Bewegungstermine in Berlin: „Lindner raus!“

Viele befürchten Sozialproteste von rechts. Den Aufschlag in Berlin machen aber Linke. Sie fordern den Abgang von Christian Lindner.

Eine Pappmaché-Figur von Christian Lindner mit einem Schild: FDP: Profite first, Klimaschutz second!

Gefahr für den sozialen Frieden: die Klimapolitik der FDP Foto: dpa

Es ist eine skurrile Situation. Allenthalben wird vom Aufstand geredet, doch auf den Straßen ist alles ruhig. Auf Twitter trendet der Hashtag #WutWinter, aber Proteste gegen die explodierten Lebensmittel- und Energiepreise, gegen die Politik, die die Profite der Konzerne schützt und auch noch zu den Wohlhabenden umverteilen will, gibt es bislang nicht.

Und noch skurriler: Obwohl die größte soziale Krise seit Langem immer mehr an Fahrt aufnimmt, redet niemand von einem Unmut von links, der sich Bahn brechen könnte. Dabei gibt es kein klassischeres linkes Thema als soziale Gerechtigkeit und den Kampf gegen Ungleichheit.

Stattdessen wird allenthalben eine rechte Massenmobilisierung erwartet. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte etwa, „dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen“.

Doch womöglich täuschen sich die Beobachter:innen. Zumindest in Berlin fehlen bislang die Anzeichen dafür, dass der rechten und verschwörungsideologischen Szene der Themenumschwung weg von Corona, Impfungen und Medienschelte hin zur sozialen Frage gelingen könnte. Die ersten, die unter dieser neuen Überschrift die Geknechteten auf die Straße rufen, werden sie zumindest nicht sein.

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Protest für Umverteilung

Denn schon an diesem Mittwoch gibt es einen Aufruf zu einem Protest vor der FDP-Parteizentrale (18 Uhr, Reinhardstraße 54). „Lindner raus. Umverteilung jetzt“, so die einfache Parole. Es ist das erste Lebenszeichen der außerparlamentarischen Linken zu dem Thema in diesem Sommer, aber die kommunizierten Forderungen dürften bei einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung auf Wohlwollen stoßen: 9-Euro-Ticket verlängern, Übergewinnsteuer einführen, Gaspreise deckeln und Umverteilung zugunsten der Armen, die unter den Preissteigerungen am meisten zu leiden haben.

Verbreitet wurde der Aufruf zuerst vom Umverteilungsbündnis Wer hat, der gibt, das in Berlin und vor allem Hamburg schon in den vergangenen Jahren versuchte, die soziale Frage wieder zum Bewegungsthema zu machen. Dass zumindest auf Telegram die neue Gruppe Sozialproteste 030 die Veranstaltung bewirbt, könnte aber darauf hindeuten, dass der Protest in eine neue Richtung gehen soll.

Ebenso spricht es wohl dafür, dass Linke sich auf mehr vorbereiten. Mehrere Bündnistreffen ganz verschiedener Gruppen hat es schon gegeben und auch die Partei Die Linke will sich trotz aller derzeitigen Schwäche die Chance nicht entgehen lassen, mit ihren Kernpunkten wieder stärker öffentlich wahrgenommen zu werden.

Rise up

Wer noch Motivation braucht, dass soziale Bewegungen tatsächlich etwas ändern können, auf den wartet am Donnerstag die Berlin-Premiere des Leftvision-Films „Rise up“ im Freiluftkino Friedrichshain (20.45 Uhr; 2. Vorpremiere am 23.8. im Hofkino am Franz-Mehring-Platz 1). Die Fil­me­ma­che­r:in­nen haben dafür fünf politische Ak­ti­vis­t:in­nen begleitet, es geht um den Regimesturz in Südafrika, den Aufstand in Chile oder den Aufbau demokratischer Strukturen im kurdischen Rojava.

Schon mit “Hamburger Gitter“, ihrem Film über die G20-Proteste 2017 in Hamburg, hat das Leftvision-Team gezeigt, dass es professionelle und kämpferische Filme auf die Leinwand bringen kann. Und auch diesmal darf man gespannt sein. In der Ankündigung heißt es: „Wir ergründen in diesem Film die Verwandlung von kleinen Leuten zu großen Held:innen, vom einzelnen Aufbegehren zur großen Revolte, von einer einzelnen Idee zu einem historischen Fortschritt.“

Jubiläen der Selbstbestimmung

Zwei weitere Termine diese Woche geben Anlass zur Hoffnung. Da ist zunächst das 50-jährige Jubiläum des ssb e.V. (sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin), das als gemeinnütziger Verein sowohl das Wohnprojekt Mansteinstraße als auch das Tommy-Weisbecker-Haus verwaltet als auch Trägerin des Jugendzentrums Drugstore ist. Auch ein Tischlereikollektiv, eine Fahrradwerkstatt und die Rote Insel sind aus den Selbsthilfestrukturen entstanden.

Gefeiert wird all das von Freitag bis Sonntag im großen Rahmen mit Konzerten, Lesungen, Filmvorführungen und einer Ausstellung. Auch eine Kundgebung darf nicht fehlen: Am Sonntag (21.8.) ab 17 Uhr vor dem Tommyhaus. Motto: „Migration is not a crime – fight Fortress Europe.“ Das ganze Programm findet sich unter ssb.nostate.net.

Auch die Regenbogenfabrik in Kreuzberg zeigt, dass Projekte erkämpft und nachhaltig gesichert werden können. 40 Jahre gibt es das Hausprojekt inzwischen. Begangen wird das mit einem bunten Programm mit Café und Kinderaktivitäten sowie Konzerten und Party (Freitag, 19.8., ab 15 Uhr, Lausitzer Straße 22).

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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