piwik no script img

Berlins Staatssekretär für Wohnen„Im Herzen bin ich Punk geblieben“

Sebastian Scheel ist Staatssekretär für Wohnen. Die Erwartungen an den Nachfolger von Andrej Holm sind vor allem in der MieterInnenbewegung hoch.

„Geblieben ist meine Haltung, sich nicht zu sehr abhängig zu machen. Vor allem nicht von materiellen Sachen“: Sebastian Scheel Foto: dpa

taz: Herr Scheel, Sie sind gerade erst nach Berlin gezogen. Haben Sie schon eine Wohnung gefunden?

Sebastian Scheel: Ich hatte nicht viel Zeit, mich auf den Wechsel vorzubereiten, und bin glücklich, erst mal bei einer Freundin wohnen zu können Meine Familie lebt noch in Dresden.

Die eigentliche Suche kommt noch?

Jetzt will ich erst mal in die Arbeit reinkommen. Mit meiner Frau bin ich so verblieben, dass wir uns in drei bis sechs Monaten dann mit dem richtigen Umzug nach Berlin beschäftigen.

In welchen Bezirk denn? Mitte, Kreuzberg, Köpenick?

Das mache ich vor allem an der Nähe zum Dienstort fest, ich schaue hier in Wilmersdorf. Es wäre einfach praktisch, damit ich abends nicht noch ewige Fahrzeiten habe.

Wie schwierig ist es, als Staatssekretär für Wohnen nach Berlin zu kommen, als Nachfolger eines Mannes, der viel Wirbel gemacht hat. Sagen die Leute: ah, der neue Andrej Holm?

Geblieben ist die Haltung, sich nicht zu sehr abhängig zu machen

Auf jemand, der selbst nicht aus der Stadt kommt, sind erst mal alle neugierig. Das ist ein Privileg. Andrej Holm ist Stadtsoziologe, das bin ich nicht. Ich komme auch nicht aus der Mietenbewegung. Es war, glaube ich, eine gute Entscheidung, niemanden zu suchen, der so ist wie Andrej Holm, das kann nur schiefgehen. Wir haben einen guten Gesprächskontakt.

Sie haben sich schon kennengelernt?

Ja.

Mit Andrej Holm waren viele Hoffnungen verbunden. Vor allem bei den mietenpolitischen Initiativen. Die Ansprüche gibt es ja weiterhin.

Die Berufung von Andrej Holm war ein großes Symbol. Für die Mietenbewegung. Für die Senatorin. Aber der Koalitionsvertrag spricht eine klare Sprache. Das wollen wir hier in der Senatsverwaltung umsetzen, sowohl in der Kommunikation mit den Wohnungsbaugesellschaften und den Mieterinitiativen als auch gesetzgeberisch.

Scheels Vorgänger Andrej Holm bei einer Diskussion Foto: dpa

Haben Sie auch schon zu Kotti und Co. Kontakt aufgenommen?

Ja, ich hatte auch schon Gespräche mit den Kollegen von Kotti und Co.

Andrej Holm war derjenige, der die Wende in der Wohnungspolitik konzeptionell gestalten sollte. Macht das jetzt die Senatorin, und Sie sind derjenige, der es administrativ unterlegt?

Ich glaube, rein administrativ funktioniert das auf Dauer nicht. Ich habe sehr schnell mitbekommen, dass man sich ziemlich tief in die Themen reinbegeben muss. Die Dichte, in der man hier mit Themen, Informationen und auch mit Personen konfrontiert wird, haben ich so noch nicht erlebt. Als Abgeordneter bräuchte man wahrscheinlich zwei Jahre, um sich da einzuarbeiten. Hier hat man dafür zwei Wochen. Anders als in Sachsen ist ein Staatssekretärsposten in Berlin auch kein unpolitischer Posten.

Haben Sie selbst den Anspruch, politische Akzente zu setzen?

Ich habe einen Gestaltungsanspruch. Ich möchte mitwirken und mitdiskutieren. Aber es ist auch klar, dass es einen Rahmen gibt. Erst mal muss der Laden laufen.

Vom Parlamentarischen Geschäftsführer zum Staatssekretär – ist das für Sie ein Karriereschritt?

So habe ich es nicht gesehen. Das ist eine andere Tätigkeit, eine andere Herausforderung. Das hat mich gereizt. Die andere Seite kennenzulernen und auch die Gestaltungsoption. Was ist machbar?

Im Interview: Sebastian Scheel

geboren 1975 im brandenburgischen Wriezen, studierte Politik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie in Leipzig. 2004 zog er für die Linkspartei in den Sächsischen Landtag ein. Zuletzt war er Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion – bis ihn die Linke im Februar als Staatssekretär für Wohnen nach Berlin holte.

Wer hat den Kontakt zu Ihnen aufgenommen? Klaus Lederer, sozusagen die Frankfurt-Oder-Connection? Von Nachwendepunk zu Nachwendepunk?

Die Senatorin, das ist ja auch ihr Job.

Wie lange haben Sie gebraucht, um ja zu sagen?

Fragen Sie mal lieber, wie viel Zeit ich hatte.

Wie viel Zeit hat Ihnen die Senatorin gegeben?

Zwei Tage.

Haben Sie die gebraucht?

Nicht ganz. Ich habe natürlich mit meiner Partnerin gesprochen. Das ist ja ein Einschnitt. Wir haben ja ein kleines Kind und meinen Sohn aus einer früheren Beziehung, das musste alles bedacht und organisiert werden.

Sie sagen von sich, obwohl Sie nicht so aussehen, Sie seien ein Punk. Was ist an Ihnen punkig?

Ich hab mal gesagt: Im Herzen bin ich Punk geblieben. Rein äußerlich bin ich natürlich kein Punk mehr. Ich hab keine langen Haare mehr, die hatte ich mal. Ich fahr auch nicht mehr mit dem Moped in eine Dorfkneipe und guck mir die Skeptiker an. Und beim Pogen, das hab ich vor einer Weile schon festgestellt, halte ich nicht mehr durch. Aber geblieben ist die Haltung, sich nicht zu sehr abhängig zu machen. Vor allem nicht von materiellen Sachen. Da gibt es ein schönes Zitat: „Alles, was du hast, hat irgendwann dich.“

Sie fahren schöne Autos und tragen schicke Klamotten – wie passt das zusammen?

Sie kennen doch mein Auto gar nicht.

Stimmt, haben wir nur gelesen.

Das war in diesem Porträt in der Zeit. Ich finde, ich habe ein schönes Auto, aber ich werde es wahrscheinlich abgeben, weil ich es hier gar nicht brauche. Ob das zusammenpasst? Ich könnte auch sagen: Wichtig ist nicht, was die Leute sagen, sondern ob es mir gefällt. Und vielleicht sage ich in solchen Fällen ja auch: dann erst recht.

Aber auch in der Linkspartei gab es diese Kritik.

Protest gegen Verdrängung in Kreuzberg Foto: dpa

Ja, da sagte mir einer, mir würde die rote Seele fehlen. Ich selbst würde das nicht so sehen, aber natürlich ist es die Frage, welchem Uniformitätsdruck man nachgibt. Den gibt es in der Linken natürlich genauso wie in anderen Parteien. Da hilft es nur, authentisch zu bleiben. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, ob das einem schadet, hat man schon verloren.

Ist es also punkig, in der Linkspartei nicht mit Kapuzenpulli zu kommen, sondern im Anzug?

Es gibt in der Linken bestimmt einige Leute, die noch viel bessere Klamotten tragen, als ich das tue. Aber offensichtlich bin ich derjenige, bei dem das inter­essant wurde.

Sie waren in den neunziger Jahren jung und rebellisch. Hatte da die PDS, Gysis bunte Truppe, einfach das bessere Angebot als die SPD und die Grünen?

In der Wendezeit und danach sind die Autoritäten und Leitfiguren weggebrochen. Ich bin damals in den Schülerrat gegangen. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, wie der Unterricht in Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde (LER) aussehen kann. Da war der natürliche Bündnispartner die PDS. Überhaupt gab es in Frankfurt (Oder) nicht so viele Optionen. Anfang der neunziger Jahre warst du entweder Nazi oder Antifa. Wenn man da bestimmte Einstellungen hat …

Was waren denn Ihre Einstellungen?

Damals?

Damals und heute.

Der Wert des einzelnen Menschen bewegt mich noch immer. Wie geht man mit den Zwängen um? Wie viel Verantwortung habe ich selbst für mein Leben, wie viel das Drumherum? Also der Kapitalismus und die Widrigkeiten des Lebens. Und inwieweit ist der Staat in der Lage, da einzugreifen, um sich der Lebensrisiken und Probleme anzunehmen? Der Staat sollte meines Erachtens ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen verwirklichen können. Deshalb bin ich auch Reformer und kein Revolutionär. Ich bin überzeugt, dass wir eines der besten politischen Systeme haben.

Schon damals in den Neunzigern?

Damals war das alles etwas revolutionärer geprägt. Wir hatten in Frankfurt (Oder) ja auch besetzte Häuser. Da habe ich mich auch rumgetrieben. Das war für mich eine prägende Zeit.

Bis heute?

Ich glaube, dass es nicht funktioniert, wenn ein Teil der Gesellschaft abgekoppelt wird, weil er nicht mehr gebraucht wird, und ein anderer Teil sich auskoppelt, weil er es nicht mehr nötig hat. Da bricht auch etwas auseinander. Wir brauchen mehr Angleichung. Eine Gesellschaft, die Unterschiedlichkeit ermöglicht, aber in der jeder noch das Gefühl hat, zum gleichen Laden zu gehören, seinen Platz zu haben.

Das hätte Martin Schulz jetzt genauso sagen können.

Offenbar hat die SPD jetzt soziale Themen wiederentdeckt. Da bin ich gar nicht böse.

Wie passt in all diese Überzeugungen Ihre Zeit bei den Mormonen hinein?

Normalerweise sind Autoritäten wie Schule oder Eltern dazu da, Klarheiten zu bieten. Aber das war ja alles nicht mehr da. Die Zeit nach der Wende war eine Zeit, in der vieles möglich war. In der Zeit waren auch die Mormonen massiv aktiv. Nette, junge Männer, die Sport und Englisch angeboten haben.

Wie haben Sie die kennengelernt?

Die sind missionieren gewesen. Dann hab ich bei denen Englisch gelernt. Und auch alles andere ausprobiert. Nach ein paar Jahren habe ich aber festgestellt, dass ich diesen Glauben zu Gott als höherem Wesen, das unser Leben und Handeln bestimmt und begleitet, einfach nicht entwickeln konnte. Dabei habe ich vieles mitgemacht, was zu diesem Club dazu gehört: Abendmahl gesegnet, patriarchalen Segen in Berlin bekommen.

Hat dann die Politik die Leerstelle gefüllt?

Brechen jetzt sonnige Zeiten für MieterInnen an? Foto: dpa

Ich war immer schon politisch. War im Landesschülerrat, dann kamen die Mormonen und später die Partei dazu.

Nun steht vor Ihnen in Berlin eine Herkulesaufgabe. Was ist Ihnen wichtiger: sich um die zu kümmern, die in Berlin leben und steigenden Mieten ausgesetzt sind? Oder konzentrieren Sie sich lieber auf den Neubau?

Sowohl als auch. Die „Natives“ dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass ihnen ihre Heimat streitig gemacht wird. Wenn aber 50.000 Menschen jährlich neu in die Stadt kommen, müssen wir für die Wohnraum schaffen, damit der Druck auf die, die schon da sind, nicht noch größer wird. Wir müssen auch deshalb neu bauen, um den Anteil der sozialen Wohnungen für die zu halten, die diese brauchen. Auch das ist nicht einfach, weil wir wissen, dass Jahr für Jahr viele tausend Wohnungen aus diesem Segment herausfallen.

Werden Sie die Arbeit des ehemaligen Staatssekretärs Engelbert Lütke Daldrup, der ja eine „Fabrik“ für Bebauungspläne gründen wollte, fortsetzen?

Der Kollege Vorvorgänger hat die Frage des Neubaus vielleicht ein bisschen einseitig betrachtet. Natürlich muss man sich auch um den Bestand kümmern, die Berliner Mischung erhalten. Das darf nicht aus dem Gleichgewicht laufen. Ich glaube auch nicht, dass ich ausschließlich als „Baumann“ nach Berlin geholt worden bin. Aber eins ist klar: Wir werden parallel arbeiten. Sowohl an der Frage, wie der soziale Wohnungsbau der Vergangenheit gesichert werden kann. Aber wir treiben mit den Wohnungsbaugesellschaften auch den Neubau voran.

Dann gibt es noch die privaten Investoren …

… bei denen wir schauen müssen, wie wir über das Planungsrecht mehr bezahlbaren Wohnraum bekommen. Deshalb werden wir auch die B-Plan-Fabrik, die der Kollege Lütke Daldrup eingeführt hat, weiterführen.

Messen Sie sich an den 30.000 Wohnungen, die im Koalitionsvertrag stehen? Sagen Sie da, wenn wir die nicht schaffen, hab ich auch als Staatssekretär meinen Job nicht richtig gemacht?

Natürlich. Deshalb habe ich auch vor, den Jour fixe mit den Wohnungsbaugesellschaften weiterzuführen. Wir müssen das gemeinsam schaffen. Nicht im Konflikt, sondern im Einvernehmen.

Und dann sollen auch noch die Bürger stärker beteiligt werden. Das bremst den Neubau.

Der Kern wird sein, inwieweit es den Gesellschaften gelingt, den Mehrwert und den Nutzwert für die Bewohner deutlich zu machen. Da kommt ja manchmal auch neues Leben in manche Quartiere.

Wie reagieren die Geschäftsführer der Gesellschaften, wenn Sie eine bessere Kommunikation fordern?

Bisher habe ich das Gefühl, dass die Wohnungsbaugesellschaften ein großes Interesse daran haben, gemeinsam daran zu arbeiten. Ich habe noch keinen erlebt, der da gemauert hätte. Den ein oder anderen muss man vielleicht etwas mehr unterstützen. Aber im Großen und Ganzen sind wir da auf einem guten Weg.

Wird das Thema Bürgerbeteiligung auch in der Vereinbarung stehen, die Sie in den kommenden Tagen mit den Wohnungsbaugesellschaften unterzeichnen wollen?

Sie können davon ausgehen, dass auch dieser Punkt enthalten sein wird. Aber das muss alles auch noch in den Aufsichtsräten abgestimmt werden.

Und was steht sonst noch drin? Außer der bereits bekannt gewordenen Einigung auf Miet­erhöhungen von maximal 2 Prozent pro Jahr?

Das kann ich jetzt nicht vorwegnehmen. Nur so viel: Es sind gute Kompromisse gelungen. Nicht gegen die Gesellschaften, sondern mit ihnen.

Was ist denn für Sie die größere Herausforderung: die doch sehr sozialdemokratisch geprägten Wohnungsbaugesellschaften an die Hand zu nehmen? Oder die doch sehr sozialdemokratisch geprägte Bauverwaltung?

Ich habe sowohl bei den Unternehmen als auch in der Verwaltung Leute kennengelernt, die Lust haben, an der Gestaltung der Stadt teilzuhaben. Die bereit sind, sich neben dem Konsolidierungskurs den neuen Aufgaben zu stellen. Natürlich gibt es da unterschiedliche Vorstellungen. Ich glaube allerdings nicht, dass das was mit der Sozialdemokratie zu tun hat.

Und hier in der Senatsverwaltung?

Da gibt es Leute, die schon lange da sind und natürlich ihre Netzwerke haben. Aber ich nehme es nicht so wahr, dass die Mitarbeiter nicht bereit wären, mit mir zu kooperieren.

Bei allem, was da noch auf Sie zukommt: Wovor haben Sie am meisten Respekt?

Die Vielzahl der Akteure ist natürlich eine große Herausforderung. Wir haben es mit sechs Wohnungsbaugesellschaften zu tun, dann kommen noch Verbände dazu und die zivilgesellschaftlichen Strukturen – die sind in Sachsen nicht ganz so ausgeprägt wie hier. Der Koordinationsaufwand ist schon immens.

Stehen Sie den zivilgesellschaftlichen Akteuren offen gegenüber?

Natürlich bin ich offen, mit den Kollegen zu reden, und habe es auch schon getan. Mir ist klar, dass die Linke, will sie erfolgreich sein, Unterstützung aus den Mieterinitiativen braucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.