Berlins Integrationssenatorin Kolat (SPD): „Mindestlohn auch für Flüchtlinge“
Wer in Eritrea Autos repariert hat, kann das auch hier, sagt Senatorin Dilek Kolat. Sie zieht eine positive Bilanz der Integration von Flüchtlingen in Berlin.
taz: Frau Kolat, wir hatten bisher den Eindruck, dass Sie sich nicht sehr für Integrationspolitik interessieren. Jetzt haben Sie am Ende Ihrer ersten Amtszeit mit dem Masterplan Integration ein umfassendes Konzept zur Flüchtlingsintegration vorgelegt.
Dilek Kolat: Integration beschäftigt mich, seit ich politisch aktiv bin. Vor meiner Zeit als SPD-Finanzpolitikerin im Abgeordnetenhaus war ich integrationspolitische Sprecherin der BVV-Fraktion in Schöneberg. Aus meiner eigenen Biografie heraus weiß ich, was dazu gehört, damit Integration gelingt.
Das bedeutet?
Integration ist für mich vor allem Partizipation. Das bedeutet: Arbeitsmarktpolitik ist Integrationspolitik. Bildungspolitik ist Integrationspolitik. Es geht darum, Chancengleichheit auch für EinwanderInnen herzustellen, vor allem in den Bereichen Bildung und Arbeit.
Was hat Sie zu dem Masterplan motiviert? Dass der Regierende Bürgermeister die Unternehmensberater von McKinsey zur Beratung in Integrationsfragen geholt hat? Oder haben Sie vorher schlicht keinen Handlungsbedarf in Sachen Integration gesehen?
Die Stadt verändert sich. Wir müssen integrationspolitische Ansätze deshalb nicht neu erfinden. Aber wir müssen Maßnahmen neu bündeln, um den Menschen, die neu zu uns kommen, Angebote zu machen, die sie auch erreichen. Und das hat sich in den vergangenen Jahren bewährt.
Inwiefern?
Vor dem neuen Masterplan, der auf die Integration Geflüchteter zielt, haben wir schon mit einem Aktionsplan zur Integration der Sinti und Roma, die vor allem aus neuen EU-Mitgliedsländern zu uns kamen, gute Erfahrungen gesammelt. Die lebten mit Kindern und Familien auf der Straße. Mit unseren staatlichen Regelangeboten waren sie nicht vertraut. Es ist uns gelungen, sie mit ganz spezifisch auf sie zugeschnittenen Bildungs- und Arbeitsangeboten zu erreichen. Das hat funktioniert: Diese Zuwanderer sind heute kein Aufregerthema mehr.
Nun kommen Geflüchtete.
Auch das ist kein neues Thema, neu war nur die hohe Zahl im Jahr 2015. Und neu ist, dass wir Flüchtlings- und Integrationspolitik nun zusammen denken.
Was heißt das?
1967 in Kelkit in der Nordosttürkei geboren, ist SPD-Politikerin und seit 2011 Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration des Landes Berlin – sie will das nach der Wahl bleiben. Sie ist zudem Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller.
Es heißt, dass wir nicht nur Rechtsberatung für Flüchtlinge anbieten, sondern direkt Integrationsangebote machen. Berlin ist dabei Vorreiter. Dass die Geflüchteten die Sprache, Berufe erlernen, arbeiten, sich hier einbringen wollen, ist eine Erfahrung, die ich vor zwei Jahren aus den Verhandlungen mit den Geflüchteten mitgenommen habe, die den Oranienplatz besetzt hatten. Damals haben wir auf den Weg gebracht, dass die Volkshochschulen Geflüchteten Deutschkurse anbieten, die noch keinen gesetzlichen Anspruch darauf haben – ein bundesweit einzigartiges Angebot. Auch die Idee zu Arrivo ist daraus entstanden.
Ein Projekt, das Geflüchtete in Handwerksberufe vermittelt …
Nicht nur! Arrivo ist eine ganz neue Idee, auf die ich sehr stolz bin. Viele Geflüchtete bringen konkrete Berufserfahrungen und Fertigkeiten mit – nur eben ohne IHK-Zertifikat. Aber wer in Eritrea Autos repariert, in Syrien Häuser gebaut hat, kann das in der Regel auch hier. Über Arrivo vermitteln wir Praktika, bei denen die Betriebe selbst feststellen, was die Geflüchteten können und was nicht. Dann wird entsprechend nachqualifiziert und das auch dokumentiert. Das ist eine für Deutschland neue und ungewohnte Verfahrensweise, aber die Betriebe gehen gut mit.
Weil sie die Fachkräfte brauchen: Fürchten Sie nicht, dass Geflüchtete mangels anerkannter Zertifikate auch für Lohndumping missbraucht werden können?
Deshalb haben wir das Thema Arbeitsrechte in den Unterrichtsinhalt der Deutschkurse an den Volkshochschulen aufgenommen. Geflüchtete sollen über ihre Rechte als Arbeitnehmer Bescheid wissen, damit sie sich nicht leicht ausbeuten lassen. Und fest steht: Der Mindestlohn muss auch für Flüchtlinge gelten.
Wenn wir davon ausgehen, dass etwa 15.000 der 50.000 Flüchtlinge in der Stadt direkt auf den Arbeitsmarkt könnten: Wie viele arbeiten schon?
Wie viele davon bereits in Arbeit vermittelt wurden, wird uns die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit im Oktober zeigen. Bisher sind gut 5.000 als Arbeitslose bei den Jobcentern registriert …
… die also das Asylverfahren bereits durchlaufen haben …
Genau. Ich hatte höhere Zahlen erwartet. Dass das schleppend läuft, liegt an der Zahl der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgeschlossenen Asylverfahren. Aber es gibt uns mehr Zeit, die Jobcenter entsprechend aufzustellen, womit wir bereits angefangen haben.
Wie genau?
Wir haben mehr Mittel vom Bund verlangt und bekommen mehr Personal, das wir speziell für die Betreuung von Flüchtlingen geschult haben. Das wurde in meinem Haus gemacht. In der Arbeitsagentur Süd haben wir ein Team Asyl gebildet, das die nötige Expertise für die Vermittlung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt aufbaut und mit allen Jobcentern zusammenarbeitet. Damit haben wir auch dann die nötigen Kapazitäten, wenn mehr Flüchtlinge kommen. Aber wir kümmern uns auch schon um die, die noch nicht bei den Jobcentern angekommen, sondern noch im Asylverfahren sind. Dafür richten wir die Willkommen-in-Arbeit-Büros in größeren Flüchtlingsunterkünften ein.
Masterplan Integration: Der „Masterplan Integration und Sicherheit“ liefert auf acht Handlungsebenen von Bildung und Ausbildung über Gesundheits- bis zu Wohnraumversorgung Konzepte, mit deren Hilfe Flüchtlinge in die Berliner Gesellschaft integriert werden sollen. Der Plan wurde im Mai vom Senat verabschiedet. Im kommenden Jahr sollen die Maßnahmen evaluiert werden.
Arrivo: Seit 2014 versucht das Projekt Arrivo, Flüchtlinge in Berufe der Handwerks- und Handelskammer zu vermitteln. In Praktika werden zunächst deren Eignung und Vorkenntnisse ermittelt. Dann soll es im besten Fall zu Arbeits- oder Ausbildungsverhältnissen kommen. Berufserfahrene ohne anerkannten Abschluss können nachqualifiziert werden. Von Arrivo haben laut der Senatsarbeitsverwaltung bislang 610 Geflüchtete profitiert. (akw)
Was tun diese Büros?
Sie dienen den Menschen bereits in der Unterkunft als Anlaufstelle, sich über Arbeits- und Bildungschancen zu informieren. Ein positiver Nebeneffekt: dass dort mit Bildungsberatern, Integrationslotsen, Vertretern der Jobpoints Institutionen in einem Raum sitzen, die sonst nicht zusammenkommen und so auch noch voneinander lernen. Denn in der Flüchtlingsberatung gab es bisher auch viele Angebote, die voneinander nichts wissen und aneinander vorbeiarbeiten.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel stellen wir fest, dass Sozialberater in den Unterkünften nichts von unseren VHS-Kursen wissen und die Flüchtlinge deshalb nicht auf diese Chance hinweisen, früh mit dem Deutschlernen zu beginnen. Die Vernetzung aller Akteure, die auch Teil unseres Masterplans ist, hat da wunderbare Synergieeffekte.
Was wünschen Sie sich vom neuen Senat nach der Wahl?
Der neue Senat wird einen Masterplan Integration vorfinden mit allen Konzepten, die nötig sind: vom Moment der Ankunft, der dann eventuell nötigen gesundheitlichen Versorgung, ohne die ja keine Integration in Bildung und Arbeit möglich ist, bis hin zu integrativen Wohnformen und deren Vermittlung. Damit betrifft Integration eben auch alle Aufgabenbereiche der verschiedenen Senatsverwaltungen, jeder muss seinen Anteil beitragen. Dass das nicht alles sofort umgesetzt werden kann, liegt auf der Hand. Aber der Masterplan macht sichtbar, wo Handlungsbedarf ist und in welche Richtung der zu gehen hat. Und wir haben das auch mit den nötigen Finanzmitteln untersetzt, immerhin für 2016 und 2017 390 Millionen Euro, sodass der nächste Senat diesen Masterplan umsetzen kann. Ob das geschieht, hängt natürlich auch von den Personen ab, die für die einzelnen Bereiche zuständig sind: Steht man hinter Integration oder nicht. Da haben wir bisher vor allem mit dem Innensenator unterschiedliche Auffassungen gehabt und ich wünsche mir für die Zukunft auf diesem Posten natürlich eine Person, die offener für Zuwanderung, für Menschen, die aus Not hierher kommen, ist.
An Henkels Behörden scheitert öfter auch Vermittlung in Arbeit.
Wir erleben Fälle, wo Arbeitsverträge Geflüchteter mit Betrieben möglich wären, die dann an der Verweigerung entsprechender Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnisse durch die Ausländerbehörde scheitern. Das ist nicht gut für die Geflüchteten und auch nicht für die Betriebe hier. Das ist aber auch eine Folge des neuen Integrationsgesetzes der Bundesregierung, das Menschen aus sicheren Herkunftsländern zwingt, erst in ihre Heimat zurückzukehren und dann von dort aus entsprechende Erlaubnisse zu beantragen. Aber da besteht natürlich ein Spielraum für die Behörden.
Wen wünschen Sie sich denn auf Henkels Posten?
Wahlen sind ja leider kein Wunschkonzert. Wesentlich ist, dass die SPD nach den Wahlen deutlich stärkste Kraft ist. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat sich als Erster von Frank Henkels CDU als Koalitionspartnerin distanziert und sich klar für Rot-Grünausgesprochen. Das ist auch mein Wunsch. Und ich wünsche mir, dass der Masterplan umgesetzt wird und Geflüchtete künftig ganz normal unsere Schulkameraden, Arbeitskollegen, Nachbarn und Freunde werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen