Besetzung der Galeries Lafayette: Aktion auf der falschen Seite
Die Besetzung des Ex-Kaufhauses in Berlin-Mitte durch Mitarbeitende der Landesbibliothek ist sympathisch. Aber es fehlt die radikale Perspektive.
E ines vorab: Die Galeries Lafayette an der Berliner Friedrichstraße wären der perfekte Ort für eine große Bibliothek. Die Weiten des seit dem Sommer leerstehende einstigen Luxuskaufhauses schreien gerade danach, mit Regalen und Büchern gefüllt zu werden. Und dann mit Leser:innen, die dort schlendern, blättern, studieren. Lesen! Das größte Problem scheint hier nur die Frage, wer denn all die schweren Bücherkisten dahin schleppen soll.
Diese Erkenntnis dürften alle mitgenommen haben, die den einst prestigeträchtigen Glaskasten in Berlins Mitte am Donnerstag besucht haben. Das ist das große Verdienst der vierstündigen „Besetzung“ durch Mitarbeiter:innen der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, die gern dort einziehen würden – um ihren mittlerweile jahrzehntelangen Kampf um ein geeignetes Gebäude zu beenden.
Damit hat es sich dann aber auch schon. Denn der Rest der eigentlich sympathischen Aktion ist mehr als fraglich. Weil er eine in der Tradition der Berliner Hausbesetzerbewegungen stehende Radikalität nur simuliert – und damit das Kapital dieser Widerspenstigkeit gleich wieder verspielt.
Schlimmer noch: Die Aktivist:innen stellen sich fatal auf die falsche Seite. Die des Spekulanten, der versucht, mit seinen Immobiliendeals eine halbe Milliarde aus den öffentlichen Kassen abzuziehen. Wer sich als Besetzer:in vom Besitzer dulden lässt, muss sich nicht wundern, dass er wirkt wie ein Teil des Problems und nicht wie Teil einer Lösung.
Zentraler Punkt bleibt die Eigentumsfrage
Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass gerade Buchexpert:innen den Unterschied kennen zwischen Pixi-Büchern à la „Conni geht ins Kaufhaus“, die alles wollen, nur niemandem weh tun, auf der einen Seite. Und Romanen wie „Die kalte Haut der Stadt“ von Michael Wildenhain (Rotbuch-Verlag, 1991; Magazin AGB; Signatur 108/000 201 143) bis hin zu „Aufprall“ von Heinz Bude, Bettina Munk und Karin Wieland (Carl Hanser Verlag, 2020; Freihand AGB; Signatur L 248 Bude 50 e) auf der anderen Seite, die die Geschichte der Berliner Hausbesetzerbewegung spiegeln.
Und bei der war immer ein Punkt zentral: die Eigentumsfrage. Die aber wurde bei der Lafayette-Besetzung erst gar nicht gestellt. Geschweige denn, dass nach Antworten gesucht wurde. Dabei stand sie wie der berühmte Elefant riesengroß in den leeren Hallen des Ausverkaufthauses.
Die ursprünglichen Investoren werden seit der Eröffnung 1996 ihre Rendite mehrfach eingefahren haben. Und im Laufe der Jahrzehnte fand das „Quartier 207“ immer wieder neue Abnehmer, die es für lukrativ hielten, das Glashaus im Portfolio eines ihrer Fonds zu haben. Aktueller Eigentümer ist die US-Immobiliengruppe Tishman Speyer, die vor wenigen Jahren rund 300 Millionen Euro für das Haus auf den Tisch gelegt haben soll und nun darauf spekuliert, es für annähernd das Doppelte an Berlin weiterzuverkaufen.
Das allein ist eine Frechheit. Dass das dann auch noch mit einer völlig überbewerteten Immobilie an der Friedrichstraße versucht wird, schlägt dem Fass den Boden aus. Denn mittlerweile sollte jeder wissen, dass deren Image als Nobelboulevard zwar in den Prospekten der Fondseigner hochgehalten wird, dass das aber mit der Realität der Seitenstraße in der Berliner Innenstadt nichts zu tun hat, die wegen der vielen dort parkenden Autos nicht mal als Achse für den Durchgangsverkehr, geschweige denn als Flaniermeile für Gutbetuchte funktioniert.
Aus Spekulantensicht eine Schrottimmobilie
Die „Drohung“ der Spekulanten, das Nicht-Mehr-Lafayette in ein Bürogebäude umzuwandeln, ist auch nicht mehr als ein weiteres Spiel mit falschen Karten. In Großstädten wie Berlin ist mit Büros längst kein Gewinn mehr zu machen – das Angebot ist jetzt schon zu groß. Kurz gesagt: Das Haus ist aus Spekulantensicht eine Schrottimmobilie an einer runter gewirtschafteten Straße, deren Eigner sich gehörig verspekuliert haben.
Sicher, auf der einen Seite droht jahrelanger Leerstand in der Mitte der Hauptstadt. Und ja, auf der anderen Seite wird dringend ein geeignetes Haus für eine großartige Kulturinstitution gesucht. Wenn sich jedoch ein profitgieriger Investor und ein Berliner Senat mit völlig leeren Kassen gegenüberstehen, die sich niemals einig werden können, dann hilft es eben nicht, mit einer Publicity heischenden Aktion die Landesregierung aufzufordern, mehr Geld auf den Tisch zu legen, das sie nicht hat.
Kein Gesetz der Welt zwingt eine Regierung, verzockten Fondsbetreibern zur Seite zur springen. Das Wohl der Allgemeinheit hingegen steht klar und deutlich sogar im Grundgesetz – im Paragraf 14 wird es als der Grund für eine Enteignung genannt.
Ein Euro für das Eckhaus
Kurz gesagt: 1 Euro für das ansonsten nichtsnutzige Eckhaus wäre doch eine angemessene Entschädigung. Das könnte sich nicht nur Berlins geldloser CDU-Kultursenator Joe Chialo leisten. Das wäre auch eine angemessene Forderung für die Kulturaktivist:innen. So viel Radikalität, wie sie im Grundgesetz steht, sollten sich zeitgemäße Besetzer:innen allemal erlauben. Sie würde das Kräfteverhältnis bei den angeblich irgendwo im Hintergrund laufenden Verhandlungen deutlich zugunsten der öffentlich Hand verändern.
Und falls wer glaubt, dass der Immobilienfonds doch noch etwas mehr Geld verdient hätte. Wie wäre es mit einer Sammlung unter denen, die am meisten von einer Attraktion profitieren würden, die Menschen in die so belanglos gewordene Friedrichstraße locken würde? Also bei den Eigentümern der anderen Immobilien im Viertel, die gern weiter ihre völlig überzogenen Mieten kassieren wollen?
Wer sich mit dem Besetzer-Label schmückt, muss ja nicht gleich tatsächlich im Haus bleiben. Aber die Debatte mit ein paar weiter reichenden Ideen zu besetzen, das sollte das Mindeste sein.
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