Berlins Kultursenator im Interview: „Ich werde Vollgas geben“
Joe Chialo (CDU) will die Kultur in der Stadt resilienter machen. Im Fall Rammstein hofft er auf Selbstverpflichtung der Musikindustrie.
taz: Herr Chialo, am Anfang Ihrer Amtszeit haben Sie gesagt, in der Berliner Kultur wird nichts so bleiben wie es ist. Was meinten Sie damit genau?
Joe Chialo: Ich habe mir zunächst angeschaut, wo wir eigentlich stehen. Damals musste ich davon ausgehen, dass die Mittel nicht in der Form zur Verfügung stehen werden, wie wir es uns gewünscht haben. Das galt es ehrlich zu kommunizieren und Erwartungsmanagement zu betreiben.
Es gibt jetzt sogar mehr Geld für Kultur als im letzten Haushalt. Wie hart war der Kampf?
Wirklich hart. Und wir haben uns im Grunde genommen nur kurzfristig Spielräume erkämpft. Die müssen wir jetzt nutzen, um Strukturen zu schaffen, die die exzellente Kultur in Berlin resilient machen. Die nächsten Jahre werden schwierig werden.
Wie kann das aussehen: die Kultur resilienter machen?
Uns stehen jetzt die Mittel zur Verfügung, mit denen die Freie Szene, die Opernhäuser, die Musikschulen und die Einzelkünstler ohne akute Sorgen weiterarbeiten können. Wir können jetzt gemeinsam Pläne entwickeln, Dinge strukturell verändern, vor allem aber auch überlegen, was wir unbedingt brauchen und worauf wir verzichten können. Ich habe zum Beispiel mit den Opernhäusern gesprochen. Diese Einrichtungen funktionieren oft wie Publikumsmagnete und könnten auch durch Kulturschaffende aus der Freien Szene sinnvoll und gewinnbringend genutzt werden. Die Opernhäuser würden davon ebenso profitieren, wenn sie neue Zielgruppen gewinnen wollen. Das sollten und müssen sie auch, wenn man auf ihre teilweise recht homogenen Publikumsstrukturen blickt. Ich denke, die Freie Szene wäre für diesen Prozess ein guter Impuls. Also insgesamt eine Win-win-Situation. Diese Schritte gehören dazu, damit die Kultur in Berlin ihre Synergien findet und nutzt – und resilient wird.
Sie kommen ja aus der kommerziellen Musikindustrie. Gehört für Sie zu Berlins exzellenter Kunst auch die alternative Szene – die, die der Politik auf die Finger klopft?
Exzellent ist für mich nicht nur Hochkultur oder kommerzielle Kultur. Exzellent ist für mich auch die Kultur, die mit den Menschen in den Diskurs tritt, die uns zum Nachdenken anregt und die den gesellschaftlichen Zusammenhalt vorantreibt. Das ist auch eine Form von Exzellenz, die geschützt und gestützt werden muss.
Diese Art der Kultur leidet am meisten unter teuren Mieten. Was werden Sie für die tun?
Ich war erst wenige Tage im Amt, da kam ein Hilferuf der Uferhallen. Eine Auseinandersetzung zwischen dem Investor, der diese Liegenschaft gekauft hat, und den Künstlern, die dort arbeiten und dort eins dieser kulturellen Biotope geschaffen haben, die Berlin seit den 90ern so vital machen.
Joe Chialo
ist seit April Kultursenator von Berlin. Er wurde 1970 als Sohn einer tansanischen Diplomatenfamilie in Bonn geboren, besuchte ein Ordensinternat in Köln. Es folgte eine Ausbildung zum CNC Fräser und ein Studium in Erlangen mit den Fächern Geschichte, Politik und wirtschaftliche Staatswissenschaften. Chialo machte selbst Musik und arbeitete zeitweise als Musikmanager. In den 1990ern war er Grünen-Mitglied. Zur CDU kam Chialo 2016, 2021 war er Direktkandidat für die Bundestagswahl in Spandau, 2022 in den Bundesvorstand der CDU gewählt. (taz)
Und, konnten Sie die Uferhallen retten?
Orte wie die Uferhallen haben den Ruf der Stadt mitbegründet. Und der Konflikt darum schwelt schon lange. Ich habe also nach einem neuen Ansatz und dem direkten Kontakt zu Alexander Samwer gesucht…
… dem damaligen Mitbegründer von Zalando…
… und er hat mir zugesichert, dass es keine kurzfristigen Kündigungen geben wird. Nach vielen Gesprächen mit allen Beteiligten soll es jetzt zum Ende des Jahres einen Mietvertrag geben, der dieses Quartier für Künstlerinnen und Künstler sichert. Wir sind bereit, die Verantwortung für die Sicherung dieser Kulturräume zu übernehmen, indem wir als Land Berlin direkt mit den Eigentümern einen Mietvertrag abschließen wollen.
Das löst aber nicht das allgemeine Raumproblem.
Wir haben bei den Uferhallen im Großen gezeigt, wie man das Problem auch im Kleinen angehen kann. Es geht immer nur, wenn man die Beteiligten an einen Tisch setzt und sich auf Lösungen konzentriert. Aber es ist natürlich keine Frage, dass wir in Berlin ein Raumproblem haben. Wir haben etwa Liegenschaften im Landesbesitz, die entwickelt werden müssten, aber leider nicht genügend Haushaltsmittel, um dies umfassend zu tun. Auch Erbpacht ist ein Modell, das etwa für die Standortentwicklung des ICC interessant sein könnte. Wir brauchen die gesamte Palette an gangbaren und kreativen Lösungsmöglichkeiten, um die fehlenden Kulturräume weiterzuentwickeln.
An anderen Orten, die entwickelt werden müssten, findet jetzt bereits subkulturelle Zwischennutzung statt, zum Beispiel in der Alten Münze. Wird dies weiterhin möglich sein?
Ich werde im Rahmen dessen, was mein Haushalt hergibt und was ich dazu als Senator leisten kann, Vollgas geben. Aber zur Wahrheit gehört auch: Der Staat kann nur Rahmenbedingungen setzen. Die Künstler selbst müssen mit dem, was sie machen, auch Widerhall finden. Nehmen wir die Arbeitsräume, die Berlin dringend braucht. Wir haben jetzt etwa 2.000 in Betrieb, 500 weitere sind in Arbeit. Bis zum Ende der Dekade haben wir uns das Ziel gesetzt, die bereitgestellten Räume für Kulturschaffende zu verdoppeln. Damit arbeiten wir nicht nur in Richtung Kunstförderung, sondern wir schaffen auch ganz handfeste Infrastruktur. Also Orte, an denen Kunst entstehen kann, die einem internationalem Publikum zur Verfügung gestellt wird.
Wir müssen dringend über Rammstein sprechen. Ihr Vorgänger Klaus Lederer (Linke) war ja sehr fleißig in der Installation von Strukturen in Kulturinstitutionen, die Machtmissbrauch vorbeugen. Nun kommt die Debatte auch in der privaten Kulturindustrie an. Was wollen Sie hier tun?
Das ist noch immer ein großes Problem, auch in den Kulturinstitutionen. Und da müssen wir noch deutlich mehr machen. Im Fall Rammstein haben wir die Aussagen von Frauen, die geschildert haben, was ihnen widerfahren ist. Dritte haben daraufhin Strafanzeige gestellt und die Berliner Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Aber bislang laufen die Ermittlungen noch. Und in Deutschland gilt für jede und jeden die Unschuldsvermutung. Das hat gute Gründe und das müssen wir auch so akzeptieren, auch wenn meine Sympathie ganz klar bei den mutmaßlichen Opfern liegt.
Aber wie kann man solche Vorfälle verhindern? Gibt es ein Konzept, Awareness-Strukturen verpflichtend zu machen?
Die Hauptmotivation in der Privatwirtschaft bei solchen Veranstaltungen ist es, Geld zu verdienen. Wenn Veranstalter erkennen, dass solche Vorfälle dazu führen, dass weniger Menschen zu den Konzerten kommen und die Kritiken schlecht sind, dann werden sie Dinge ändern.
Das war aber nicht so bei den Rammstein-Konzerten vor wenigen Tagen in Berlin. Da hat es gebrummt, trotz allem.
Die Konzerte waren schon lange im Vorverkauf und bereits vor Bekanntwerden der Vorwürfe ausverkauft. Und trotzdem: Es darf so etwas wie die Row Zero bei Rammstein nicht geben und After-Show-Partys müssen vom Veranstalter so organisiert werden, dass sich alle Menschen sicher fühlen können.
Also keine Verpflichtung zu Awareness-Teams?
Es sollte den Veranstaltern obliegen, welche Maßnahmen sie ergreifen. Ich würde niemanden politisch zum Einsatz von Awareness-Teams zwingen wollen. Primär ist doch wichtig, dass sich die Menschen sicher fühlen können.
Freiwillige Verpflichtung funktioniert aber nur selten.
Ich stehe da vor einem Dilemma. Ich habe bei der CDU, nachdem wir festgestellt haben, dass wir mit Freiwilligkeit bei der Frauenquote nicht weiterkamen, dafür gestimmt, dass eine Frauenquote Pflicht wird. Trotzdem bin ich grundsätzlich immer für Änderungen aus Einsicht. Ich weiß, dass es in München Awareness-Teams bei den Rammstein-Konzerten gab. Aber ich weiß nicht, wie viel das für das Sicherheitsempfinden der Besucher gebracht hat. Wenn es hilft, dann wäre es sicher eine von mehreren möglichen Optionen.
Sie sind in Deutschland geboren, als Kind eines Botschafters bis zu Ihrem achten Lebensjahr zwischen Tansania und Deutschland gependelt, um dann ganz in Deutschland zu bleiben. Stört es Sie, als Quoten-Schwarzer der CDU bezeichnet zu werden?
Ich bin der Sohn eines ehemaligen Botschafters eines Entwicklungshilfelandes. Das war ein Statusprivileg, aber keines im wirklichen Leben. Mir braucht deshalb niemand etwas über Unterprivilegiertheit zu erzählen. Für mich ist wichtig, etwas aus sich zu machen. Das ist, was einem Respekt in der Gesellschaft einbringt. Wenn dann trotzdem jemand einen Quoten-Schwarzen in mir sieht, lasse ich das als unterkomplexe Meinungsäußerung gerne so stehen.
Warum sind Sie eigentlich in der CDU? Einer Partei, in der es ja durchaus rassistische Tendenzen gibt.
Ist das so? Es gibt in der CDU sicher Menschen, die sich an den Rändern bewegen, aber da von rassistischen Tendenzen zu sprechen, ist nun wirklich stark übertrieben! Ich war vor vielen Jahren Mitglied bei den Grünen, die sich das Thema Diversität groß auf die Fahnen schreiben. Und wie war es dann, als es darum ging, die Ministerposten zu verteilen? Annalena. Robert. Steffi. Anton. Cem Özdemir musste einen Roundhouse-Kick machen, damit er dieses Amt als Landwirtschaftsminister bekommt. Wenn es an die Fleischtöpfe geht, ist da nicht mehr viel mit Diversität.
Deswegen muss man ja nicht gleich zur CDU gehen.
Ich bin christlich geprägt, bin von Priestern großgezogen worden, das hat einen starken Einfluss auf mich und die Art, wie ich denke und handle. Danach war ich bei der IG Metall, bei den Grünen, habe Crossover-Musik gemacht. Ich hatte zu dieser Zeit ganz sicher keine Freunde, die irgendwie offen konservativ waren. Und trotzdem haben meine Kindheit und Jugend meine Wertvorstellung geprägt, die für mich auch heute noch ein starkes Fundament ist. Ich zähle in der CDU nicht zu den Konservativen, auch nicht zu den Liberalen oder Christlich-Sozialen. Ich fühle mich dem C verpflichtet und da fließen alle drei Strömungen mit rein. Ich habe ein Anliegen, weswegen ich in die Politik gegangen bin, nicht um dort Karriere zu machen.
Welches Anliegen ist das?
Ich habe in der Corona-Zeit gesehen, wie die Veranstalter die besten Konzepte geliefert haben, aber kein Politiker ihnen zugehört hat. Aber auch wie es für die Künstler ist, wenn sie ihre Kunst nicht mehr mit der Öffentlichkeit teilen können. Da habe ich gemerkt: Wenn wir uns in Zeiten, in denen es uns gut geht, nicht darum kümmern, dass wir mit an dem Tisch sitzen, an dem entschieden wird, brauchen wir uns auch in schlechten Zeiten nicht zu beschweren, wenn uns niemand zuhört.
Aber ist das nicht schwierig in einer Partei, die zunehmend in das AfD-Horn bläst?
Das ist doch nicht wahr! Die CDU ist eine Volkspartei mit engagierten Mitgliedern die sich auf allen Ebenen für ein demokratisches Miteinander einsetzte. Wir haben in Deutschland sehr unterschiedliche Lebensrealitäten. Wenn wir doch merken, dass die Gesellschaft in Deutschland sich so krass auseinanderentwickelt, dass es zwischen Ost und West, Jung und Alt, Migranten und Nicht-Migranten total unterschiedliche Wahrnehmungen gibt, dann muss man immer wieder den Dialog suchen, auch und gerade mit Menschen, deren Meinung man nicht teilt. Der Gesprächsfaden darf nicht abreißen, sonst entfernen wir uns als Gesellschaft immer weiter voneinander.
Auch mit Friedrich Merz?
Ich mag es nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wichtig ist, dass man auf andere Menschen zugeht, um im Diskurs zu eruieren, wo wir Gemeinsamkeiten haben und wo wir sehr weit voneinander entfernt sind.
Also würden Sie auch mit der AfD zusammenarbeiten?
Eine Zusammenarbeit mit der AfD kommt für mich nicht in Frage! Das ist völlig klar. Gerade deshalb müssen wir uns fragen, wie wir unsere Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit besser kommunizieren, wie wir die Menschen besser erreichen, und für Lösungen begeistern, wie wir gemeinsam Brücken bauen, statt zu spalten und Hass zu sähen.
In Tansania gab es grausame deutsche Kolonialverbrechen. Ist Berlin in Ihren Augen auf einem guten Weg der Dekolonisierung?
Es gab dieses bittere Unrecht, es gab diese Massaker, und ich bin natürlich dafür, dass man das aufarbeitet und entsprechende Lern- und Erinnerungsorte schafft. Aber die Diskussion, die damit einhergeht, darf sich nicht ausschließlich mit der Vergangenheit beschäftigen. Die viel wichtigere Frage, die sich mir stellt, ist: Wie kann eine gemeinsame Zukunft aussehen und wie gestalten wir sie?
Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft.
Nee, das ist ja richtig! Dabei kann es doch aber bitte nicht stehen bleiben. Was ist der nächste Schritt, wenn wir in Berlin diesen Lern- und Erinnerungsort haben? Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Zusammenarbeit mit afrikanischen Künstlern intensivieren wollen. Dass wir Künstlern Chancen geben wollen, hier in Europa sichtbarer zu werden oder aber auch Brücken zu bauen zwischen Künstlern in Europa und Afrika. Das ist zukunftsgerichtet und das findet leider noch zu wenig statt. Die Restitutionsdebatte um die Rückgabe geraubter Kulturgüter ist doch aber zukunftsgerichtet. Wenn man das Humboldt Forum freiräumen und alles zurückschicken würde, hätten die Menschen vor Ort ja durchaus was davon, oder nicht?
Ja, natürlich. Aber Sie sehen ja, wie die Diskussion läuft mit den Benin-Bronzen. Die schickt man zurück, und worüber reden wir? Wir reden nicht über die Zukunft, sondern wir reden darüber, ob der nigerianische Staat sie in den Privatbesitz der Nachfahren des Königreiches Benin zurückgeben darf oder nicht, dem sie ja faktisch gehören. Um dann festzustellen, dass dort ein komplett neues Museum gebaut wird für diese ganzen Objekte und dass die ganze Aufregung völlig umsonst war.
Also ist doch wenigstens diesbezüglich jetzt alles gut oder nicht?
Das Problem ist, dass das Zielbild nur sehr grob skizziert ist. Aus meiner Sicht sollte von unserer Seite dieser Vorgang mit der Rückgabe abgeschlossen sein. Was in Afrika mit den Benin-Bbronzen passiert, haben wir nicht zu bewerten oder zu entscheiden.
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