Bettwanzen-Plage in Frankreich: Blutsauger außer Kontrolle
In Frankreichs Großstädten breiten sich Wanzen aus. Das ist schlecht für den Tourismus zur Olympiade 2024 – und Anlass zu rassistischer Hetze.
S ie sind in den Hotels und den Airbnb-Wohnungen, im Zug, in der Metro, im Bus, im Kino und in der öffentlichen Bibliothek anzutreffen – kurz: überall, wo Menschen unterwegs sind und sich vergnügen. Das Bild der blutgierig herumspazierenden Bettwanzen löst in Paris und im restlichen Frankreich derzeit eine wahre Angstpsychose aus.
Wer selber noch nie mit diesen lästigen Blutsaugern konfrontiert war, kann sich nur schwer ein Bild vom Ärger, von den Ängsten und den anfallenden Kosten machen, die sie hervorrufen. Wenn sich nämlich die Bettwanzen, die nicht größer als ein Apfelkern sind, einmal gemütlich in der Wohnung eingerichtet haben und sich rasch vermehren, wird es ungeheuer schwierig, sie wieder loszuwerden.
Anders als früher – die Wanzen begleiten die für sie so nahrhaften Menschen seit der Steinzeit – sprechen viele Menschen heute ohne Scham über die fiesen Tierchen: Ein befreundetes Ehepaar habe die Wanzen aus den USA mitgebracht, schreibt etwa eine Journalistin in einem Erfahrungsbericht. Als ihre Tochter am Morgen drei ungewöhnlich aussehende Stiche in einer Linie am Rücken hatte, habe sie sogleich gewusst, wer da zugeschlagen hatte. Dank einer raschen Intervention von Fachleuten meinte man das Problem aber „in zwei Tagen“ endgültig behoben zu haben.
Die gezielte und effiziente Hilfe von Spezialisten, die auch Spürhunde einsetzen, kostet laut Berichten rasch an die 1.000 Euro. Guter Rat ist teuer, doch in vielen Zeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen und Rundfunk geben Experten derzeit ihre Empfehlungen an. Die französischen Medien Libération und Le Figaro haben dem Thema sogar ganze Dossiers gewidmet.
Obwohl inzwischen nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in ebenfalls heimgesuchten Städten wie Marseille und Nizza die Wanzen das Gesprächsthema Nummer eins sind, besteht noch immer ein immenser Informationsbedarf.
Anlass für rassistische Hetze
Doch es geht auch anders: Im Fernsehsender CNews benutzte der Talkmaster Pascal Praud die Wanzenplage für einen seiner gehässigen Angriffe auf Migrant*innen, die er mit einer schamlos rassistischen Anspielung für die Insekteninvasion verantwortlich machen wollte. Er fragte, ob dieses Problem nicht darauf zurückzuführen sei, dass „diese Menschen, die sie (die Wanzen) mitbringen, nicht dieselbe Hygiene haben wie die Einheimischen“. Er ließ sich auch von einem im Studio anwesenden Experten nicht belehren, der richtigstellte, dass die Präsenz von Wanzen nichts mit mangelnder Körperpflege oder Herkunft zu tun habe.
In einer anderen Talkshow wollte der Moderator Yann Barthès seine Gäste mit einem Glas voller Wanzen erschrecken. Das gelang ihm außergewöhnlich gut: Der Behälter rutschte ihm aus der Hand, der Deckel sprang auf und ein entwischtes Insekt krabbelte auf seinem Manuskript herum.
Behörden unter Zugzwang
Gar nicht zum Lachen finden die Behörden und die Regierung die Ausbreitung der Insekten. Sie geraten mehr denn je unter Zugzwang. Mit einem kleinen Reagenzglas in der Hand, in dem sich angeblich Wanzen befanden, hatte in der Nationalversammlung die Abgeordnete Mathilde Panot von der linken La France insoumise der Staatsführung Nachlässigkeit vorgeworfen. Sie selber habe längst einen öffentlichen Aktionsplan gefordert, und niemand habe auf sie gehört.
Die Plage ist ein Politikum. Weniger als ein Jahr vor den Olympischen Spielen 2024 muss Paris um seinen touristischen Ruf fürchten. Selbst in den USA und in China wird vor den Wanzen gewarnt, die etwa in der Matratze versteckt nur darauf warten, in nächtlicher Stunde über ahnungslose Menschen herzufallen.
Noch bleiben ein paar Monate, um das Problem zu beheben – oder zumindest einzudämmen. Auf die wachsende Zahl an Firmen, die sich in den Medien und sozialen Netzwerken als kompetente Wanzenvernichter anbieten, warten viel Arbeit und ein prächtiges Geschäft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles