Bescheid unzustellbar: Abschiebung aus dem Nichts
Eine Asylsuchende soll abgeschoben werden, dabei hat sie der entsprechende Bescheid gar nicht erreicht. Ihre Postadresse war nicht bekannt.
Sie sollte im Rahmen der Dublin-Verordnungen nach Spanien abgeschoben werden; über dieses Land war die Nigerianerin in die Bundesrepublik eingereist.
Einen solchen Bescheid, gegen den sie sich noch rechtlich hätte wehren können, habe sie nie erhalten, versicherte Abubakar den unangekündigten Besuchern. Sie hatte recht: Das entsprechende Schreiben hatte das Bamf an die Adresse der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Braunschweig geschickt, wo die Geflüchtete zunächst auch untergebracht war. Den Umzug nach Dassel hatte niemand dem Bundesamt mitgeteilt.
Abubakar hatte Glück. Die damalige Abschiebung sei abgebrochen worden, sagt die Göttinger Rechtsanwältin und Vorsitzende des niedersächsischen Flüchtlingsrates, Claire Deery. Inzwischen befinde sich die schwer traumatisierte Frau im Kirchenasyl. Ihr Asylverfahren läuft. Deery ist optimistisch, dass Abubakar ein Bleiberecht in Deutschland bekommen kann.
Flüchtlingsrat fordert „Adressermittlungspflicht“
Die Geschichte ist offensichtlich kein Einzelfall. Nach Angaben des Flüchtlingsrates erreichen immer mehr Schriftsätze und Bescheide des Bamf die Geflüchteten nicht, da deren Adresse der Behörde nicht bekannt ist. In der Konsequenz würden Asylverfahren eingestellt und Bescheide rechtskräftig, die die betroffenen Flüchtlinge niemals erreicht hätten.
Der Flüchtlingsrat fordert deshalb eine „Adressermittlungspflicht“ des Bundesamtes, sagt der Geschäftsführer des Rates, Kai Weber. Zudem müssten die Landesaufnahmebehörde und die örtlichen Ausländerbehörden verpflichtet werden, dem Bamf Adressänderungen von Flüchtlingen von Amts wegen mitzuteilen.
Rechtlich seien die Asylsuchenden verpflichtet, jede Änderung ihrer Adresse dem Bamf mitzuteilen, räumt Weber ein. Dies sei den Betroffenen oftmals aber nicht bewusst. Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass Geflüchtete oftmals erst nach mehreren Monaten auf die Kommunen verteilt und vorher lange zwischen verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen des Landes „hin- und hergeschoben“ würden.
So würden Geflüchtete zunächst in der Erstaufnahme Bad Fallingbostel/Oerbke untergebracht, anschließend zur Registrierung in die Messehallen nach Hannover geschickt und nach vier Wochen erneut nach Fallingbostel zurückverwiesen. Anschließend würden sie etwa der Stadt Hannover zugewiesen, mit Unterbringung in einer anderen Messehalle.
Aus dieser Halle heraus erhielten sie dann eine kommunale Unterkunft oder Wohnung. „Die ganze Verantwortung bei dieser selbst für Deutsche schwer durchschaubaren Behörden-Konstellation allein den Antragstellern aufzubürden, ist trotz der formalen Belehrungen durch das Bamf nicht in Ordnung“, findet Weber.
Nach geltendem Recht stellt das Bamf seine Bescheide und Schriftsätze grundsätzlich der Anschrift zu, die ihm zuletzt vom Antragstellenden oder einer öffentlichen Stelle mitgeteilt wurde. Zu weiteren Nachforschungen ist das Bamf nicht verpflichtet, wie das Bundesverwaltungsgericht 2020 geurteilt hat.
Keine Pflicht zu Nachforschungen
Auch sieht die Durchführungsanordnung des Bamf ausdrücklich vor, dass die Behörde nicht verpflichtet ist, eigenständig Nachforschungen zur Anschrift anzustellen oder eine Auskunft über das Ausländerzentralregister (AZR) einzuholen.
Die dort gespeicherten Daten seien dem Bamf, so heißt es in der Dienstanordnung, nicht zuzurechnen. Selbst wenn das Bamf aufgrund von früheren unzustellbaren Schreiben weiß, dass die letzte bekannte Adresse nicht mehr aktuell ist, sollen Schriftsätze und Bescheide ohne Anschriftenermittlung weiterhin an die letztbekannte Adresse geschickt werden. Die Anschrift zu ermitteln, sei nur in Widerrufsverfahren erlaubt.
Der Flüchtlingsrat bezeichnet die Aussage, dass Informationen aus dem Ausländerzentralregister dem Bamf nicht zuzurechnen seien, als „schlichten Unfug“: Wem denn sonst, wenn nicht dem Bundesamt, sollten die Daten denn sonst zugänglich sein, fragt Weber. Mindestens eine telefonische Nachfrage bei der Landesaufnahmebehörde oder bei der zuständigen Ausländerbehörde könne dem Bundesamt zugemutet werden. Eine solche reiche in der Regel auch aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr