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Besuch in TaiwanJunge Sorgen verbinden

Das Leben in China, Taiwan und Deutschland mag auf den ersten Blick viele Unterschiede haben. Doch das Gemeinsame ist überdeutlich da.

Gute Laune auf einer Shopping Festival Parade in Taipei Foto: Chiang Ying-ying/ap

A uf einem warm beleuchteten Hotelparkplatz in Taipeh denke ich darüber nach, dass die Welt irgendwie sehr klein ist – auch von der anderen Seite aus betrachtet. Am Horizont blinken zwei Hochhäuser in den Nachthimmel und am Parkplatzrand gähnt ein Wachmann in sein Smartphone. Ich bin zum ersten Mal auf Taiwan und nach ein paar Tagen fühlt sich diese Insel fremd an und trotzdem wie zu Hause.

Die Republik China macht mir ein schlechtes Gewissen. „Taiwan ist ein kleiner Inselstaat 180 km östlich von China mit modernen Städten, traditionellen chinesischen Tempeln, Thermalquellenresorts und dramatischer Berglandschaft“, steht auf Wikipedia. Über Taiwan berichten deutsche Medien selten. Über Taiwan weiß ich zu wenig. Taiwan ist nicht China, aber fühlt sich so an.

Vor ein paar Wochen war ich mit einem älteren, weißen Mann, den ich schätze, essen. Ich schätze ihn, weil wir uns über die Welt streiten können und auch über die Worte, die wir für angemessen halten, um sie zu beschreiben. Aber der geschätzte ältere weiße Mann (kurz gäwM) und ich, wir streiten in gegenseitiger Anerkennung, nehmen uns ernst. Besonders mag ich den gäwM für den Satz: „Ich suche viel lieber nach den Gemeinsamkeiten als nach den Unterschieden.“

Auf Taiwan suche ich Gemeinsamkeiten, zwischen mir und China und diesem Ort. Gefunden habe ich Essen, das so schmeckt, wie ich es vom Festland kenne. Den Geruch von mit Chlor versetztem Leitungswasser. Deutsche, die über chinesische Namen lachen. Shoppingcenterklimaanlagen, die mir Halsschmerzen machen – so wie in Schanghai. Und junge Menschen, die sich um ihr Land und die Welt sorgen. Taiwan ist nicht China, aber irgendwie doch. Ich trinke Dosenbier vom Family Mart auf dem Hotelparkplatz und Taipeh liegt näher an Berlin als Braunschweig.

Im Januar 2020 wählen die Taiwaner:innen ihr Regierungsoberhaupt und viele junge Menschen werden sich vermutlich für die derzeitige Präsidentin Tsai Ing-wen und deren Partei entscheiden. Im Vergleich zum prochinesischen Kandidaten der Kuomintang ist sie das geringere Übel, sie ist für die gleichgeschlechtliche Ehe und gegen Gespräche mit Peking. Aber genug Antworten auf die Sorgen der unter 30-Jährigen hat auch sie nicht. Die Löhne sind zu niedrig, die Arbeitsbelastung zu hoch, die Mieten zu hoch, die Umwelt zu unwichtig.

Auch in der Republik China liegt die Macht in den Händen der Alten, und die haben besonders gerne Recht. Dabei kann man Recht nicht einfach haben, es kommt nicht gratis mit dem Alter. Man muss es sich erarbeiten, immer wieder aufs Neue. Das ist überall gleich, auf der ganzen Welt – aber verstehen wollen es die Wenigsten. Ich bin in zwölf Stunden mit dem Flugzeug auf die andere Seite der Welt geflogen, um mich hier meinem Zuhause ganz nah zu fühlen. Mein schlechtes Gewissen breitet sich über dem warm beleuchteten Hotelparkplatz aus. Taiwan ist weder China noch Deutschland, junge Sorgen verbinden, umspannen die Welt.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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4 Kommentare

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  • Taiwan-Interessierte & Freunde dieses quicklebendigen ostasiatischen Defacto-Inselstaates sind ja immer schon froh, wenn sich Medien & deren Vertreter aufmachen über Taiwan zu berichten. Insofern prima.

    Die Insel liegt seit Jahrzehnten im Schatten der Weltpolitik. Fast jeder Medienreport muss ausholen, um dem Publikum überhaupt die Existenz dieses kleinen Landes zu erklären. Meist kommt dann der Spruch von der „abtrünnigen chinesischen Provinz“.

    Soweit, so ungenau.

    Ich will mich hier nicht als Großkenner Taiwans ausspielen aber ein paar Anmerkungen seien erlaubt. 20-25 Aufenthalte seit 20 Jahren haben meine Sympathie immer größer werden lassen.

    Die Bezeichnung Republik China, ROC ist die formelle Bezeichnung, die ansonsten im Alltagssprachgebrauch keine Rolle mehr spielt. Die Taiwaner, vor allem die junge Generation haben eine eigene taiwanische Identität entwickelt. Sie begreifen sich nicht als „Chinesen“. Insgesamt sehen sich lt. Untersuchungen 40 - 45% der Einheimischen als ausschl. taiwanisch, ebenso viele als taiwanisch & chinesisch, während sich nur noch ca. 15% ausschl. als chinesisch betrachten. Letztere sind meist ältere Leute mit eindeutigen Festlandsbezügen, weil sie selber oder deren Eltern im Zuge der Einnahme der Insel durch Chiang Kai-sheks brutale Kuomintang noch vom „Mainland“ rüberkamen als Militärangehörige.

    Das Land hat seit Beginn den 90er eine bewundernswerte Transformation durchlebt von einer harschen US-alimentierten Diktatur zu einer Vorzeigedemokratie, die in Teilen selbst Japan & Südkorea hinter sich lässt. Taiwans Zivilgesellschaft ist bunt, konfliktär, widersprüchlich. Also lebendig.

    Taiwan schaut gebannt auf die Situation in Hongkong. Anders als HK gibt es keinen Direktzugriff Beijings aber die ultranationalistisch-autoritäre Politik Xi Jinpings hat seit geraumer Zeit Taiwan als das nächste Zielobjekt erkoren. Xi will bis 2049 zum 100sten Geb. der VR China seinen Orden auf der Brust sehen als großer Vereiniger unter KP-Herrschaft

  • in Deutschland haben auch die beiden Seniorenparteien die Macht und erhoehen gerade im Voraus die Renten.

  • Macht kommt mit dem Alter - seit Alters her.

    Und die kapitalistischen Verhältnisse scheren sich einen Dreck ums Alter.

    Insofern ist diese ganze Diskussion Jung vs. Alt eine tolle Ablenkung vom eigentlichen Phänomen.

  • Schön, dass es so einfach ist. Junge sind überall gleich. Alte auch.

    "Die Löhne sind zu niedrig, die Arbeitsbelastung zu hoch, die Mieten zu teuer... " Und das trifft nur die Jungen? Wobei damit unter 30 gemeint ist. Die noch jüngeren haben wieder ganz andere Weltbilder.