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Bewegungstermine in BerlinDie Gewalt liegt im System

Am 13. 12. gehen Menschen deutschlandweit gegen Polizeigewalt auf die Straße. Der Kampf gegen staatliche Gewalt bedeutet, Grundrechte zu verteidigen.

Die Proteste am 13. 12. spielen mit dem Kürzel ACAB, aber wofür steht die Abkürzung? Foto: dpa | Jörg Carstensen

L aut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind bis zum 6. Dezember 2023 alleine seit 2014 schätzungsweise 28.256 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Das sind im Schnitt 2.826 Menschen pro Jahr oder 8 Menschen pro Tag oder ein Mensch alle drei Stunden. Alle drei Stunden hört irgendwo im Mittelmeer ein Mensch auf zu strampeln, lässt das Wasser in die Lungen eindringen und reißt dann die Augen auf, wenn die Erlösung von der panischen Angst und der Suche nach Luft endlich eintritt.

Für die Fische des Mittelmeers müssen die sinkenden Menschenkörper keine Überraschung mehr sein. Vielleicht haben sie sich schon daran gewöhnt. Wir, die auf dem Kontinent leben, der für so viele Menschen immer noch die Hoffnung auf etwas Besseres bedeutet, haben das jedenfalls längst getan. Die Schreie der Ertrinkenden sind zumindest in Mitteleuropa zum Grundrauschen im kapitalistischen Zentrum geworden. Wir hören sie nicht mehr, wie die Autos draußen auf der Straße oder die Flugzeuge im Himmel. Fast könnte man meinen, das Sterben im Mittelmeer gehöre einfach zum Leben dazu.

Doch das tut es nicht. Nichts daran ist natürlich oder normal. Es ist kein Naturgesetz, dass die Menschen an den Grenzen krepieren. Sie sterben dort wegen des politischen Willens, sie nicht auf den europäischen Kontinent zu lassen. Sie sterben, wenn nicht als Bestrafung, dann als Abschreckung für alle, die auch darüber nachdenken, in Europa ihr Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen, an dessen formaler Abschaffung im Zuge der Veränderung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ohnehin gearbeitet wird.

Frontex ist bei ACAB mitgemeint

Doch politischer Wille allein hält keine Menschen auf. Es darf nie vergessen werden, dass es dafür Menschen benötigt, die willens sind, die Drecksarbeit zu erledigen. An den Grenzen machen diese die Menschen von Frontex, die etwa illegale Push- und Pullbacks durchführen und die zivile Seenotrettung an ihrer Arbeit behindern. Erst am Montag hat unter anderem der Spiegel eine Recherche (Paywall) veröffentlicht, die zeigt, wie Europa dabei vermutlich auch etwa mit einer lybischen Foltermiliz mit Verbindungen zur Wagner-Gruppe zusammenarbeitet.

Die Feministische Antifaschistische Jugendorganisation Charlottenburg (F_AJoC) stellt deshalb die Gewalt von Frontex und des europäischen Asylsystems in den Mittelpunkt ihrer Demonstration gegen Polizeigewalt am Mittwoch (13. 12.). Deutschlandweit wird es an dem Tag mit dem symbolträchtigen Datum (1312 steht für ACAB) Demos gegen Polizeigewalt geben. Unter dem Motto “Right to move – right to stay“ geht es um die Überwindung staatlicher Gewaltstrukturen wie Frontex und das Konzept nationalstaatlicher Grenzen. Startpunkt ist um 18 Uhr am Potsdamer Platz.

Anschließend geht es in der Zwille um das deutsche Polizeiproblem. Auf einem Panel werden Menschen der Gruppen Ihr Seid Keine Sicherheit und Entnazifizierung Jetzt diskutieren. Auch Musik wird es geben. Die Einnahmen vom Abend gehen an die Soliinitiative für den 19-jährigen Jugendlichen Bilel, auf den die Polizei kürzlich 34 Schüsse abfeuerte und ihn mit den Treffern querschnitzlähmte, nachdem er sich einer Polizeikontrolle entzogen hatte. Auch die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin) wird mit den Einnahmen unterstützt (Fasanenstraße 1a, 20 Uhr).

Autoritarismus im Inneren

Als handle es sich um eine zynische Antwort auf die Proteste am Vorabend, soll am Donnerstag (14. 12.) das neue Berliner Polizeigesetz verabschiedet werden, das den erweiterten Einsatz von Bodycams, Tasern und Videoüberwachung, die Ausweitung des Präventivgewahrsams und die Festschreibung des sogenannten “finalen Rettungsschusses“ vorsieht. Gegen den Ausbau des Überwachungs- und Polizeistaates hat das Bündnis für soziale Sicherheit ab 8:30 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus (Niederkirchnerstraße 5) eine Kundgebung angemeldet.

Das Bündnis kritisiert, dass der Senat statt sozialen Lösungen nur mehr Repression im Angebot hat. Von einer solchen Logik profitieren können letztlich nur diejenigen, die schon immer das Prinzip der Grundrechte durch das Credo Befehl und Gehorsam ersetzen wollten. Am Freitag (15. 12.) beschäftigt sich ein Vortrag der Gruppen Antifa in Praxis und Perspektive Selbstverwaltung mit dem Höhenflug der AfD – und was Linke dem entgegensetzen können (Kiezladen MaHalle, Waldemarstraße 110, 19 Uhr).

Um wirkliche soziale Lösungen geht es dagegen auf der Demonstration gegen Gentrifizierung am Samstag (16. 12.). Unter dem Motto “Überall Büros, nirgendswo sozialer Raum“ ruft die Initiative Laskerkiez United gegen die Strategie von In­ves­to­r:in­nen auf die Straße, alteingessene Be­woh­ne­r:in­nen im Kiez durch Büroräume zu verdrängen. Los geht es um 18 Uhr in der Persiusstraße 11. Anschließend findet in der Neuen Zukunft am Ostkreuz (Alt Stralau 68) ein gemeinsames Winterfest statt.

Für das Recht auf politischen Streik

Doch warum stehen Linke der zunehmenden Autoritarisierung der Gesellschaft so machtlos gegenüber? Ein Grund könnte sein, dass der Bewegung schon in den 1950er Jahren ein entscheidenes politisches Kampfmittel genommen wurde: Das Recht auf politischen Streik und Generalstreik. In Frankreich und Italien wäre es unvorstellbar, doch in Deutschland hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass das demokratische Mitspracherecht mit dem Wahltag beginnt und endet – eine autoritäre Demokratiedefinition, die von den meisten Gewerkschaften auch noch mitgetragen wird.

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Doch langsam regt sich Widerstand gegen dieses restriktive Streikrecht, bei dessen Etablierung übrigens der alte Nazi Hans Carl Nipperdey eine große Rolle spielte, der es in der BRD bis zum Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts brachte. In der Kampagne für ein umfassendes Streikrecht arbeiten Kol­le­g:in­nen aus der Bildungsgewerkschaft GEW und dem Solikreis für Beschäftigte bei Gorillas. Die GEW hat sich 2013 zum politischen Streik und Generalstreik bekannt.

Am Donnerstag (14. 12.) veranstaltet die Kampagne im GEW-Haus (Ahornstraße 5, 18 Uhr) eine Diskussionsveranstaltung mit Theresa Tschenker, die ihre Dissertation zum Thema geschrieben hat. Unter anderem stellt sie darin die Frage, wie etwa Pfle­ge­r:in­nen sich gegen ihre Arbeitsbedingungen wenden sollen, wenn diese doch eindeutig von politischen Entscheidungen wie der Finanzierung des Gesundheitswesens abhängen. Auch, wie eine Neukonzeption des Streikrechts aussehen könnte, wird am Donnerstag Thema sein.

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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