Berliner Sechstagerennen: Fossil sucht Moderne
Das traditionsreiche Sechstagerennen kämpfte zuletzt mit finanziellen Problemen und zurückgehendem Interesse. Nun startet es reformiert.
Als Anfang dieser Woche das Sechstagerennen in Bremen zu Ende ging, war eine der ganz wichtigen Schlagzeilen im Boulevard, dass Mickie Krause gesungen hat. Und Radprofi Marcel Barth bezeichnete die Veranstaltung in einer Lokalzeitung durchaus lobend als „Winter-Ballermann“. Es durfte sich bestätigt fühlen, wer Sechstagerennen als Mischung aus Promiflash und Zirkusveranstaltung belächelt. Lustige Chimären aus Bierzelt, Showgeschäft und Radsport, die als Relikte aus den 1920er Jahren überdauert haben. Und ums Überleben kämpfen.
Aber so einfach ist es nicht: Wenn heute das älteste noch bestehende Sechstagerennen der Welt in Berlin startet, hat das mit Bremen wenig gemein. Und die reformierte Version im Velodrom ist auch ein Testlauf, ob das Sechstagerennen in diesem Jahrhundert eine Zukunft hat.
„Dieses Jahr wollen wir uns richtig auf den Wettbewerb konzentrieren“, sagt Valts Miltovics. „Es geht um Sport, nicht in erster Linie um Entertainment.“
Der Slogan ist auf Berlin angepasst, seine Umsetzung hat hier bessere Chancen als in Bremen: Traditionell steht der Sport beim Berliner Sechstagerennen stärker im Vordergrund. „Wenn die Leute nur Unterhaltung wollten, gäbe es hier tausend andere Veranstaltungen“, glaubt Miltovics.
Das Sechstagerennen in Berlin gibt es seit 1909. Es ist damit das älteste noch ausgetragene Sechstagerennen der Welt – und das am häufigsten ausgetragene. Seine größte Popularität hatte es in den 1920er Jahren, als es wegen des starken Andrangs zweimal im Jahr stattfand.
Die Austragungsorte haben gewechselt. Ab 1911 fanden die Rennen im Berliner Sportpalast statt. Später wurden sie im Osten in der Werner-Seelenbinder-Halle, im Westen in der Sporthalle am Funkturm ausgetragen. Dort stürzten mehrere Fahrer wegen der engen Bahn tödlich. Seit 1997 findet das Sechstagerennen im Velodrom statt.
Reformen sollen die Rennen schneller, unterhaltsamer, spannender und für ein jüngeres Publikum interessanter machen. Durch die Eurosport-Übertragung und das neue Konzept als europäische Serie soll auch mehr internationales Publikum gewonnen werden. (asc)
Der Lette ist seit April neuer Boss bei den – wie es neudeutsch heißt – Sixdays und hat die anspruchsvolle Aufgabe, das traditionsreiche, kriselnde Berliner Sechstagerennen in die Zukunft zu führen. Deutschlandweit verlieren die Winterbahnrennen Publikum. An anderen Standorten wie Köln, München und Dortmund wurden sie schon eingestellt; in Bremen versucht man, es mit Showbiz zu reißen.
Ein hart umkämpfter Markt
Auch das Berliner Sechstagerennen geriet zuletzt in Turbulenzen. „Es gab finanzielle Probleme“, bestätigt Miltovics. „Wir müssen mit anderen Veranstaltungen kämpfen, Berlin ist ein harter Markt. Und es ist nicht die reichste Stadt, es gibt keine unbegrenzten Sponsorenmittel.“
2015 nach Zuschauer- und Umsatzeinbußen an die Londoner Madison Sports Group verkauft, scheint es der neue Besitzer zumindest für zukunftsfähig genug zu halten, um zu investieren. Generalmanager Mark Darbon fasste das neue Konzept im Oktober so zusammen: „Schneller, kürzer, spannender.“
Die Rennen sollen ab jetzt spätestens um Mitternacht zu Ende sein, die Jagden schneller werden. Neue Elemente wie das Jedermann-Rennen für Amateure, ein Videowürfel oder Besichtigungsmöglichkeiten des Fahrerlagers sollen jüngeres Publikum anlocken. Außerdem wird nur noch in Nationalteams gefahren; für Deutschland treten die Duos Marcel Kalz/Leif Lampater sowie Max Beyer/Christian Grasmann an.
Die vielleicht wichtigste Neuerung aber ist die Internationalisierung: Das Rennen wird zum ersten Mal als Teil einer europäischen Serie mit Finale ausgetragen – und der TV-Sender Eurosport wird an jedem Abend 150 Minuten lang übertragen. „Früher war es ein Rennen in Berlin für Berlin“, sagt Ralf Zehr, Präsident des Berliner Radsport-Verbandes (BRV). „Jetzt ist der Markt europäisch. Wir hoffen, dass das frischen Wind bringt.“
Die Reformen sind überfällig: Das aktuelle Publikum rekrutiert sich vielfach aus Ü50-Klientel, oft eingefleischten Fans aus Ostberlin, die halt schon immer die DDR-Rennen schauten.
Bei den jungen Berlinern und Zugezogenen tut sich das Sechstagerennen schwer. Und die Zuschauerzahlen sagen nicht unbedingt etwas über die Einnahmen: In den letzten Jahren gab es zwar immer um die 70.000 Zuschauer, aber rund ein Drittel der Tickets, sagt Miltovics, seien als Freikarten vergeben worden. „Die Leute müssen langsam lernen, für die Karten zu bezahlen.“
Allerdings steht das Sechstagerennen in Konkurrenz zu zahlreichen anderen Sportveranstaltungen. „Die Sehgewohnheiten im Sport haben sich geändert“, sagt Valts Miltovics. „Wir müssen schneller werden, weniger Pausen machen.“
An Traditionen festgehalten
„Man hat zu lange nur auf alte Traditionen gesetzt“, glaubt Ralf Zehr vom BRV. „Das war ein Fehler.“ Hinzu kommen die üblichen Probleme einer Randsportart: Wenig Medieninteresse, wenig bekannte Sportler, teils komplexe Regeln, die kaum jemand kennt. Und der Dopingsumpf im Radsport hilft auch nicht unbedingt in Sachen Popularität.
„Der Radsport hat es bisher nicht geschafft, sich erfolgreich zu kommerzialisieren“, sagt Ralf Zehr. Um Leute zu erreichen, brauche es vor allem Testimonials. „Uns fehlen in Berlin momentan die lokalen Helden. Es wäre wichtig, deutsche Stars zu haben, aber noch wichtiger wäre es, Berliner Stars zu haben.“
Publikumslieblinge wie Robert Bartko sind zurückgetreten. Nachwuchstalente wie Calvin Dik oder Elias Richter sind bislang eben nur Nachwuchstalente. Und ausländische Stars kosten Geld oder haben volle Terminkalender. Die Sixdays versuchten etwa, den britischen Weltstar Mark Cavendish zu gewinnen, doch der fährt gerade Straßenrennen in Australien. „Straßenrennen waren früher im Oktober zu Ende“, sagt Valts Miltovics. „Jetzt gibt es sie fast das ganze Jahr, weil die Sportler nach Dubai oder nach Australien fliegen. Für Sechstagerennen macht das die Sache kompliziert.“
Berlin soll, so der ambitionierte Plan des Veranstalters, seine eigenen Stars aufbauen. Bleibt dafür Zeit? Miltovics mahnt Geduld an: „Wir glauben an die Veranstaltung. Aber man kann nicht alles von heute auf morgen um 180 Grad drehen.“ Die Madison Sports Group habe sich fünf Jahre als Rahmen gesetzt: Bis dahin soll Berlin ausverkauft sein, die Freikarten reduziert haben und finanziell profitabel werden.
Ralf Zehr sagt, er habe ein gutes Gefühl bei der Madison Group. „Sie wissen, worauf sie sich eingelassen haben.“ Aber auch er weiß, dass Geld und Zeitrahmen endlich sind: „Im ersten Jahr müssen sich die Leute an die Neuerungen gewöhnen. Im zweiten Jahr müssen mehr Leute kommen. Im dritten Jahr muss es sich durchgesetzt haben.“ Dann wird das Fossil entweder in der Gegenwart angekommen sein oder Schwierigkeiten bekommen.
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