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Besuch von Steinmeier in PolenBeziehung am toten Punkt

Kommentar von Gabriele Lesser

Der Bundespräsident wollte in Warschau retten, was noch zu retten war. Doch für das wichtigste deutsch-polnische Streitthema hat er keine Lösung.

Um die deutsch-polnischen Beziehungen steht es schlecht, da hilft ein Vier-Augen-Gespräch nur wenig Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

D ie Aufbruchstimmung vor 30 Jahren war groß: Deutsche und Polen wollten gemeinsam die Zukunft gestalten. Im Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit listeten beide Seiten am 17. Juni 1991 penibel auf, was ihnen wichtig war und angepackt werden sollte. 1990 war bereits die Oder-Neiße-Grenze zwischen Polen und dem nun wiedervereinigten Deutschland mit einem Vertrag gesichert worden. Das hatte vielen Polen die große Angst vor einem möglichen „Vierten Reich“ genommen.

Auch wenn es in den folgenden drei Jahrzehnten immer mal wieder kriselte in den deutsch-polnischen Beziehungen, war es doch fast immer möglich, die auftauchenden Probleme im Geiste des Nachbarschaftsvertrags zu lösen. Davon kann heute keine Rede mehr sein. „Freundschaftliche Zusammenarbeit“ gibt es heute eigentlich nur noch in den Wirtschaftsbeziehungen und zwischen den beiden Zivilgesellschaften.

Politisch jedoch sind die deutsch-polnischen Beziehungen an einem toten Punkt angekommen. Das liegt vor allem an den Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit 2015, als sie zum ersten Mal die Wahlen gewannen, die polnische Demokratie demontieren. Von Polens Rechtsstaat ist inzwischen kaum noch etwas übrig. Und so wie die PiS bewusst Streit unter den Polinnen und Polen sät, tut sie dies auch unter den internationalen Partnern.

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die die PiS zu schwächen suchte, um daraus Nutzen für Polen zu ziehen, erholen sich seit der Wahl Joe Bidens langsam wieder. Biden verhängte keine neuen Sanktionen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2. Diese hatte die PiS gefordert, um das polnisch-amerikanische Flüssiggasgeschäft zu forcieren, das ab Ende 2022 den mitteleuropäischen Gasmarkt aufmischen soll.

Nur Kriegsopferdenkmal im Gepäck

Die US-Regierung hat erkannt, dass es Polen war, das die von Deutschland und der EU eingeforderte Gas-Solidarität mit der Ukraine als Erstes aufgekündigt hatte. Während die EU weiterhin russisches Gas über die ukrainische Überlandpipeline beziehen will, hat Polen den Vertrag mit der Ukraine bereits für 2023 gekündigt und will so Millionen Euro an Durchleitungsgebühren sparen.

Steinmeier wollte bei seiner Visite in Polen zum Jahrestag des Nachbarschaftsvertrags retten, was noch zu retten war. Doch statt eine Lösung im wichtigsten aktuellen deutsch-polnischen Streit anzubieten, versicherte er der PiS, dass demnächst eine ihrer Forderungen an die Deutschen erfüllt würde: In Berlin soll ein Kriegsopferdenkmal für die Polinnen und Polen entstehen, die im deutsch besetzten Polen 1939 bis 1945 ums Leben kamen.

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Auslandskorrespondentin Polen
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4 Kommentare

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  • Für interessierte Leserinnen, Lublin war für Europa wichtig, ist wenig bekannt:

    www.rheinische-art...ut-duesseldorf.php



    //



    //



    www.welt.de/geschi...ch-zehn-Jahre.html



    //



    //



    Die leidige Autokorrektur:



    Natürlich "divide et impera!"



    MR Juni 2021

  • STABIL ODER FRAGIL? POLNISCHER NATIONALPOPULISMUS



    Divide er impera, der Ansatz ist wohl so alt wie die Zivilisationsgeschichte lang. Polen wurde historisch das Opfer(!) nationalistischer Bestrebungen und militärischer Obsessionen der Europäischen Großmächte mit der bekannten Folge, dass es von der Landkarte verschwand. Eine nationale Identität mit Untermauerung durch einen viven und im Volksglauben verankerten Katholizismus hatte aber eine legendäre Resilienz ermöglicht, die auch anderen Gruppen attestiert werden muss, die sich kraft höherer Mächte auserwählt einschätzen. Nationalpopulismus erscheint uns obsolet, wir leben vielfach multikulturell u. im Revier hier auch über lange Zeit mit Zuwanderung. Das schafft andere Perspektiven, gefühlte Bedrohung ist nicht mehr der erste Reflex in der Begegnung mit kultureller Verschiedenheit, zumindest in den Ballungszentren. 1986 hatte ich das Glück, in Lublin, einer Großstadt unweit des Horror-Hotspots Majdanek, ein Austauschpraktikum zu absolvieren. Die GastgeberInnen machten keinen Hehl aus Ihren Überzeugungen. Sie teilten selbst uns Deutsche ein in die Westdeutschen (Guten) und die Ostdeutschen (Gefährlichen). Das ließen sie die Menschen spüren, nicht ohne Kalkül und Opportunismus. Die Gefahr von Honeckers Politik als Vasall des Kreml wurde eindrucksvoll beschworen, in Polen war ein General Staatschef. Damals im Hinter- u. Untergrund zog aber die Fäden der Papst in Rom. Vielleicht liegt auch für Polen ein Teil der Lösung für den Weg in ein gemeinsames Europa ohne Ressentiments bei den politisch aktiven Frauen und einer Emanzipation der Zivilgesellschaft mit Schritten der Öffnung zur Solidarität. Über die im Polen der 80er Jahre präsenten StudentInnen aus dem Nahen Osten und aus Afrika könnte ich ebenfalls berichten, sie wurden weniger hofiert als EuropäerInnen.

    taz.de/Polens-Ex-S...-ist-tot/!5041431/

    www.rheinische-art...hen-gemeinschaft-4

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Wenn die wichtigste Forderung der Polen die ist, eine fast fertige Pipeline zu blockieren, dann frage ich mich ehrlich gesagt warum Steinmeier darauf eingehen sollte?

    Ziel der Pipeline ist es doch, die Transitgebühren einzusparen. Das was die Polnische Regierung selbst macht.

    Und warum sollen wir Polnisches Flüssiggas dem Russischen vorziehen? Die PiS verlangt ohne anzubieten, und wie es in den Wald hinein ruft, so kommt es auch raus.

  • Das Denkmal für die polnischen Kriegsopfer während der deutschen Besetzung war längst überfällig.