Beschluss nach Vorkaufsrecht-Urteil: Mietenschutz auf der Kippe
Erstmals erlaubt ein Gericht einer Hauseigentümerin, eine Abwendungsvereinbarung zu kündigen, die Mieter:innen vor Verdrängung schützen soll.
Erstmals hat mit dem Beschluss ein Gericht über eine Abwendungsvereinbarung entschieden, die im Zuge des im November 2021 gekippten bezirklichen Vorkaufsrechts zustandegekommen war. Das Vorkaufsrecht erlaubte es Kommunen in sogenannten Milieuschutzgebieten, zum Verkauf stehenden Wohnraum vor der Nase von InvestorInnen wegzuschnappen und die BewohnerInnen so vor Verdrängung zu schützen. Verhindern konnte der Käufer dies nur durch eine Abwendungsvereinbarung, die ihn für längere Zeiträume zur Einhaltung sozialer Standards verpflichtete.
Im November vergangenen Jahres kippte das Bundesverwaltungsgericht diese Praxis fast vollständig. Bisher gingen MieterInnenanwälte dennoch davon aus, dass die bereits abgeschlossenen Abwendungsvereinbarungen rechtssicher sind.
Das stellt der Gerichtsbeschluss nun infrage – potenziell sind alle 9.300 Wohnungen, die über eine Abwendungsvereinbarung gesichert wurden, bedroht. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betont allerdings, es handele sich um ein Einzelfallurteil. Sie hat Beschwerde gegen den Beschluss eingereicht, über den das Oberverwaltungsgericht entscheiden wird.
Vereinbarung grundsätzlich nicht nichtig
Zunächst erklärt das Gericht in dem der taz vorliegenden Beschluss, das Kippen des Vorkaufsrechts bedeute keineswegs, dass die beschlossene Abwendungsvereinbarung nichtig ist. Das Gericht interpretiert diese als sogenannten Vergleichsvertrag. In einem solchen legen zwei Vertragsparteien einen Rechtsstreit beiseite, indem sie gegenseitige Zugeständnisse machen – dieser Kompromiss gilt grundsätzlich auch dann, wenn er leicht vom geltenden Recht abweicht.
Das Gericht ist allerdings auch der Auffassung, dass sich die Rechtslage seit dem Kippen des Vorkaufsrechts „so wesentlich geändert“ hat, dass „nicht anzunehmen ist, dass die Antragsgegnerin (die Eigentümerin, Anm. d. Red.) die Abwendungsvereinbarung geschlossen hätte“, wäre die aktuelle Rechtslage damals bekannt gewesen. Im Klartext: Das Gericht geht nicht davon aus, dass sich die Eigentümerin freiwillig an die sozialverpflichtenden Standards gehalten hätte. Daraus leitet es ein Kündigungsrecht für die Abwendungsvereinbarung ab.
In der Immobilienwirtschaft wird der Beschluss bereits als das Ende aller nervigen Sozialverpflichtungen gefeiert. Im Tagesspiegel erklärte Immobilienanwalt Mathias Hellriegel, „alle“ Abwendungsvereinbarung seien nun „hinfällig“. Seine Kanzlei allein vertrete über 50 Fälle, in denen die Verträge bereits gekündigt wurden. Nachprüfbar ist das nicht.
Tatsächlich sind sich JuristInnen keineswegs sicher, dass der Beschluss derart drastische Konsequenzen hat. Denn das Gericht begründete seinen Beschluss mit Einzelheiten zum Verhandlungsablauf in diesem konkreten Fall. Auch die Verwaltung für Stadtentwicklung ist sich sicher, dass daraus „nicht die Kündbarkeit sämtlicher Abwendungsvereinbarungen“ folgt.
FDP blockiert im Bund
Über den Folgen des Beschlusses stehen also noch viele Fragezeichen, die erst durch das Urteil des Oberverwaltungsgericht aufgeklärt werden können. Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen, sprach gegenüber der taz dennoch von einer „verheerenden Situation“. Auch wenn der Beschluss nur einen Einzelfall behandle, sei die Gefahr real, dass VermieterInnen nun eine Welle von Kündigungen der Abwendungsvereinbarungen lostreten.
Berlin müsse sich juristisch wehren. Gleichzeitig sollten sich die Bezirke mit den Eigentümern zusammensetzen und neue Vereinbarungen treffen. „Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um Betroffene zu unterstützen“, so Schmidberger.
Sofort helfen könnte der Bund. Dort plant man schon länger, den Kommunen das gekippte Vorkaufsrecht zurückzugeben – doch die FDP und ihr Justizminister Marco Buschmann blockieren. Schmidbergers Hoffnung liegt in dieser Situation auf der SPD, die auf Bundes- und Landesebene das Vorkaufsrecht unterstützt. „Wenn die SPD auf Bundesebene ein Machtwort beim Thema Atomkraft sprechen kann, dann sollte es doch auch möglich sein, das beim MieterInnenschutz zu tun“, findet Schmidberger.
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