Berliner Kunstprojekt in Coronazeit: Knoten schaffen in der Krise

„Times in Crisis“, ein Projekt der Klosterruine, zeigt Videotagebücher von Berliner Künstler*innen – und zahlt ihnen dafür sogar ein Honorar.

Kunst in Berln, auf dem Teller angerichtet: ein verknoteter Strick

Ein“Times in Crisis“-Still: künstlerische Verknotung, von Mirjam Thomann inszeniert Foto: Mirjam Thomann

Für die Künstlerin Mirjam Thomann sieht es so aus, das Bild für diese merkwürdigen, ihrer alltäglichen Riten beraubten Tage, in denen wir uns momentan befinden: ein brezelförmiges Stück Tau, ein Knoten, der auf einer Drehscheibe in endlosen, gleichförmigen, sanft ratternden Runden um sich selbst kreist. In jeder Folge ihres Videotagebuchs für das Projekt „Times in Crisis“ erscheint er und dreht sich jeden Tag eine Minute länger. Dazu laufen in den Untertiteln Auszüge aus Texten, mit denen sich Thomann zeitgleich beschäftigt. Texte, die gerade wichtig erscheinen, Blogs und Nachrichten etwa. Am 29. März ist es die Anleitung, die all diejenigen wieder und wieder vor sich sehen, die einen Antrag auf Soforthilfe bei der Investitionsbank Berlin stellen, einen Tag später ein vielgeteilter Beitrag von Paul B. Preciado, erschienen auf www.artforum.com, der von auf einmal wieder virulenten Sehnsüchten nach Verflossenen und überhaupt der Fragilität von Gemütszuständen in Quarantänezeiten handelt.

„Times in Crisis“ ist eines jener Formate, die wie Pilze aus dem Boden schießen, seitdem das Internet zur einzigen Plattform avanciert ist, auf der man noch so etwas wie Sichtbarkeit für Kunst erreichen kann, also seit zumindest gefühlt jedes Museum und jeder Projektraum virtuelle Ausstellungen installiert, Podcasts sendet, Führungen livestreamt und Social-Media-Takeovers organisiert.

„Times in Crisis“ ist ein Projekt unter vielen, eines jedoch, bei dem es sich lohnt genauer hinzusehen. Initiiert hat es Christopher Weickenmeier für den Instagram- und YouTube-Kanal der Klosterruine Berlin. Viel nachgedacht habe er darüber, welche Alternativen nun im Digitalen aufgetan werden könnten, sagt er, Alternativen, die nicht einfache Übersetzungen des Analogen darstellten und damit oft scheiterten, sondern tatsächlich die genuinen Möglichkeiten der Technologien nutzten.

Auf Videoblogs kam er, weil es dafür die passende Infrastruktur schon gab – auf YouTube nämlich – und weil sie die nötige Offenheit bieten, sodass Künstler*innen dort auch wirklich etwas kreieren können, das neu und interessant, nicht bloßer Ersatz ist.

„Time in Crisis“ startete am 23. März und lässt jeweils für eine Woche, oder auch länger, eine recht beeindruckende Auswahl an Berliner Künstler*innen zu Vlogger*innen werden. In der ersten Woche waren das neben Thomann, Leda Bourgogne (in Zusammenarbeit mit Rebecca Prechter), Verena Buttmann, Nick Koppenhagen, Magdalena Los, Julia Novacek, Pablo Schlumberger und Nik Timkova & Uzana Zabkova. Kaum eine*r von ihnen arbeitet normalerweise mit Bewegtbildern, was das Ganze zu einem Experiment macht, das freilich nicht immer ganz aufgeht.

Öffentlichkeit ist immer gut

Alle Videos entstanden für und während der Laufzeit, aus dem Moment heraus. Ebenso wie die Qualität der Filmchen – Anspieltipp: Je nach Vorliebe sind besonders die von Buttmann, Bourgogne und Koppenhagen sehenswert – ist jedoch noch ein anderer Punkt entscheidend: die Frage nämlich, was all diese hübschen neuen Online-Spielereien denen, die dort zu sehen sind, den Künstler*innen also, denen gerade erst sämtliche Einnahmequellen weggebrochen sind, deren Ausstellungen und Performances abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, tatsächlich bringen.

Öffentlichkeit ist immer gut, aber was nützt sie, wenn sie sich auf die eigene Blase beschränkt? Und erst recht: Wenn sie die Miete nicht bezahlt?

Initiativen wie die von Weickenmeier machen vor, wie es auch anders gehen kann: Die Klosterruine, die zum Netzwerk der kommunalen Galerien des Bezirks Mitte gehört, zahlt den Künstler*innen für die Teilnahme an „Times in Crisis“ ein Honorar. Kein übermäßig großes, aber doch das für kommunale Galerien in Berlin übliche.

Weickenmeier braucht dafür sein Budget auf, das eigentlich für das – natürlich auf Eis liegende – Sommerprogramm gedacht war. Lange reicht das nicht mehr, wie es danach monetär weitergehen wird, weiß er noch nicht, doch er hat Hoffnung, dass sich neue Töpfe auftun könnten.

Die zweite Woche, die am Donnerstag gestartet ist, gestalten nun erst einmal Eli Cortiñas, Elif Saydam, Boris Ondreicka, Steven Warwick und Nina Wiesnagrotzki mit ihrem Blick auf Zeit und Welt, was im Falle von Wiesnagrotzki ganz besonders interessant werden könnte. Die Künstlerin ist auch ausgebildete Ärztin und arbeitet derzeit auf einer Corona-Teststation.

Weickenmeiers einführender Text zu „Times in Crisis“ endet mit der Aufforderung, die Zeit, die wir momentan haben, dafür zu nutzen, aufeinander aufzupassen, sich umeinander zu kümmern. Gemeint sind damit natürlich alle, Künstler*innen und Kulturschaffende vielleicht aber noch ein bisschen mehr.

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