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Berliner StilSchlumpsen ist der Look von morgen

Franziska Giffey, die bald Berlin regiert, hat schon mal angedeutet, wie sie sich das Aussehen der Hauptstädter wünscht. Eine Entgegnung.

Hier nicht so rumschlumpsen: Franziska Giffey in der Talkshow Riverboat Foto: Ralf Müller/imago

Dass Politikerinnen leider immer noch viel häufiger als Politiker auf ihre Kleidung angesprochen werden, weiß Franziska Giffey vielleicht am besten. In der RBB-Takshow „River­boat“ am vorigen Freitag ist es wieder passiert. Wobei die SPD-Politikerin den Faden beherzt aufgriff und normativ weiterspann: Wer ein politisches Amt habe, von dem könne „adäquate“ Kleidung erwartet werden, antwortete sie. Auch für Berlin finde sie es wichtig, „dass wir nicht so dahergeschlumpst kommen“.

Schlumpsen? Das Wörterbuch der deutschen Sprache versteht darunter, unreinlich, unordentlich, nachlässig zu sein, auch und gerade in der Klamotte. Ja, klingt nach Berlin.

Weil Franziska Giffey dann noch einiges über Kleidung und Autorität sagte, verfestigte sich die Implikation: Wer etwas gelten will in dieser Gesellschaft, möge sich doch bitte ordentlich kleiden. Giffey bedient also denselben Stoff, aus dem schon die Träume von Karl Lagerfeld („Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“) und Thilo Sarrazin („Nirgendwo schlurfen so viele Menschen in Trainingsanzügen durch die Straßen wie in Berlin“) sind.

An der Schlumpsfrage lässt sich aber noch viel mehr ablesen, sie berührt eine wesentlich größere Frage unserer Zeit: Wie schafft die Menschheit die Klimawende? Während viel gestritten wird über Verkehr und Ernährung, während viele Menschen schon jetzt feinoptimieren und zum Beispiel nur nach Italien statt nach Bali fliegen, ist bewusster Konsum in Kleidungsfragen noch eher eine Randerscheinung. Denn hier sind ja, siehe oben, die ästhetischen Anforderungen besonders deutlich: Bluse und Hemd haben nicht verwaschen auszusehen, ein Riss in der Hose ist nur bis zu wenigen Zentimetern tolerabel, ein Rotweinfleck macht fast jedes Stück untragbar.

Und schon wird ein neues Kleidungsstück gekauft. Dabei setzt etwa ein 220-Gramm-Baumwoll-T-Shirt 11 Kilogramm CO2 im Laufe seines Lebens frei, davon 68 Prozent, bevor es überhaupt einmal getragen wird. Für das Klima ist es Gift, wenn Kleidung schnell weggeworfen wird.

Ökologie vor Schönheit!

Es gibt hier also einen blinden Fleck im Diskurs. Schluss damit, Schluss mit diesem schädlichen Konsum! Denn die Folgen dessen, das sollte heutzutage klar sein, sind nicht nur ein geschädigtes Klima, sondern auch wirtschaftliche Ausbeutung in Produktionsländern und Zerstörung von Ökosystemen etwa durch den Baumwollanbau.

Das Schlimmste ist, dass – bei Giffey und vielen mehr – das ästhetische Argument für „ordentliche“ Kleidung im Grunde extrem schwach ist. Erstens ist es unkreativ und gestrig, weil es nur für die eingeübte Normalität argumentiert. Und zweitens ist es eben nur ein ästhetisches Argument. Der Klimawandel stellt aber die Grundlagen der Gesellschaft und damit die Bedingung der Ästhetik infrage. Der Schönheit wird nichts übrig bleiben, als sich der Ökologie nachzuordnen, das alte Normal ist out.

Die Architektur hat das in Teilen schon erkannt, experimentiert mit nachwachsenden Rohstoffen; setzt immer mehr auf Sanierung und Umbau statt Neubau. Aber in der Mode (und ganz besonders in der Alltagsmode!) ist diese Erkenntnis noch kaum angekommen. Einmal mehr sollte gelten: Form follows function. Oder auch: Ästhetik follows Ethik. Oder schlicht: Neue Kleidung ist Luxus! Und zu viel Luxus bedeutet eine Überbeanspruchung von Ressourcen.

Es würde schon helfen, wenn Kleidung nicht mehr als billige Wegwerfware verstanden wird. Der Soziologe Alfred Sohn-Rethel hat schon vor fast hundert Jahren am Beispiel von Neapel die allgemeine Vorstellung des Intakten hinterfragt. In seinem Essay „Das Ideal des Kaputten“ schrieb er 1926: „Ein richtiges Eigentum muss eben auch geschunden werden, sonst hat man nichts davon.“ Und Hartmut Rosa hat darüber theoretisiert, dass wir heutzutage immer mehr kaufen, ohne es zu konsumieren: T-Shirts hängen ungenutzt im Schrank, und weil es spannender ist, den nächsten Mantel zu kaufen, landet der „alte“ eben schneller im Müll.

Das alte Normal ist out

Aber gerade Berlin und sein neues „Lumpenproletariat“ – Menschen, die mit Absicht gebrauchte oder upcycelte Kleidung tragen – machen es schon lange vor: Kleidungsstücke können über Ewigkeiten hinweg getragen und geflickt werden, mit allen positiven Nebenwirkungen. Nur Anerkennung bekommen sie dafür kaum – und in diesem Kontext muss Giffey verstanden werden: Ihr Satz über das Schlumpsen ist natürlich genau die Reproduktion eines Vorurteils gegen das Unordentliche und Abgetragene. Er funktioniert nur, weil es eine landläufige Abneigung dagegen gibt.

Aber es reicht! Gesellschaft kann sich ändern und muss sich ändern. Idealerweise entstehen alternative, Second- und Third-Hand-Warenkreisläufe, die Fast Fashion ersetzen. Kleidung wird bis zum Letzten aufgetragen, geflickt, gestopft und genäht, und was komplett zertragen ist, wird wie bei Oma zu Putzlappen gemacht oder als Flicken aufbewahrt. Eigenhändig zu flicken bekommt die Anerkennung, die es verdient, schließlich kann es erfüllend, kreativ und nachhaltig sein und geht selbst ohne Übung schneller, als schon wieder shoppen zu gehen. Die Straßen werden bunter und die Menschen glücklicher.

taz am wochenende

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Dazu kommt: Wenn punkige, lumpige Ästhetik nicht mehr mit negativen Vorurteilen belegt ist, ist sie den meisten Alltagskleidern in der Schönheit, der Vielfalt der Formen deutlich überlegen, und das nicht erst seit der Punk-Modedesignerin Vi­vienne Westwood. Dass ein Flickenteppich schöner ist als ein neuer, glatter – dieser Gedanke wird sicher noch Zeit brauchen und sich gegen viel Abneigung behaupten müssen.

Man könnte also sagen: Schlumpsen ist gelebter Widerstand. Gegen eine die Umwelt zerstörende Wirtschaft, gegen den Status quo, der lieber an Vorurteilen festhält, statt sie für die Weltrettung zu hinterfragen. Schlumpsen ist progressiv.

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16 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Dass ein Flickenteppich schöner ist als ein neuer, glatter – dieser Gedanke wird sicher noch Zeit brauchen und sich gegen viel Abneigung behaupten müssen.“



    Einfach „Patchwork“ nennen. Dann ist das angesagt. (Ist „angesagt“ noch angesagt?)

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Jetzt frag ich mich als Mitforist,



    ob Schlumpsen wohl politisch ist…

  • Bevor die Frau was zu melden hat über die 'Norm' des guten Aussehens, soll sie erst einmal das Klauen von fremdem geistigen Eigentum unterlassen. Dass man in Berlin eine Frau als Regierende Bürgermeisterin wählt, die wegen Plagiaten in ihrer sogenannten Promotionsarbeit als Bundesministerin zurücktreten musste, ist kennzeichnend für den Verfall von Recht. Das ist lt. Gesetz eine Straftat. Bezeichnend ist auch der tollpatschige Versuch, diese Straftat zu vertuschen.

    Solche Leute sollten sich bescheiden aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Giffey hat den Anspruch auf Achtung verloren!

  • Ausgerechnet Beton-Franzi mit Umweltargumenten zu kommen, ist sinnlos. Sie will den extrem umweltschädlichen U-Bahn-Ausbau und die Autobahn noch dazu. Klimawandel ist Frau Dr. Giffey wumpe.

  • PS: Wer wirklich glaubt die Kleidungsdiscounter sind umweltfreundlicher und sozial verträglicher als Qualitätsanzüge vom Schneider und Schuhe vom Schuster, der irrt gewaltig.

  • Da fällt mir der große Reich-Ranicki ein, der alleine an seinem Schreibtisch die neuen Bücher las und zwar im Anzug und mit Krawatte aus Respekt vor den Autoren. Respekt vor seinen Aufgaben fehlt leider den professionellen Schlumpsern. Wer sich selbstverwirklichen will, sollte nicht anderen dienen wollen und sich aus der Politik raushalten.

    • @Winston Smith:

      "Respekt vor seinen Aufgaben fehlt leider den professionellen Schlumpsern."

      Wen meinen Sie denn damit?

      Sie finden also den Respekt vor der Aufgabe 'Bürgemeisterin von Berlin' durch den vorsätzlichen Betrug der in meinen Augen stets geschmacklos aber wohl kostspielig kostümierten Person Giffey angemessen repräsentiert...?

  • Der Berliner Style ist so viel besser als sein Ruf. Über den München-Style könnte mal jemand eine Hasstirade schreiben.

    Vintage ist allerdings die totale Verkommerzialisierung von Second-Hand Ware. Wenn es Hipstern neben ihrer Belanglosigkeit etwas vorzuwerfen gilt, dann wohl die Bereitschaft für x-mal getragene Schuhe aus den 1980ern hunderte Euros zu zahlen. Dadurch wurden Schnäppchen für geringverdienende Personen in diesem Bereich verunmöglicht oder deutlich erschwert.



    Nicht dienlich im Sinne der Sache.

    Da waren die Grosseltern schon weiter. Wenig, aber dafür gute Qualität. Fairerweise sollte erwähnt werden, das die meisten Klamotten heute unflickbar sind. Schuhe sind einfach nur kaputt, da lohnt kein Gang zum Schuster mehr

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    Schön beobachtet..."Bourdieu beschreibt, wie unterschiedliche Klassen sich durch ihren Geschmack und ihre Routinen voneinander abgrenzen. Durch Auftreten, Verhalten, Essen und Kleidung wird verhandelt, wer wo dazu gehört. Dieser Habitus wird in der Kindheit im familiären Umfeld weitergegeben und ist träge."

    www.deutschlandfun...:article_id=452441

    Schlumpsen als wichtiges Statement - gegen die Symbole der Lesitungsgesellschaft - für soziale und ökologische Gerechtigkeit.

  • vielleicht sollte sie es nochmal mit ner dissertation über modesemiotik versuchen :-)

  • Ausgerechnet der piefige Fummel von Giffey soll beispielgebend sein.

    Dass die Deutschen von Mode im Großen und Ganzen keine Ahnung haben, ist ja bekannt.

    Wie schrieb eine britische Modejournalistin: "In Germany every day is casual day."

    • @Jim Hawkins:

      Jenau, jenau.

      www.youtube.com/watch?v=1K8fzSFa3lU



      bei 6:04



      F.G. war auch in der Gothicszene kurz zu Hause.



      Stell sie dir mal in dieser Reihe vor



      5:42



      Un denne hab ick mich aufgeregt, weil die Schauspielerinn Margarita Broich sich "entschuldigt" wegen ihres schlumpsens!



      Dabei hätte ich viel lieber, länger, M.B. zugehört.(War in den 80zigern mit Heiner Müller liiert)



      Seicht is schön!

      • @Ringelnatz1:

        Jungs - ganz bei euch.

        Mich hat das lang verschollen geglaubte



        “Schlumpsen“ - mit allem ausgesöhnt!



        ”Du Schlumpser“ war eine der Lieblingsvokabeln - neben “Pöter“ “hast du wieder geprummst?!“ uä - für mich - von Hera der Göttermutter - meiner braaaanschweigischen Lieblingsgroßmutter!



        Ehe uns Ohl selbiges auf gau plattdütsch mit “Jung. Lööpst ja all wedder rum as sonn Butjer!“ - ins slang familie normal transformierte & zu einem meiner feinen Markenzeichen machte!



        Mit der Folge - daß meine Tochter sich jedesmal kichernd abrollte - wenn ich das einzige & Sitzungsjackett mir überwarf & den “weißen Langbinder“ (Vorschrift!) mir um den Hals gewürgt hatte“Na! Haste dich wieder verkleidet!“

        Aber schon mein braaaanschwaagischer



        Ur-Großvater - betuchter Putz- & Hutmacher & Privatgelehrter - befand: “Nur weil ein Herr in England - der sich auch noch “von Windsor“ zu nennen beliebt - sich einen Strick um den Hals zu würgen und Kniffe in seine Beinkleider bügeln zu lassen beliebt! Müssen wir das ja noch lange nicht machen!“

        kurz - Ehret die Altvorderen & principies obsta - Wehret den Anfängen!



        &



        Schlumpser aller Länder vereinigt euch!

        • @Lowandorder:

          Gerade ist es mir wieder eingefallen.



          Uroma(Aufsicht über mich). I



          ch vom Spielen rein.



          Wie siehst du nur wieder aus -alter Schlumps-!



          (Träne-B.n.o.)

        • @Lowandorder:

          Man glaubt es nicht.



          ..... Er habe wie in jeder Verhandlung Anzug und Lederschuhe getragen. Damit, sagt Saeftel, sei sein Auftritt immer noch stilvoller gewesen als der von Richter J., unter dessen Robe „ausgetretene Freizeitschuhe und weiße Socken“ hervorgelugt hätten. ...

          Die Würde der deutschen Justiz : Nicht ohne den Langbinder



          www.faz.net/aktuel...inder-1752732.html

          • @Ringelnatz1:

            Short cut - zur Robe -

            Karlsruhe hat in seiner Entscheidung - seit 100 Jahren - historisch nur flach geplügt - vermutlich aus gutem Grund bzw nicht absichtslos! ROM -



            In einer DER Wiegen europäischem Rechts gab es schon Juristen Rechtsanwälte wie Sand am Tiber.



            Denn - wie anders schon immer die Ärzte - um Zugangsbeschränkungen hatten sich die schon damals lausigen Rechtsverdreher nicht gekümmert!



            Vulgo - Verarmt erschienen immer häufiger sojet Rechtshansels in zerschlissenen Togen vor Gericht!!!



            Bis ein Machtwort der Gerichte sie zu einer Extra-Toga einer Berufsbekleidung verdonnerten!



            & Däh



            Die Robe war geboren. Gellewelle!



            Der Rest Geschichte.

            unterm——- servíce & Reminiszenz —



            Einen! Richter gab es - der als Jugendstrafrichter zeitlebens NIE - in Robe verhandelt hat! “Chapeau Hermann Möller - wo immer du stecken magst & hoffentlich bei guter Gesundheit deinen Lebensabend!“



            & auf die richterliche Unabhängigkeit!!



            (Von Herzen von seinem Doppelzimmer Mitschläfer - RiRa Bevensen! Was wir allerdings erst Jahre später “ach du warst das!“ herausfanden! Waren wir uns doch im Zimmer - aus welchen Gründen auch immer - nie begegnet!;)