Beschwerdestelle der Polizei in Hamburg: Nur fünf Ermittlungen
Mehr als tausend Beschwerden sind bei der Hamburger Polizei seit März 2021 eingegangen. Nur den wenigsten Beamt:innen drohen Konsequenzen.
![Junge Menschen müssen mit dem Gesicht zu einer Mauer stehen und werden von Polizisten festgehalten Junge Menschen müssen mit dem Gesicht zu einer Mauer stehen und werden von Polizisten festgehalten](https://taz.de/picture/5494381/14/BLM-HH-06-20-Blaulicht-News-Imago-1.jpeg)
Fünfmal leitete die Stelle Beschwerden an das Dezernat Interne Ermittlungen weiter (DIE), weil die Beamt:innen das Verhalten der Kolleg:innen als strafrechtlich relevant einstuften. Das DIE übernimmt dann die Ermittlungen gegen Polizeibeamt:innen und leitet Strafverfahren ein. Von den fünf Verfahren sind bereits drei eingestellt – ohne, dass es zur Anklage kam. In zwei weiteren Fällen dauern die Ermittlungen an.
Strafrechtliche Konsequenzen blieben für verhaltensauffällige Beamt:innen also bislang aus. Disziplinarverfahren wurden dreimal eingeleitet, zwei davon laufen bislang noch. In einem der Verfahren wegen unerlaubter Datenabfrage wurde der Antwort des Senats zufolge schon ein Dienstvergehen festgestellt. Welche Konsequenzen das für die oder den Betreffende:n hat, konnte die Polizei bis Redaktionsschluss nicht beantworten.
In 151 Fällen wurde ein Sensibilisierungs- oder Kritikgespräch geführt. Beamt:innen der Beschwerdestelle führten diese mit ihren Kolleg:innen. Drei Beamt:innen mussten zum Dienstunterricht, zwei zu einer Fortbildung und eine:r wurde versetzt.
Nur 15 Beschwerden aus den eigenen Reihen
Dem innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Hamburger Senat, Deniz Celik, genügt das nicht: „Die Beschwerdestelle dient in erster Linie der Imageverbesserung der Polizei. Für kleinere Konflikte mag sie möglicherweise ein guter Ansprechpartner sein. An der nicht vorhandenen Fehlerkultur innerhalb der Polizei und der Straflosigkeit von Polizeigewalt wird sie nichts ändern.“
Obwohl sich die Beschwerdestelle auch als Ohr innerhalb der Polizei versteht, kam bisher ein Großteil der Beschwerden von externen Hinweisgebern, also aus der Öffentlichkeit. Lediglich 15 Beschwerden erreichten die Beamten auf der Mönckebergstraße aus den eigenen Reihen. Dort, online und am Telefon können Bürger:innen sich über Ordnungshüter:innen beschweren. In einem Fall kam eine Beschwerde wegen Volksverhetzung aus der Polizei selbst, das Verfahren läuft noch.
Genau auf diese Fälle wollen Mitarbeiter:innen der Beschwerdestelle vorbereitet sein: sie sind extra für den Umgang mit Menschen geschult, die Diskriminierung erfahren haben. In dem Büro arbeiten zudem nicht nur Polizist:innen, sondern auch ausgebildete Sozialarbeiter:innen.
Zum allergrößten Teil beschwerten sich Bürger:innen jedoch über das Verhalten der Beamt:innen während eines Einsatzes – 578 der Beschwerden gab es deshalb. 282 Mal wurde sich über Beamt:innen im Zusammenhang mit Verkehrskontrollen beschwert. Nur 28 Mal haben sich Bürger:innen über Diskriminierung beschwert und dreimal über extremistisches Verhalten.
Verbesserungsbedarf sieht der Senat bei der Erreichbarkeit
Für Linkenpolitiker Celik ist klar: „Gerade rechtswidrige Polizeigewalt sowie diskriminierendes Handeln stellt ein häufiges Polizeiproblem dar, bei der Beschwerdestelle kommen diese Fälle aber kaum an. Opfer von polizeilichem Fehlverhalten haben offensichtlich – und aus guten Gründen – kein Vertrauen in die Kollegen der Täter.“
Verbesserungsbedarf sieht der Hamburger Senat eher bei der Erreichbarkeit der Beschwerdestelle. In der Antwort des Senats auf die Anfrage der Linksfraktion heißt es, „Gruppen, die keinen unmittelbaren Zugang – zum Beispiel aufgrund sprachlicher oder kultureller Barrieren – zur Beschwerdestelle haben“ solle der Zugang künftig erleichtert werden.
Derzeit arbeitet die Beschwerdestelle noch an einem eigenen Bericht, erscheinen wird er im zweiten Quartal 2022. Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft, die die Beschwerdestelle einst forderte, möchte die Arbeit der Beschwerdestelle auf taz-Anfrage noch nicht inhaltlich bewerten, sondern den internen Bericht abwarten. „Dies ermöglicht dann eine differenzierte Einschätzung und wird zeigen, wo wir gegebenenfalls nachsteuern müssen“, so Imhof.
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