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Beschwerden über Schul-LockdownDie Pandemie der anderen

Friederike Gräff
Kommentar von Friederike Gräff

Elterninitiativen beklagen die Zumutungen des Schul-Lockdowns in Hamburg. Dabei zeigen sie einen bemerkenswert engen Horizont. Eine Polemik.

Führt zu viel Unwillen: Lockdown in der Schule Foto: Philipp von Ditfurth/ dpa

Wir unterstützen, dass alle einen angemessenen Beitrag im Kampf gegen Covid-19 leisten müssen. Aber es muss klar gesagt werden, dass viele Kinder und Familien keinen weiteren Beitrag mehr tragen können“, so heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Initiativen „Familie in der Krise“ und „Kinder brauchen Kinder“ zum Hamburger Schul- und Kita-Lockdown.

Dass dieser ohnehin ein sonderbar unentschiedener Wer-will-der-kommt-Lockdown ist, ist dabei nur eine Fußnote. Interessant ist das große „Aber“ jener, die hier stellvertretend für alle möglichen Eltern und Kinder zu sprechen scheinen. Mag sein, so argumentieren sie, dass andere in dieser Pandemie einen Beitrag zahlen müssen – sie sind jetzt aus dem Spiel.

Wir sprechen derzeit über zehn zusätzliche Tage ohne Kita- und Schulbetreuung – aber was für ein Pathos. „Der Alltag wird erneut von heute auf morgen aus den Angeln gehoben“, sagt Anna-Maria Kuricová, Mitbegründerin von „Familien in der Krise Hamburg“. Ja, denn wir erleben gerade eine Pandemie, da passiert so etwas, möchte man rufen.

Dabei unterschlagen die Initiativen eine nähere Beschreibung des Beitrags, den man nicht länger leisten kann. Abgewetzte Nerven, hausinternes Geschrei fügt sich nicht so gut in die heroische Tonlage, die da angeschlagen wurde. Die hätte gepasst, wenn sich hier Menschen zu Wort gemeldet hätten, die in Altenheimen und Krankenhäusern arbeiten. So ist es eine beredte Leerstelle.

Ach ja, der Disclaimer: Natürlich war und ist der Lockdown für viele Familien besonders herausfordernd. Vor allem für Allein­erziehende oder für Eltern von Kindern mit Behinderung. Es war und ist richtig auf jene zu verweisen, die besonders hart getroffen sind und die die Politik anfänglich oder gar nicht in den Blick genommen hat. Ende des Disclaimers.

Lernziel Solidarität

Was einen je nach Tagesform sprachlos oder cholerisch macht an den Forderungen und Sorgen der Elterngruppe, die sich hier äußert, ist die Enge des Blickfelds. Man könnte es für ein Detail halten, aber es ist keines: Eine Sorge, die sie umtreibt, ist die neu verordnete Maskenpflicht für Grundschüler. „Eine Vorwarnung, dass diese Beschlüsse auch in Hamburg aufgehoben werden, wäre wichtig gewesen, um die jüngeren Kinder darauf vorzubereiten“, sagt Anna-Maria Kuricová von der Hamburger Gruppe „Familien in der Krise“. Ja, es wäre schön gewesen.

Aber wenn einem Kind in einer Pandemie nichts Schlimmeres zustößt, als dass es nur kurzfristig vorbereitet eine Maske trägt, dann kann man es nur beglückwünschen. Und vielleicht ist es auch schlicht so, dass sie früher als zu anderen Zeiten lernen, was Rücksicht bedeutet und dass man die eigene Komfortzone gelegentlich zurückstutzen muss.

„Schulen und Kitas sind keine Pandemietreiber“, schreiben die Ini­tiativen und betreten damit unsicheres Terrain. Noch immer ist die Forschungslage ungesichert und sicher ist zumindest, dass die Inzidenz bei den 15- bis 20-Jährigen deutlich steigt. Zu einfach sollte man es sich da nicht mit Pauschalisierungen machen, wenn man kurz danach darauf pocht, dass der Hybrid­unterricht nur für ältere Schüler­Innen gelten sollte, weil die jüngeren ja kaum Anteil am Infektionsgeschehen hätten.

Wie kann man gesamtgesellschaftliche Solidarität einfordern und dann einen Horizont entwickeln, der abrupt endet, sobald der eigene Alltag organisiert ist – und nicht begreifen, dass man Teil einer Gesamtheit ist, und sei es nur, weil man selbst irgendwann im Pflegeheim sitzen wird – da, wo gerade das Personal für die dringend gebrauchten Tests fehlt. Es gibt andere Lobby­vereine, die jetzt aufschreien. Es gibt massenweise Klagen gegen Geschäftsschließungen. Es gibt Verantwortliche, die bis vor kurzem Sonntagsöffnungen für Einkaufszentren durchdrücken wollten.

Ja, es geht immer schlimmer. Aber es geht auch besser. Die Intendantin des Hamburger Theaters Kampnagel sagte unmittelbar nach dem zweiten Lockdown für die Kulturszene: Natürlich tragen wir ihn mit. Sie sagte nicht: Aber wir wollen trotzdem öffnen. Sie sagte nicht: Wir wollen spätestens in zwei Wochen wieder öffnen. Sie überlegte, ob auch die freien MitarbeiterInnen des Hauses finanziell unterstützt werden könnten.

Schlechtes Timing

Mag sein, dass es hier vor allem um Timing geht. Anna-Maria Kuricová von den „Familien in der Krise“ ruft spät zurück, weil sie noch ein Kind mitgenommen hat, dessen Eltern im Schichtdienst arbeiten und das deswegen unversehens eine Betreuung brauchte. Es gehe darum, für die Zeit nach dem 10. Januar vorzusorgen, sagt sie.

Das ist legitim. Aber in Zeiten, wo völlig zurecht viel von Solidarität die Rede ist, sind die Details wichtig. Was man beklagt und was man hinnimmt. Wie eng man die Grenzen des Zumutbaren zieht. Und da kann man sich gar nicht weit genug abgrenzen von den Sonntagsöffnern & Co.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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4 Kommentare

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  • "Aber wenn einem Kind in einer Pandemie nichts Schlimmeres zustößt, als dass es nur kurzfristig vorbereitet eine Maske trägt, dann kann man es nur beglückwünschen." ... Zehneinhalb Prozent der Kinder und siebeneinhalb Prozent der Frauen, die sich zu Hause in Quarantäne befanden, wurden beispielsweise Opfer körperlicher Gewalt (siehe TAZ v. 2.6.2020)! Frauen haben zu 90 % die Betreuung und Beschulung übernommen - ein eigenes Unternehmen oder Arbeit sollte plötzlich aufgegeben werden - mit Langzeitfolgen selbstverständlich. Insgesamt neun Monate Kinder ohne Unterricht - ich nehme an, Frau Gräff ist stets ordentlich beschult worden! Bildungsgerechtigkeit wird ohnehin gerade vollständig abgeschafft - eigentlich genauso wie die komplette Schulpflicht, seitdem wir uns darauf geeinigt haben, dass es für Schule ausreichend ist, wenn irgendwelche Arbeitsblätter an Mütter versendet und das Ausfüllen gefordert wird (bis zur Pandemie wurde auch Akademikern das Homeschooling mit den Kindern verboten, weil Unterricht durch Lehrkräfte der Schulen zu erfolgen habe). Existenzsorgen lassen die Bildungsdefizite des eigenen Kindes noch schlimmer aussehen - Frau Gräff hätte wahrscheinlich in so einem Fall das nötige Kleingeld für eins der plötzlich zahlreichen Nachhilfeunternehmen...Wenn aber Frau Gräff es so sagt, wird wohl gestiegene Gewalt an Frauen und Kindern, die bestimmt auch durch familiäre Konflikte wegen neuer Abhängigkeiten von Frauen entstanden ist, die jetzt wieder perspektivlos daheim die Kinder hüten (der Job ist nämlich zumeist nach der dritten Quarantäne + lockdown dann doch irgendwann weg ;)), nicht so schlimm sein. Solidarität ist ja das Gebot der Stunde und das heißt eben derzeit, "auf alles einschlagen, was sich wagt, seine Meinung zu äußern und den Blick auch mal auf andere Leidtragende der Pandemie zu richten": ...Auf Kinder zum Beispiel - die zählen im Gegensatz zu manch´ einem fitten 65-Jährigen tatsächlich immer zu den Schwächsten der Gesellschaft!

  • Sehr geehrte Frau Gräff,



    ich habe selten so einen eindimensionalen und wirklich schlechten Kommentar gelesen, der die Leistungen der Familien in den letzten 9 Monaten einfach nur herabwürdigt. Eltern leisten nun abermals mehr als alle anderen. Wir betreuen und beschulen unsere Kinder und arbeiten nebenbei noch. Ach ja und das bisschen Haushalt sei auch nicht vergessen. Wissen Sie wie unser Arbeitstag aussieht? Und haben Sie eine Ahnung davon, konzentriert an etwas zu arbeiten, wenn das 2-jährige Kind betreut werden will und die anderen Kinder Hilfe bei den Aufgaben benötigen, die ihnen per Mail zugeschickt wurden, für die es aber keine Hilfe gibt. Ach ja, man kann ja auf die Arbeit verzichten und den großzügig angekündigten Sonderurlaub nehmen. Leider gibts den nicht; es ist eine reine Mogelpackung.



    Und anders als die Wirtschaft, werden Eltern wieder einmal nicht entschädigt. Ja, und dem Personal in Altenheimen und Kliniken geht es vermutlich noch schlechter, übrigens arbeiten dort oft Frauen, die gerade auf ein funktionierendes Betreuungs- und Bildungssystem angewiesen sind und sich Elternverbänden angeschlossen haben, um genau diese Doppelbelastung nicht mehr zu haben.



    Und es geht nicht nur um die paar Tage, die sich in einigen Ländern auf gut 10 Tage Schulschließungen aufsummieren. Es geht um die Zeit aus dem Frühjahr und es geht darum, dass der Politik klar vor Auen geführt werden muss, dass Schule in Präsenz am 11.1.2021 für alle wieder losgehen muss. Ansonsten verabschieden wir Eltern uns mit Burnout die nächsten Monate und dann können wir ja mal gespannt sein wie der Klinikalltag und der Betrieb in anderen systemrelevanten Bereichen funktioniert.



    Und tu guter letzt sei noch der Hinweis darauf erlaubt, dass es in Deutschland Kinder das Recht auf Bildung haben!

    • @Nicole Reese:

      Dieser Artikels fasst sich gut zusammen in: „Da beschwert sich die Autorin über jemanden der sich beschwert“ .

      Leider führt dieser Artikel zu nichts, denn darin stecken weder Weisheit, noch Empathie, noch Lösung.

      Bitte führen Sie sich folgendes vor Augen: krautreporter.de/3...Q7SYK5KzeV03bbOiR8

      Was wohl monatelange Schließungen für diese Kinder bedeuten? Ich finde diese Anderen-Geht-Es-Auch-Schlecht/Schlechter Mentalität tatsächlich Gift in dieser Zeit. Es gibt Familien die das nicht mehr tragen können und dort schon seit Frühjahr Ausnahmezustand herrscht. Es geht auch um die Ungerechtigkeiten die durch diese Maßnahmen noch einmal verstärkt werden, denn so ein „Lockdown“ fühlt sich im Haus mit Garten anders an als zu 6. auf 30qm. Und auch darum, mit welch einer Selbstverständlichkeit jederzeit und ohne Vorwarnung Bildungseinrichtungen dicht gemacht werden könne, als wären sie nicht besonders wichtig für unsere Gesellschaft. Es geht nicht um ein paar Wochen Ausnahmezustand, sondern darum das viele Familienmodelle oder Lebensverhältnisse so nicht mehr funktionieren oder aushaltbar werden.

      Und Familien trifft es deshalb besonders hart, weil eben nicht nur ein einzelner betroffen ist, sondern meist eben 4+ Personen. Ist einer psychisch Vorbelastet, dann führen diese Schließungen zu einer Kaskade die enorm viel Leid verursachen kann. Wenn Eltern unter dem Druck der Doppelbelastung und Maßnahmen zusammenbrechen und handlungsunfähig werden, so wie in unserem Umfeld mehrfach passiert, dann stehen die Kinder unversorgt und verwahrlost im Regen. Die Hilfen an dieser Seite sind homöopathisch dosiert und unzureichend. Armut trifft dann nicht nur einen, sondern eben alle in der Familie.

    • @Nicole Reese:

      Der Kommentar verdeutlicht sehr schön, was im Artikel steht: Dort steht nicht, dass es für Familien gerade nicht schlimm ist. Da steht Familien sind nicht die einzigen, die es hart trifft (was Sie scheinbar tatsächlich nicht anerkennen, wenn Sie schreiben, dass Eltern mehr leisten als alle anderen).



      Es ist für uns alle auf hart. Nicht für alle gleich stark und auch nicht für alle auf die gleiche Art und Weise. Aber so zu tun, als wären Eltern als Gruppe die gebeuteltsten zeugt von eben jenem beschränken Horizont, der in Artikel beklagt wird.



      In Übrigen erschien gerade wieder eine Studie, die zum Schluss kommt dass zwei Maßnahmen das meiste Potential haben, die Pandemie abzuschwächen: Veranstaltungen über 10 Personen verbieten und Bildungseinrichtungen schließen. Wenn unser Gesundheitssystem gerade am kollabieren ist und Menschen sterben, dann kann es halt, dass die Schulen noch ein wenig länger geschlossen bleiben müssen. Denn so schrecklich die Belastungen der Schulschließungen sicher sind - ein kollabiertes Gesundheitssystem und eine große Anzahl von Toten ist dann doch noch schlimmer.



      Im Übrigen habe ich seit Anfang November praktisch durchgehend extreme Migräne, weil all meine erprobten nichtmedikamentösen Maßnahmen weggefallen sind, die Schmerzmittel nicht mehr helfen und mein Neurologe keinen Termin frei hat. Auch das ist eine Belastung. Auch ich bin genervt davon, dass wir nicht besser auf die zweite Welle vorbereitet sind. Können Sie sich vorstellen, wie mein Arbeitsalltag aussieht? Der wird durch Migräne auch nicht besser.



      Aber ich fordere nicht, dass alle Maßnahmen, die Menschen mit Migräne belasten, aufgehoben werden auch wenn dann Menschen sterben. Und ich wette, da gibt es noch ein paar Menschen, die auf nochmal andere Art belastet sind und auch nicht entschädigt werden.