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Berlins Finanzsenator über Krisen„Ein armer Staat macht keinen Sinn“

Berlin geht gestärkt aus der Coronakrise hervor, sagt Mattias Kollatz (SPD) – weil die Investitionen nie abrissen. Ein Bilanzgespräch.

„Bargeld ist eine praktische Sache“: Matthias Kollatz bei einer Senats-Pressekonferenz Foto: dpa
Bert Schulz
Interview von Bert Schulz und Stefan Alberti

taz: Herr Kollatz, hier liegt eine Ein-Euro Münze auf dem Tisch und damit verbunden die Frage: Was ist für Sie Geld?

Matthias Kollatz: Money makes the world go round. Und Finanzsenatoren sind dafür da, dass Berlin die Möglichkeiten des Geldes ausnutzt, sich dabei aber nicht überschätzt. Das gab es ja mit der landeseigenen Bankgesellschaft…

deren Zusammenbruch Berlin 2001 an den Rand des Ruins brachte. Ist Geld für Sie etwas Abstraktes? Als Finanzsenator machen Sie Geldgeschäfte im großen Stil.

Natürlich ist Geld heute komplizierter, als es bei der Erfindung der ersten Münze in der frühen Antike war. Aber dass Geldgeschäfte in den letzten Jahren komplizierter geworden sind, stimmt nicht. Gerade zu meinem an Stabilität orientierten Finanzkurs gehört, dass man bestimmte Verrücktheiten nicht macht.

Was meinen Sie?

Wir setzen zum Beispiel bei der Kreditaufnahme auf lange Laufzeiten und machen bewusst keine Cross Border Leasings …

also den grenzüberschreitenden Verkauf und die gleichzeitige Rückleihe von Eigentum, meist um Steuern zu vermeiden …

… und wir unterstützen keine sonstigen abenteuerlichen Finanzprodukte. Denn wenn eine Finanzkrise kam, brachen die oft zusammen. Komplexität bringt häufig Instabilität.

Sie sind als Finanzpolitiker eine der mächtigsten Personen im Senat gewesen. Obwohl Sie sagen, Sie versuchen zu vereinfachen, ist Ihre Arbeit von außen schwierig zu durchschauen. Können Sie verstehen, dass die Berliner nicht so genau wissen, was Sie tatsächlich tun?

Im Interview: Matthias Kollatz

64, ist SPD-Mitlied und war in den 1980ern Juso-Bundesvize (zusammen mit Olaf Scholz). Seit Ende 2014 ist er Berlins Finanzsenator. Der neuen Regierung unter Franziska Giffey (SPD) wird der nicht mehr angehören; sein Amt übernimmt Daniel Wesener (Grüne).

Ja. Schauen Sie mal. Zeigt auf zwei 30 Zentimeter hohe Stapel mit Din A-4 Broschüren. Das ist der aktuelle Haushalt und das der Entwurf für 2022 und 2023. Und dazu kommt noch eine Masse anderer Vorgänge. Es sind komplizierte Vorgänge und Themen und man ist in dieser Komplexität auch ein Stückweit gefangen.

Können Sie sich vorstellen, ohne Bargeld zu leben?

Eigentlich nicht. Bargeld ist eine praktische Sache.

Es gibt genug Menschen, die Bargeld abschaffen wollen, um damit Geldwäsche zu unterbinden.

Wenn große Transaktionen mittels Bargeld laufen, wird häufig Schwarzgeld gewaschen. Das heißt aber nicht, dass es irgendwie schädlich wäre, den Kaffee in der Kantine bar zu bezahlen. Leser des Buches „Die Akte“ wissen, dass es sogar sehr gut sein kann.

Worum ging es Ihnen bei Ihrer Arbeit als Finanzsenator seit Ende 2014?

Ich habe immer versucht, Sachen zu ermöglichen. Ich habe mit den anderen Senatorinnen und Senatoren geschaut, wie kriegen wir etwas hin, und mich nicht darauf beschränkt, den anderen Ressorts zu erklären, wo sie überall Fehler machen. Ich glaube, das hat sich bewährt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Als es um das Freiräumen der Turnhallen ging, die als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt wurden: Das wäre ohne ein enges Zusammenwirken mit der Sozialsenatorin nicht gelungen. Oder die Zusammenarbeit mit der Stadtentwicklungsverwaltung bei der Nachnutzung von Tegel, die jetzt beginnt. Das geht nur mit einem Ermöglicher im Finanzressort.

Ihre Zeit als Senator war grob gesagt zweigeteilt: Es gab die Phase des Konsolidierens und Investierens. Und dann kam Anfang 2020 Corona.

Auch der erste Teil meiner Amtszeit war nicht frei von unvorhergesehenen Herausforderungen, in diesem Fall durch die große Anzahl von Flüchtlingen. Das Umstellen auf Konsolidieren und Investieren hat parallel stattgefunden. Eine Erkenntnis aus dieser Zeit ist, dass es keinen Bruch bei den Investitionen geben darf. Dass es zu keinem Wirtschaftseinbruch in Berlin wegen Corona kam, hat deshalb vor allem mit unseren Soforthilfen zu tun.

Können Sie das erläutern?

In Deutschland sagen viele, in Berlin funktioniert nichts. Das Gegenteil war der Fall. Wir haben mit sehr zielgenauen Instrumenten Hilfen für besonders für Corona anfällige Bereiche wie Kultur und Gastronomie angeboten – Bereiche, die für Berlin besonders relevant sind. Diese Instrumente wurden später Vorbild für andere, auch den Bund. So wurden Existenzen stabilisiert und auch Investitionen.

Wie haben sich die Investitionen entwickelt?

Als ich als Senator angefangen habe, haben wir im Haushalt 1,4 Milliarden Euro für Investitionen verwendet. 2016 habe ich gesagt: „Zwei Milliarden Euro müssen wir schon hinkriegen, eigentlich noch mehr.“ Da haben schon viele erklärt, das wird nicht klappen. Nun landen wir landen in 2021 sogar bei 3 Milliarden Euro und investieren allein dieses Jahr 700 Millionen Euro für die Schulbauinitiative, unsere größte und wichtigste Investition. Viele Schulen sind in Bau, einige schon fertig, andere frisch renoviert.

Die jüngsten Steuerschätzungen für Berlin belegen: Das Land kommt ganz gut aus der Coronakrise heraus.

Je nachdem, wann die Krise zu Ende sein wird. Wir haben in 2021 aber auf jeden Fall ein ganz massives Anspringen der Wirtschaft gesehen.

Erstaunlicherweise!

Nein, nicht erstaunlicherweise. Wir haben in Berlin mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze also vor der Coronakrise. Das ist im Wesentlichen eine Folge der Digitalisierungsoffensive: Da ist Berlin bundesweit führend. So sitzen viele Fintechs eben hier und nicht in Frankfurt am Main. Und es zahlen mehr Unternehmen hier Gewerbesteuer. Ganz eindrucksvoll sind die Zahlen – da bin ich wirklich ein bisschen stolz drauf – was Online-Firmen aus China angeht: 2017 haben 450 davon Steuern gezahlt, inzwischen sind es mehr als 100.000.

Eine absurd hohe Steigerung.

Die Onlineökonomie ist eine Ökonomie, die am liebsten keine Steuern zahlt. Dass sich das ändert, haben wir in Berlin hingekriegt – das ist bahnbrechend für ganz Deutschland. Damit ist die wesentliche Schlacht geschlagen: Die Onlineökonomie etabliert sich nicht mehr weiter außerhalb des Steuersystems.

Mitglieder der Initiative Deutsche Wohnen enteignen beim Protest Foto: dpa

Wie haben Sie das geschafft?

Wir haben den Konflikt mit Plattformen gewagt, die stets argumentiert haben, sie müssten hier keine Steuern zahlen.

Etwa Ferienwohnungsvermieter wie AirBNB?

Oder Alibaba, Amazon oder andere. Die haben ihren Kunden gerne Rundum-sorglos-Pakete angeboten. Da war alles drin, inklusive der Rechnungsstellung, aber nicht die Steuer. Die Plattformen wollten uns darüber keine Auskunft darüber geben und argumentierten, es gäbe sie gar nicht in Deutschland; vielmehr würden sie aus anderen Ländern liefern. Da haben wir gesagt: Wenn das so ist, können wir ja mal die Güter beschlagnahmen in den Lagerhäusern, die es in Deutschland gibt. Letztlich hat das dazu geführt, dass es nun Gesetze auf nationaler und europäischer Ebene gibt. Es ist nun auch der Onlineökonomie klar: Egal was sie verkaufen, sie müssen Steuern zahlen.

Sie haben gesagt, Berlins Wirtschaft wäre besonders verletzlich gewesen für die Auswirkungen von Corona, deswegen habe es umfangreiche Hilfen gegeben. Nun ist die Wirtschaft erstaunlich gewachsen, aber in einem anderen Bereich als Kultur oder Tourismus. War die Wirtschaft vielleicht gar nicht so anfällig? Wären die massiven Hilfen überhaupt nötig gewesen?

Vielleicht haben wir zwischendurch einfach ein paar Sachen richtig gemacht?! Es ist schwer, sich zu überlegen, was passiert wäre, wenn wir keine Hilfen ausgezahlt hätten.

Naja, als Beispiel: ein privates Theater wäre pleitegegangen, die Schauspieler und anderen Angestellten hätten Arbeitslosengeld bekommen. Irgendwann nach der Krise hätte jemand wieder ein Theater gegründet.

So funktioniert das nicht. Wenn Strukturen abbrechen, gibt es Verluste an Erfahrungen, kollektivem Wissen und meist geht es nicht weiter. Wenn erst mal alle soloselbständigen DJs weg sind aus der Branche und vielleicht auch aus Berlin, kommen die nicht ohne Weiteres wieder: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie inzwischen etwas Anderes machen, ist sehr groß. Das sehen wir gerade im Gastronomiebereich: Es gibt kaum ein Restaurant, das keine Köche oder anderes Personal sucht. Und wenn aus einem Kino erst mal eine Lagerhalle geworden ist, dann wird da nur noch ganz schwer jemand ein Kino aufmachen.

Also nach Corona wird alles wie vor Corona sein?

Nein, es werden in bestimmten Bereichen Schrumpfungsprozesse stattfinden. Die Kunst für einen Finanzsenator besteht darin, auch in der Krise Impulse zu setzen, aus denen sich dann neue Sachen ergeben.

Als wir zu Beginn der Coronakrise miteinander gesprochen haben, waren Sie recht entspannt und sagten: Na ja, es gibt jetzt anscheinend alle zehn Jahre eine Krise. Also 2001 der Angriff auf das World Trade Center, 2008 die globale Finanzkrise, 2020 dann Corona. Sie prognostizierten damit, dass die nächste Krise ja kommen wird.

Es gibt keine Hinweise dafür, dass sich die Häufigkeit von Krisen verringert. In anderen Landesteilen haben die Menschen das Gefühl, dass die nächste Krise schon da ist, etwa in den Hochwassergebieten an der Ahr. Deswegen war und ist es so wichtig, Reserven zu bilden. Wir haben die jetzt in Berlin – vor 15 Jahren war das noch anders.

In die Coronazeit fiel die milliardenschwere Übernahme des Stromnetzes durch das Land. Sie haben diese auch damit begründet, dass sich der Kaufpreis aus den zu erwartenden Einnahmen finanzieren lasse. So ähnlich argumentieren die Befürworter der Enteignung von großen Wohnungsunternehmen, die im September den Volksentscheid gewonnen haben: Die milliardenschweren Entschädigungen ließen sich durch die Mieteinnahmen finanzieren, ohne den Landeshaushalt und damit viele Investitionsvorhaben zu belasten. Wo ist der Unterschied?

Nach meiner Einschätzung macht es einen großen Unterschied und wirkt sich auf den Preis aus, ob jemand verkaufen will oder durch Enteignung dazu gezwungen wird. Was in jedem Fall am Landeshaushalt hängen bleiben würde, ist die Grunderwerbssteuer. Allein das sind mehrere Milliarden Euro.

Die ganzen Berechnungen zur Entschädigung haben ja hoffentlich nicht Laien wie wir, sondern Mathematiker und BWLer gemacht – und doch kam eine immense Bandbreite zwischen 8 und fast 40 Milliarden Euro heraus. Wie geht das?

Die einen gehen vom Verkehrswert aus – also was der Eigentümer dafür auf dem freien Markt bekäme -; die anderen vom heruntergerechneten Ertragswert, also dem, was die jeweilige Wohnung bei deutliche verringerten Mieten abwirft.

Dafür gibt es keine gesetzliche Festlegung?

Nein, das ist ja auch so noch nie praktiziert worden. Bei Enteignungen gibt es Erfahrungen. Das läge hoch in den 30er Milliarden.

Wie passt eigentlich die von der neuen Koalition angestrebte Rückkehr zur Lehrer-Verbeamtung in den Berliner Landeshaushalt? Auch wenn Sie ab 2024 Kredite nicht mehr für nötig halten, dürfte das eine Belastung sein.

Die Modellrechnung hier im Haus hat gezeigt, dass das jährlich einen nennenswerten zweistelliger Millionenbetrag kostet. Das muss man dann halt schultern. Dabei hilft, das Renteneintrittsalter der Beamten von 65 auf 67 anzuheben, was bei den Angestellte schon gilt und was im Übrigen alle anderen Bundesländer so machen.

Die nächste Krise ist schon da: Protest in Berlin Foto: dpa

Was ist eigentlich mit denen, die nach dem Verbeamtungsstopp 2003 als Angestellte in den Schuldienst gekommen sind?

Die können sich verbeamten lassen, aber da gibt es eine Altersgrenze.

Hat man in der SPD mal überlegt, dass der Lehrermangel auch andere Gründe haben könnte als die fehlende Verbeamtung?

Das stimmt: Die Abwanderung gibt es ja nicht nur im Lehrerberuf. Vieles ist schlicht Abwerbung. Wir werden mit Blick auf das Gehalt als Land Berlin nie mit der Privatwirtschaft konkurrieren können, genauso wenig wie mit den besser zahlenden Bundesbehörden, die wir ja in Berlin haben. Wir können nur dann gewinnen, wenn man die Leute überzeugt, dass es etwas Besonderes ist, für das Land Berlin zu arbeiten. Dass also – wie wir es nennen – „Hauptstadt machen“ eine tolle Sache ist.

Also das Modell taz: weniger Geld, aber nette Kollegen, gute Kantine und tolles Gefühl?

Wenn das das Modell taz ist, ist es unsere einzige Chance.

Am Dienstag sind Sie nicht mehr Finanzsenator. Was geben Sie Daniel Wesener, Ihrem designierten Nachfolger von den Grünen, als wesentliche Eigenschaft mit, die man als Finanzsenator haben sollte?

Erst mal habe ich ihm gratuliert. Ansonsten glaube ich, dass meine finanzpolitische Grundlinie in den Koalitionsverhandlungen bestätigt worden ist. Das heißt, es braucht ein Stück weit Beharrungsvermögen. Ich wünsche ihm, dass er das mitbringt.

Sie selbst bleiben einfacher SPD-Abgeordneter?

Ja.

Es ist inzwischen kein Geheimnis mehr, dass Sie vor nicht allzu langer Zeit Vater geworden sind. Hat das Ihren Blick auf die Welt und auf die Politik verändert?

Klar, ich lerne die Welt noch mal durch andere Augen zu sehen.

Ist es auch ein anderes Verantwortungsbewusstsein, wenn man so denkt: Überlassen wir den Kindern nicht eine Welt, die kurz vor dem Klimakollaps steht?

Dazu ist mein Kind noch zu klein; das wird vielleicht ein Thema in sieben oder acht Jahren, wenn dann die großen Diskussionen losgehen. Ich hoffe, dass ich da gelegentlich Gnade finde.

Warum sollten Sie denn Gnade finden?

Wir waren, was nachhaltige Politik angeht, nicht ganz schlecht in den letzten sieben Jahren hier. Wir haben als eines der ersten Bundesländer einen nachhaltigen Aktienindex für die Versorgungsgrundlage eingeführt. Viele unserer Investitionen orientieren sich an Nachhaltigkeitskriterien, etwa beim Wohnungsneubau der landeseigenen Gesellschaften. Das ist nicht überall in Deutschland so. Auch bei der Beschaffung neuer S- und U-Bahnen spielt Energieeffizienz eine relevante Rolle. Und beim Umstieg auf Elektrobusse der BVG gehören wir auch nicht zu den Zögerlichsten, ebenso bei der Ausstattung der Dächer mit Solaranlagen.

Sie haben dieses Interview angefangen mit dem Satz „Money makes the world go round“. Wenn Sie sich vorstellen, der damalige Juso-Vizebundeschef Matthias Kollatz hätte diesen Satz Mitte der 80er Jahre gesagt…

Ich habe den Satz damals schon benutzt in einer Diskussion über die Frage, ob ein armer Staat Sinn macht. Und das macht er nicht. Diese Debatte hat sich durchaus in die richtige Richtung entwickelt. Das zeigt ja auch unser Gespräch: Ein Staat muss reagieren und agieren können. Wenn man das auf Berlin runterbricht: Natürlich können wir stolz darauf sein, dass wir mittlerweile in vielen Schulen ein Ganztagsangebot haben. Das ist gerade in Deutschland nicht selbstverständlich. Dafür müssen staatliche Ressourcen bereitgestellt und letztlich Steuern bezahlt werden.

Es braucht ein kapitalstarken Staat, um die Krisen des Kapitals bekämpfen zu können?

Ja. Wir leben in keiner krisenfreien Gesellschaft.

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1 Kommentar

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  • Vielen Dank für das Interview! Zum Glück habe ich es hier noch einmal gelesen. Bei der Printversion fehlte die Frage „Warum sollten Sie den Gnade finden?“ Ohne diese Frage und die Antwort konnte man denken, dass Herr Kollatz erst mal noch sechs Jahre warten wolle und dann auf Gnade hoffen. Ein Hinweis in der Print-taz auf die längere Version des Interviews im Netz wäre gut gewesen.