Berlins erstes queeres Jugendzentrum: Am Ende des Regenbogens

In Prenzlauer Berg öffnet ein Schutzraum für Jugendliche, die Hilfe beim Coming-Out brauchen. Das Angebot war lange überfällig, sagen Experten.

Diese Frau war bei der Eröffnung nicht zugegen. Aber ihre Gesichtsbemalung passt: schön bunte Sache, so ein queeres Jugendzentrum Foto: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Die Sonne klettert langsam die Häuserfassaden hoch. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) steht am pinkfarbenen Rednerpult des Jugendhauses, das demnächst ein queeres Jugendzentrum sein wird. Die kleine Bühne liegt unter freiem Himmel im ersten Untergeschoss, geschützt vor der Sonne oder fremden Blicken. Scheeres redet über Schutzräume für Jugendliche, die sich dem LSBTTIQ*-Spektrum zuordnen und Unterstützung brauchen bei der Entwicklung ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität, über queere Menschen, die von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind.

Dass aus dem Jugendhaus jetzt ein Jugendzentrum wird, sei ein wichtiger Schritt, aber es muss noch weitergehen: „Wir müssen zweigleisig fahren. Es braucht nicht nur ein landesweites queeres Jugendzentrum. Wir haben natürlich auch die Aufgabe, diese Themen in allen Jugendeinrichtungen und Schulen mitzudenken.“

Queere Jugendzentren gibt es bereits in anderen deutschen Großstädten: das „Anyway“ in Köln, „Diversity“ in München oder „Kuss41“ in Frankfurt am Main.

Aktuell arbeiten vier Personen hauptamtlich im Berliner Jugendhaus, das vom Jugendnetzwerk Lambda betrieben wird. Weitere 80 Ehrenamtler*innen sorgen für die Existenz der Einrichtung. Im Jugendhaus können sich queere Jugendliche treffen und austauschen, außerdem gibt es professionelle Beratung zum Beispiel zum Thema Coming-Out. Das Angebot wird im Schnitt von rund 100 Jugendlichen pro Woche genutzt.

Mit den 175.000 Euro können jetzt drei neue Teilzeitstellen geschaffen werden. Zwei Pädagog*innen und eine Verwaltungsstelle sind geplant. „Was wir dringend brauchten, war Zeit für niedrigschwellige Beratungsarbeit, für Tür-und- Angel-Gespräche“, sagt Kay-Alexander Zepp, Geschäftsführer von Lambda.

Angebote auch für Eltern

Durch die neuen Stellen können auch zwei Gruppentreffen verlässlich geplant werden. Ein Angebot richtet sich an transsexuelle und nichtbinäre Jugendliche unter 16 Jahren. Hier sei es wichtig, nicht nur ausgebildete Pädagog*innen zu beschäftigen, sondern auch Expert*innen für rechtliche Fragen der Selbstbestimmung von Minderjährigen. Die zweite Gruppe steht offen für queere Jugendliche mit Lernbehinderung. Diesen soll der Einstieg in die anderen Angebote erleichtert werden. Mit den neuen Mitteln könnten zudem Elternarbeit, Ausflüge oder Informationsbroschüren für andere Jugendinstitutionen ermöglicht werden.

Kay-Alexander Zepp, Lambda

„Wir brauchen niedrigschwellige Beratungsarbeit“

„Der Bedarf für ein solches Jugendzentrum ist definitiv vorhanden“, sagt auch Thomas Schwarz, Projektleiter Aufklärung und Sensibilisierung beim Berliner Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Schwarz geht regelmäßig in Schulen und arbeitet dort in Workshops zum Thema sexuelle Vielfalt. Statistisch seien in jeder Schulklasse ein bis zwei Jugendliche betroffen. „Und wenn ich denen jetzt eine konkrete Adresse an die Tafel schreiben kann, die sich jeder heimlich abschreiben kann – das ist auf jeden Fall ein Schritt nach vorne.“

Rot-Rot-Grün hatte sich den Ausbau der queeren Jugendarbeit 2016 ausdrücklich in den Koalitionsvertrag geschrieben und dafür entsprechende Haushaltsmittel bereitgestellt: jeweils 175.000 Euro pro Jahr gibt es in 2018/19 nun alleine für das queere Jugendzentrum. Hintergrund für die Anstrengungen ist auch, dass die Suizidrate bei queeren Jugendlichen signifikant erhöht ist: Laut einer – allerdings bereits aus 2011 datierenden – Analyse des Deutschen Jugendinstituts ist sie viermal so hoch wie bei gleichaltrigen heterosexuellen Jugendlichen. Knapp ein Fünftel der Befragten hatte demnach mindestens einen Suizidversuch hinter sich.

Schwarz vom LSVD sagt, viele Jugendliche würden sich aus Unsicherheit „niemals vor ihren Klassenkameraden oder Freunden outen“ und orientierten sich deshalb im Internet. „Es ist aber wichtig, dass es auch einen analogen, sicheren Ort gibt, an dem sich die Jugendlichen treffen können“, sagt Schwarz. Gerade weil die digitale Welt da oft undurchsichtig sei und man schnell mal bei Websites „mit einer sexuellen Komponente“ lande, sagt Schwarz.

Zu wenig Platz

Mit dem Geld kann nun zwar mehr Personal bezahlt werden, aber das zweistöckige Backsteinhaus in der Sonnenburger Straße platzt bereits aus allen Nähten. Auf einer Etage beherbergt es eine Bibliothek sowie ein kleines Café. Auf der anderen befinden sich ein Büro- und ein Beratungsraum. Ein Jugendzentrum im Handtuchformat.

„Wir brauchen mehr Platz. Viel mehr Platz! Es kann aktuell nur eine Veranstaltung oder eine Gruppe stattfinden“, sagt Jonatan, seit Ende 2017 im Vorstand von Lambda. Selbst der kleine Garten könne das nicht kompensieren, für manche Veranstaltungen brauche es geschlossene Räume. Im Winter sowieso.

Kay-Alexander Zepp freut sich über die finanzielle Stärkung, aber ein bisschen träumt er auch von einem queeren Haus für Berlin. Als Vorbild dient eine Einrichtung im kanadischen Toronto. Eine Einrichtung, die sich nicht nur Jugendlichen widmet, sondern auch queeren Senior*innen, Geflüchteten und anders Mehrfachdiskriminierten.

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