sich vom langjährigen Weggefährten zum erbitterten Gegner Erdoğans. Erdoğan lässt seitdem jeden verhaften, der zur Gülen-Bewegung gehören soll.
Der verhaftete türkische Konsularmitarbeiter Metin Topuz war seit rund 30 Jahren der Verbindungsmann der Amerikaner zur türkischen Polizei. Er kennt alle hohen Polizeioffiziere, natürlich auch die, die seit dem Putschversuch als angebliche Gülen-Leute verhaftet wurden. Die türkische Justiz wirft ihm vor, Topuz habe mit Unterstützung der US-Botschaft Gülen Leuten zu Flucht verholfen. Der US-Botschafter sagt, die türkische Justiz habe dafür keinerlei Beweise vorgelegt.
Die Reaktionen:
In der Financial Times schrieb der frühere stellvertretende US-Außenminister Philip Gordon, die Türkei sei zu einem normalen Nahoststaat geworden, der kein echter Verbündeter der USA mehr sei. Auch die regierungsnahe türkische Zeitung Yeni Şafak schrieb, die USA seien vom Verbündeten zum Feind geworden.
Die Konsequenz
Die politischen Gewichte in Nahen Osten werden sich weiter verschieben. Vor allem Russland profitiert davon. Die Beziehungen der Türkei zu den USA und der EU werden sich weiter verschlechtern – ein Ausstieg der Türkei aus der Nato ist nicht mehr auszuschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt