Bewertungen im Internet: Die Like-Me-Belästigung
Jedes Restaurant, jede Zahnärztin, jeder Frisör will bewertet werden. Eine Weile hat unser Kolumnist da mitgemacht – aber jetzt reicht’s!
A lles schmeckt nach Blut. Vom Unterkiefer spüre ich gleich gar nichts mehr. Da kreischt schon der Maileingang am Telefon. „Wir wollen uns stetig verbessern. Deshalb bitten wir Sie, Ihre heutige Erfahrung zu bewerten.“ Zwei Stunden lang wurden mir Schmerzen zugefügt, ein vierstelliger Betrag stand dafür auf der Rechnung. Ob ich wohl in 5-Sterne-Laune bin? Was meinen Sie, Herr Doktor dent.?
Früher war die Praxis noch inhabergeführt. Da wusste ich wenigstens, für wessen Porsche ich die Sitzbezüge mit meiner Wurzelbehandlung zahlte. Niemand fragte nach Bewertungen, die Kreditkarte war genug sozialer Schmierstoff. Dafür kam auch mal der Chef gucken. Seit dem Verkauf an irgendeine Investorengruppe jedoch gibt es nur noch angestellte Zahnärzt*innen, ein „Front Office“ und eben diese ständige Like-Me-Belästigung. Bewertet werden muss ja sowie alles. Jedes Restaurant, jede Kneipe, jeder Florist und die Frisörin; jedes Konzert, jedes Klo, jedes Buch; jedes Ferienhaus, jeder Feriengast und jeder Kuss. Ein Punkt, ein Stern, ein Himmelreich.
Eine Weile habe ich dabei sogar mitgemacht. So ein netter vegetarischer Laden. Der hat es doch verdient, dass er gut bewertet ist. Die Leute sollen wissen, dass das Essen prima schmeckt und der Service menschlich ist. Google Maps mochte mich sehr für meine Teilnahme an der Vermessung der Welt. „Möchtest du noch ein Foto hochladen? Bewertungen mit Bildern werden 24-mal häufiger angesehen als solche ohne. Schon mehr als 4.000 Menschen haben deine Bewertung gesehen.“
Ah, da will jemand meinen Ehrgeiz wecken, ganz eigennützig selbstverständlich. Gamification für das Menschenmaterial, Datenfutter für den netten Digitalkonzern von nebenan. Weniger Be-, mehr Verwertung. Aber nicht mit mir! Ich mach da nicht mehr mit! Auch, weil es einfach immer blöder wurde.
Wie viele Sterne geben Sie der Carolabrücke?
„Wie hat dir der Eiserne Steg gefallen?“ Tja, was soll ich sagen? Ist ’ne Brücke. Wir sind drübergegangen. Hat gehalten. Verdient allein das schon eine gute Bewertung? Eiserner Steg, Frankfurt am Main – 4,6 Sterne. Carolabrücke, Dresden – Ist es noch zu früh? Wie aber erkennt man den richtigen Zeitpunkt für so einen Scherz? Es ist ja niemand gestorben, und am 13. Februar nächsten Jahres erinnert sich doch kein Mensch mehr daran.
Auf den Eisernen Steg brachte uns übrigens eine Stadtführung zu Orten des Widerstands zwischen 33 und 45. Da erfuhren wir vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), einer sektenhaften SPD-Abspaltung, die ihre Arbeit mit vegetarischen Restaurants (4 Sterne) finanzierte. Zwei Mitglieder des ISK waren in lauer Nacht 1935 zwischen Bahnhof und Mainufer als Liebespaar in klandestiner Mission unterwegs gewesen. Ein Koffer, an dessen Unterseite ein Stempel mit antifaschistischen Parolen angebracht war, musste immer wieder abgestellt werden, damit die beiden Turteltauben sich inniglich abknutschen konnten. „Was würden Sie für diese Küsse geben?“ 5 Sterne? Ach was, ein ganzes Herz!
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