Berlins Wahlleiter Stephan Bröchler: Der heimliche Wahlsieger
Die Wiederholungswahl zu organisieren war eine „Herkulesaufgabe“, hat Stephan Bröchler gesagt. Alles deutet darauf hin, dass er sie gemeistert hat.
Der 60-jährige Bröchler, erst seit Oktober Berlins Landeswahlleiter, war nun verantwortlich dafür, dass die Abstimmungen zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksparlamenten im zweiten Anlauf ordentlich über die Bühnen gehen. Eine „Herkulesaufgabe“ nannte er das im Vorfeld, allein schon deshalb, weil sonst mindestens ein Jahr Zeit dafür ist. Diesmal blieben ihm nur drei Monate.
Doch am Wahlabend sieht es ganz so aus, als habe er diese Aufgabe gemeistert. Von größeren Pannen ist den Tag über nichts zu vernehmen, obwohl Journalist*innen aller größeren Medien in der ganzen Stadt ausgeschwärmt waren auf der Suche etwa nach Schlangen vor den Wahllokalen. „Die Wahl in den 2.257 Berliner Wahllokalen verläuft bisher ruhig“, konnte Bröchler am Nachmittag vermelden. Er ist damit – sollte es bei dieser Bilanz bleiben – der große Sieger dieses 12. Februars neben Kai Wegner, dessen CDU stärkste Partei wurde.
Bröchler ist Politikwissenschaftler, Fachgebiet: Regieren. In den vergangenen 15 Jahren lehrte er an vielen Unis, bis er 2020 endlich eine akademische Heimat an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht fand. Nach der Pannenwahl im September 2021 wurde er Teil einer 13-köpfigen Expert*innenkommission, die im Auftrag des Senats untersuchte, was künftig anders laufen müsse bei Wahlen. Das Urteil der Kommission fiel harsch aus – und am Ende bekam Bröchler das Angebot, neuer Landeswahlleiter zu werden.
Kleine Berühmtheit
Er wurde schnell zu einer kleinen Berühmtheit im politischen Berlin mit seinen stets gut besuchten Pressekonferenzen schon im Vorfeld der Wahl: Schließlich wurde die Frage, wer diese Wahl gewinnt, lange überlagert von der Frage, ob sie überhaupt klappt. Sogar eine Autogrammanfrage habe er schon bekommen, erzählte er im taz-Gespräch. Dabei ist Bröchler so unprätentiös und unauffällig, wie man es im Scheinwerferlicht nur sein kann.
Mit der Nüchternheit eines Wissenschaftlers analysierte Bröchler die Knackpunkte der Wahlorganisation, kümmerte sich um vermeintlich banale Aufgaben wie Papierbestellungen, versuchte Absprachen zwischen Bezirken und Land verbindlich zu bekommen, bot neue Schulungen an. Ein „Fest der Demokratie“ sollten die Wahlen wieder werden, das war sein Ziel. Damit wollte er den Vertrauensverlust, den die Berliner Verfassungsrichter nach dem Wahldebakel konstatiert hatten, ausgleichen. Wobei kleinere Pannen immer vorkämen, wie Bröchler nicht müde wird zu betonen: Er spricht lieber von „reibungsarmen“ Wahlen.
Viel spekuliert wurde im Vorfeld auch über die Wahlbeteiligung: „70 Prozent wäre mein Traumziel“, hatte Bröchler der taz gesagt, aber selbst mit 60 Prozent sei er noch glücklich. Laut Forschungsgruppe Wahlen lag die Wahlbeteiligung bei 65 Prozent – deutlich weniger als 2021 und 2016. Aber dieser Wahltag war ja nur der erste von vielen in der nächsten Zeit. Ende März wird über den Klimavolksentscheid abgestimmt; auch die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl steht an. Und in gut einem Jahr sind Europawahlen. Viele Möglichkeiten, das Wählen weiter zu üben – für Bröchler und die Berliner*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht