Berufung im G20-Prozess: Fischerhut auf Bewährung
Anhand seines Hutes wollen ihn Polizisten als G20-Flaschenwerfer identifiziert haben. Kein Knast wegen guter Sozialprognose.
Der 33-Jährige Angeklagte, den seine Unterstützer*innen Toto nennen, war wegen eines Flaschenwurfs beim G20-Gipfel zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Das Strafmaß war unter anderem so hoch ausgefallen, weil er damals unter Bewährung wegen eines Betäubungsmitteldelikts stand. Beide Seiten waren in Berufung gegangen. Laut der Verteidigung sei die Schuld Totos nicht bewiesen. Der Staatsanwaltschaft hingegen war die Strafe zu niedrig.
Am 7. Juli 2017 soll der 33-Jährige an der Ecke Altonaer Straße/Schulterblatt eine Flasche in Richtung eines Wasserwerfers und einiger Polizist*innen geworfen haben. Niemand wurde getroffen. Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft hatte sich in der ersten Instanz auf die Aussagen von zwei Polizisten gestützt, die den Mann anhand eines Fischerhuts in der Menge identifiziert haben wollen.
Allerdings ist unklar, ob Toto überhaupt einen Fischerhut trug, im Polizeiprotokoll steht davon nichts. Zudem dürfte er, wenn er einen solchen Hut trug, nicht der Einzige gewesen sein. Der modische Fehlgriff aus den 90er-Jahren ist ein beliebtes Accessoire bei Hooligans, Rapper*innen, Wutbürger*innen, aber auch in Teilen der linken Szene.
Keine Zeugen gehört
Gleich zu Beginn der Berufungsverhandlung machte Richter Carsten Engler deutlich, dass er kein Interesse daran habe, den ganzen Prozess wieder aufzurollen. Auf einen Freispruch brauche der Angeklagte nicht zu hoffen. Engler stellte aber in Aussicht, sich vielleicht auf eine Bewährungsstrafe einzulassen, wenn Toto das Urteil aus der ersten Instanz anerkenne.
Das käme allerdings einem Geständnis gleich – schwierig für jemanden, der auf seine Unschuld pocht. Und unmöglich für jemanden, der einen politischen Prozess im G20-Kontext führt und von der Roten Hilfe unterstützt wird.
Dennoch erkannte Totos Verteidiger Björn Elberling das Urteil widerstrebend an. Der Anwalt betonte aber: „Ich bin überzeugt, dass mein Mandant die Tat nicht begangen hat.“ Die Staatsanwältin forderte ein richtiges Geständnis und eine Entschuldigung, aber die gab es nicht.
Am Ende ließ sich der Richter trotz der Vorstrafen des Angeklagten von dessen guter Sozialprognose überzeugen. Der 33-Jährige sei nicht gut integriert, „sondern exzellent“, sagte Engler. Toto ist stellvertretender Betriebsrat bei einem Dienstleistungsanbieter, außerdem engagiert er sich bei der Gewerkschaft Ver.di. Die Kammer einigte sich auf eine vierjährige Bewährungsstrafe.
Verteidiger Elberling ist damit zufrieden, obwohl die Zweifel an den Polizeiaussagen und die fragwürdige Identifizierung anhand des Fischerhuts mit dem Urteil bestehen bleiben. Der Angeklagte selbst ist erleichtert: „Ich bin froh, dass es vorbei ist“, sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“