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Bewegungstermine in BerlinDie Zeichen stehen auf Arbeitskampf

In Berlin ist jeden Tag 1. Mai: Nach den Streiks im öffentlichen Dienst demonstrieren nun Ku­rier­fah­re­r*in­nen für ihre ausstehenden Löhne.

So geht Streik: Gorillas-Beschäftigte beim Arbeitskampf 2021 Foto: dpa

M iese Arbeitsbedingungen bei Online Lieferdiensten sind in Berlin längst kein Geheimnis mehr. Die Ku­rier­fah­re­r*in­nen des umstrittenen Berliner Start Ups Gorillas waren die ersten, die vor rund zwei Jahren auf die prekäre Lage von Ridern aufmerksam machten. Unter anderem mit wilden Streiks kämpften sie für ihre Rechte und gegen schlechte Ausrüstung, zu späte, falsche oder gleich ganz ausbleibende Lohnzahlungen und Union Busting.

Das blieb nicht ohne Wirkung: Das Workers Collective gründete gegen den massiven Widerstand der Geschäftsführung nicht nur einen Betriebsrat, sondern wurde auch zum Vorbild für die Ar­bei­te­r*in­nen anderer Lieferdienste: Lieferando, Flink, Getir, Hellofresh, es gibt kaum einen Lieferdienst, in dem sich daraufhin nicht ebenfalls Ar­bei­te­r*in­nen­ver­tre­tun­gen gründeten – meist verbunden mit langwierigen Auseinandersetzungen vor Gericht.

Verschwunden sind die schlechten Arbeitsbedingungen deshalb aber noch lange nicht. Auch beim Kurierdienst Wolt scheint einiges im Argen zu liegen: 120 meist migrantische Ar­bei­te­r*in­nen sollen von einem Subunternehmen des Bringdienstes nicht bezahlt worden sein, es soll um Forderungen von mehreren 100.000 Euro gehen. Die Rider rufen daher für diesen Mittwoch zu einer Fahrraddemonstration auf und wollen vor die Wolt-Zentrale in Friedrichshain ziehen, um ihr Geld einzufordern. Um ihren Forderungen lautstark Nachdruck zu verleihen, brauchen sie in ihrem Arbeitskampf die Solidarität und Unterstützung der Ber­li­ne­r:in­nen (Mittwoch 5. März, 10 Uhr, U-Bahnhof Karl-Marx-Straße; 11 Uhr, Wolt Zentrale, Stralauer Allee 6).

Rider kämpfen für ihren Lohn

tazplan

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Auch die Rider der Velocarrier GmbH und Ecocarrier AG ziehen diese Woche in den Straßen-Arbeitskampf. Die Radlogistikunternehmen, die Kun­d*in­nen mit Biokisten und Rewe-Produkten beliefern, rühmen sich für Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen. Die Ku­rier­fah­re­r*in­nen scheinen davon allerdings nicht so viel zu merken: Sie klagen über kaputte Fahrräder, massive Überstunden und falsche Versprechungen.

Im Dezember vergangenen Jahres endete ein innerbetrieblicher Kampf für die Beschäftigten von EcoCarrier mit Massenentlassungen. Laut der Gewerkschaft FAU hatten die Standortleitungen wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und eigener Überlastungen das Unternehmen verlassen, woraufhin die Ar­bei­te­r*in­nen zusätzlich deren Verwaltungsaufgaben übernahmen. Kurz nach der Vorbereitung einer Betriebsratswahl kündigte die Geschäftsführung den Beschäftigten dann die Schließung des Berliner Standorts an.

Die Berliner Rider lassen sich das jedoch nicht so einfach gefallen. Vor Gericht kämpfen sie für ihren ausstehenden Lohn und Abfindungen. Nachdem die Geschäftsführung den Verhandlungstisch verlassen hat, wollen sie nun auf der Straße weiterkämpfen und für ihre Rechte protestieren (Samstag 8. April, Rollbergstr. 59).

Gedenken an Burak Bektaş

Mi­gran­t*in­nen in Berlin werden nicht nur allzu oft Opfer von Ausbeutung, sondern auch von rassistischer Gewalt. Eines dieser Opfer ist Burak Bektaş, der vor elf Jahren in Neukölln erschossen wurde. In der Nacht auf den 5. April 2012, nur wenige Monate nach dem Auffliegen des NSU-Komplex, feuerte ein weißer Mann an der Rudower Straße mehrere Schüsse auf eine Gruppe Jugendlicher mit Migrationsgeschichte ab.

Bektaş und seine Freunde hatten den Abend gemeinsam in einem nahen Park verbracht und warteten dort auf den Nachtbus. Die Kugeln trafen drei von ihnen. Zwei der Freunde überlebten die Schüsse lebensgefährlich verletzt. Der 22-jährige Burak starb im Krankenhaus. Eine Kugel hatte seine Lunge durchbohrt. Der Täter entfernte sich unerkannt vom Tatort.

Die Ermittlungen in dem Fall dauern zwar an, aber bis heute haben Polizei und Staatsanwaltschaft keine Hinweise auf den Täter. Familie, Freun­d*in­nen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen gehen von einem rassistischen Tatmotiv aus und kämpfen seit elf Jahren für Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen. Ein 2017 errichtetes Denkmal für Bektaş wurde bereits vier mal von Rechtsextremen geschändet. Zuletzt wurde es am 8. März mit Hakenkreuzen beschmiert. Mit der Aufforderung „Findet den Mörder“ erinnern Initiativen jedes Jahr an seinem Todestag an der Gedenktafel und online an den Mord an Burak Bektaş und fordern Aufklärung (Mittwoch 5. März, 17 Uhr, Rudower Straße / Möwenweg).

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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