piwik no script img

Berliner Sommertheater und CoronaDistanz auf der Bühne

Die Berliner Theater reagieren mit ästhetischen Mitteln auf die Pandemie. Ausgreifende Reifröcke und ausgebaute Sitze dienen als Abstandshalter.

Dieses Motiv ging um die Welt: Der Saal des Berliner Ensembles mit ausgedünnten Sitzreihen Foto: Moritz Haase

Jetzt spielen sie wieder. In geschlossenen Räumen dürfen die Theater in Berlin zwar bis zum 31. Juli auf Anweisung des Berliner Senats keine Aufführungen zeigen und dann kommt erst mal die Sommerpause. Aber draußen ist das Auftreten vor kleinen Gruppen (meist nur 50 Leute mit Abstand, bis 100 sind erlaubt) möglich, und das nutzen einige Theater in Berlin schon allein deshalb, um Signale ihres Vorhandenseins zu senden. Sie scharren gewissermaßen laut mit den Hufen, bevor es in der nächsten Spielzeit – unter welchen Konditionen, ist noch nicht festgelegt– weitergehen kann.

Das Theater an der Parkaue in Lichtenberg, für junge Zuschauer, verfügt über einen schönen Hof. Dort wird seit letztem Wochenende eine Open-Air-Variante von „Maria Stuart“ aufgeführt. Der Boden ist in den Farben der britischen Fahne bemalt, die Wege zwischen den Figuren, immerhin zehn Mitspielende, sind weit.

Es zeigt sich, dass weit ausgreifende Reifröcke, wie die beiden konkurrierenden Königinnen sie tragen, und die gebauschten Hosen der intri­gierenden Lords ausgezeichnet als Abstandhalter funktionieren. In der Inszenierung von Albert Hirche verstärkt die Distanz unter den Spielenden das Moment der Zwanghaftigkeit, die die Charaktere in diesem Spiel um Macht in ihren Entscheidungen einschränkt. Der Transport von der Bühne ins Freie ist der schnell und schnörkellos erzählenden Inszenierung gut bekommen.

Die Deutsche Oper, in der Wagners „Rheingold“ am 12. Juni Premiere gehabt hätte, sie musste abgesagt werden, spielt nun aber auf dem Parkdeck eine komprimierte Nachschöpfung des „Rheingolds“, die der britische Komponist Jonathan Dove geschrieben hat. Das Orchester wird von Donald Runnicles geleitet.

Das Deutsche Theater bringt András Dömötörs Inszenierung der „Pest“ von Camus, die im November Premiere in der kleinen Spielstätte Box hatte, auf den Platz vor dem Theater. Und im Berliner Ensemble laden Ensemblemitglieder ab dem 10. Juni für 15 Abende zu kleinen Programmen ein, Improvisationen, Monologen und Theaterreflexionen auf einer kleinen Bretterbühne. Das sei wie ein „Gruß aus der Küche“, sagt Oliver Reese, der Intendant des BE. Ohne Regisseure, mit geringem Aufwand gestaltet, befinden sich doch zurzeit 180 von 200 Mitarbeitern in Kurzarbeit.

Sitzinseln als Symbol

Wie aber geht es weiter in der nächsten Spielzeit, deren Programme kaum wie langfristig geplant laufen können, aber dennoch jetzt in der Probenphase sind? Oliver Reese erläutert das für sein Haus im Telefoninterview. Als das Berliner Ensemble Mitte Mai Fotografien ihres Zuschauersaals publizierte, in dem von 700 Plätzen in engen Reihen nur 200 als Zweier- und Einser-Sitzinseln übriggeblieben waren, ging das Foto um die Welt. „Das wurde über zehn Millionen Mal angeschaut“, sagt Oliver Reese; es sei „zu einem Symbol von Theater in Coronazeiten“ geworden. Für Reese spiegelt es eine Zeit wieder, in der man sich auf kurzfristige Veränderungen möglichst kreativ einstellen muss.

Der Ausbau der Sitze wird genutzt, um die Bestuhlung, deren Polster schon über Jahrzehnte durchgesessen sind, zu überholen; die Verteilung der Sitzinseln folgt einer mit einem Sicherheitsunternehmen ausgetüftelten Logistik, um mit möglichst viel Abstand zu allen anderen zu seinem Platz zu gelangen. Ein- und Ausgang sind getrennt, um Stau in den Foyers zu verhindern. Dieses veränderte Publikumsmanagement ist freilich nur die eine Seite. Was auf der Bühne geschehen kann, wie geprobt wird, die andere wichtige Frage.

Von allem wird es weniger geben: weniger Premieren, weniger Wechsel im Spielplan, kleinere Stücke ohne großes Ensemble, weniger Technikeinsatz, keine Pausen. Das Berliner Ensemble hat seinen Spielplan schon vorgestellt, der am 4. September beginnt, mit Stücken von Olga Grjasnowa, Ferdinand von Schirach, Henrik Ibsen, Euripides und Elfriede Jelinek.

Dabei ist auch eine Inszenierung von Frank Castorf nach Erich Kästners „Fabian“, deren Premiere für März vorgesehen war und nun im November kommt. Darüber kann man erst mal ins Spekulieren geraten, wie Castorf, der sich in einem Interview des Spiegel im April über Hygiene- und Abstandsregeln empört hat, denn jetzt probt. Oliver Reese erzählt, dass er dem Regisseur eine Verschiebung der Premiere um ein Jahr angeboten hatte. Aber nach drei Tagen meldete sich Castorf, er wolle mit dem Stück doch gerne schon früher herauskommen und werde sich dafür auch bei den Proben an die Regeln halten.

Erfahrungen der Isolation

Meine Spekulation, ob dann je eine Person in einem Raum alleine vor einem Kameramann agiert, wie man es schon von Castorf kennt, und man alles in der Projektion sieht, kann der Intendant nicht kommentieren. Aber er erzählt, dass die Regisseurin Mateja Koležnik, die Ibsens „Gespenster“ inszeniert, ihr ursprüngliches Bühnenbild verworfen habe zugunsten eines neuen, in dem jeder Darstellende einen eigenen Raum hat – nicht, weil es dann beim Proben einfacher ist, die Abstandsregeln einzuhalten, sondern aus einem ästhetischen Impuls heraus, einer Reaktion auf die Zeit der Pandemie und ihre Erfahrungen der sozialen Isolation.

Es muss inhaltlich und ästhetisch stimmig sein, was unter Einhaltung der neuen Regeln entsteht – dass dies möglich ist, darauf setzt Reese.

Natürlich nimmt ein Haus mit weniger Zuschauern auch weniger Geld ein. Zurzeit ist die Kalkulation am Berliner Ensemble, das entstehende Defizit durch weniger Ausgaben minimieren zu können, indem Kurzarbeit fortgesetzt wird, Stücke en suite gespielt werden, weniger Umbauten erforderlich sind. Ästhetik und Ökonomie auszubalancieren, ist mit der Pandemie in eine neue und herausfordernde Phase getreten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!