Beschäftigte ein V-Mann NSU-Mitglieder?: Pflichten eines Spitzels
V-Leute können selbst entscheiden, was sie dem Verfassungsschutz mitteilen und was nicht. Das Problem ist eher der Apparat.
Wenn Marschner also im Bilde war, hätte er diese Infos dann an den Verfassungsschutz weiterleiten müssen? Eine gesetzliche Verpflichtung hierzu bestand nicht. Das V-Mann-Wesen war früher überwiegend nur durch Verwaltungserlasse ohne Außenwirkung geregelt. Das ändert sich langsam. Aber auch heute enthält das Verfassungsschutzgesetz keine Pflicht, dass V-Personen alles Relevante an ihren V-Mann-Führer weitergeben müssen.
Eine derartige Spitzelpflicht dürfte sich wohl nur aus den Vereinbarungen ergeben, in denen sich Verfassungsschutz und V-Leute zur Zusammenarbeit verpflichten. Wenn ein Spitzel seine Pflichten verletzt, würde er also vertragsbrüchig. Falls sein V-Mann-Führer das überhaupt merkt, könnte er die Zusammenarbeit beenden. Das würde er aber kaum tun, solange der Spitzel überwiegend zuverlässig und wahrheitsgemäß berichtet. De facto kann ein V-Mann deshalb weitgehend selbst entscheiden, welche Informationen er dem Verfassungsschutz liefert.
Ganz unabhängig vom V-Mann-Status kann aber eine strafbare Strafvereitelung vorliegen, wenn jemand einem flüchtigen Straftäter hilft, sich vor der Polizei zu verbergen. Das bloße Unterlassen einer Meldung an Polizei und Verfassungsschutz genügt dazu in der Regel nicht.
Informationen nicht genutzt
Wenn Marschner gewusst hätte, dass Mundlos immer wieder zum Morden fuhr, hätte er sich wegen „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ strafbar gemacht. Das allerdings ist sehr unwahrscheinlich. Soweit bisher bekannt, wussten wohl nicht einmal die Unterstützer der drei Untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, dass jene hinter der Ceska-Mordserie gegen migrantische Kleingewerbler steckten.
Marschner war im Übrigen nicht der einzige V-Mann im Umfeld des NSU. Nach den bisherigen Erkenntnisse, vor allem aus dem Thüringer Untersuchungsausschuss, haben die V-Leute durchaus relevante Tipps gegeben. Diese aber versandeten meist im Verfassungsschutz.
So wurde im Thüringer Landesamt der zuständige Auswerter von den Beschaffern oft nicht über die Spitzelberichte informiert. Und soweit er etwas erfuhr, schrieb er keine Auswertungsberichte. Zwar schaltete sich das Landesamt in die Fahndung ein, informierte dann aber aus Konkurrenz und um seine Quellen zu schützen kaum die Polizei. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz erfuhr wenig. Das Problem waren also nicht schweigsame Spitzel, sondern das Problem ist der paranoide Apparat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden