Berliner Grüne: Hopp oder Pop?
Im Herbst entscheiden die Grünen darüber, mit wem sie 2021 in die Wahlen zum Abgeordnetenhaus gehen. Wer wird's?
Bei den so oft Teilhabe und Partizipation betonenden Grünen darf das natürlich nicht so einfach im Text stehen. Dabei ist die Formulierung, wonach zu klären ist, „in welcher Formation“ man antrete, genauso eine Mogelpackung wie das gegenwärtige mantrahafte CDU-Gerede vom „Team“, das angeblich die Christdemokraten führen soll. Bei den Grünen legt der Begriff „Formation“ ähnlich irreführend nahe, es gebe Varianten zu einer Spitzenkandidatur – was nicht so ist.
Die Grünen haben zwar die Doppelspitze in die deutsche Politik eingebracht, und die SPD hat dieses Modell jüngst übernommen. Doch die Verfassung von Berlin sieht so etwas samt alternativer Formationen nicht vor: „Der Senat besteht aus dem Regierenden Bürgermeister und bis zu zehn Senatoren“, steht da in Artikel 55. Nur eine Person an der Spitze also, und die Möglichkeit, dass eine Frau den Posten übernimmt, kennt das Gesetz rein sprachlich gar nicht. Zwei gleichberechtigte Regierungschefs gab es zwar schon mal dort, wo es auch einen Senat gab – aber das war im antiken Rom mit zwei Konsuln an der Spitze des Staates.
Die Gesetzeslage samt Vorgaben für Kandidaturen stürzt die Grünen regelmäßig in ein Dilemma: Ausgerechnet die Partei der Doppelspitzen muss sich alle paar Jahre zu Abgeordnetenhaus- oder Bundestagswahlen für eine alleinige Nummer 1 entscheiden, die ganz oben auf der offiziellen Kandidatenliste steht. Das war nicht allzu relevant und durchaus mit viel Team-Rhetorik zu übermalen, solange die Grünen nichts mit der Führung der Regierung zu tun hatten. Und darum setzten die Grünen bei der vergangenen Wahl sogar auf eine doppelte Doppelspitze, mit den jeweils zwei Führungskräften aus Partei und Fraktion.
In den Umfragen kommen sie auf 25 Prozent
Doch dieses Mal ist das anders. Die Grünen führen die Umfragen in Berlin für die Abgeordnetenhauswahl, die für den Herbst 2021 vorgesehen ist, mit großem Vorsprung an. In der jüngsten Umfrage kommen sie auf 25 Prozent – die Linkspartei als nächststärkste erreicht bloß 17, die CDU 16, die SPD gar nur 15 Prozent. Seit Oktober 2018 liegen die Grünen in Berlin vorn, fast eineinhalb Jahre schon – und es ist kein Grund erkennbar, warum sich das ändern sollte: Mehr Autofahrer oder über die ausbleibende Mobilitätswende enttäuschte Radfahrer als bislang kann die Partei kaum noch vergrätzen. Und auch Franziska Giffey als letzte Rettung der SPD verändert bislang die Umfragewerte nicht.
Die Führung in den Umfragen währt bereits jetzt deutlich länger als vor der Abgeordnetenhauswahl 2011, als die Grünen eine Zeitlang auch Hoffnungen hegen konnten: Da wurden sie aber erst ein Jahr vor der Wahl stärkste Partei, konnten sich aber nur viel kürzer vorne halten und lagen sieben Monate später wieder dauerhaft hinter der SPD, am Wahlabend dann sogar auch noch hinter der CDU. Es lässt sich also durchaus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass den Grünen 2021 in Berlin gelingt, was ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg schon 2011 schafften: die Regierungszentrale zu übernehmen.
In Berlin braucht es dafür im Grunde kein großes Casting, keine Kandidatenschau – weil die führenden und bekanntesten Grünen-Frauen seit Jahren unter genauer Beobachtung der (interessierten) Öffentlichkeit ihren Job machen, nämlich Fraktionschefin Kapek und Senatorin Pop, bis 2016 ebenfalls lange Vorsitzende der Abgeordnetenhausfraktion. Völlig absurd wäre es, wenn die so sehr auf Frauenförderung setzenden Grünen ausgerechnet beim Spitzenjob ihren seit vielen Jahren bewährten weiblichen Führungskräften einen Mann vorzögen.
Auf dem Wölkchen mit Krönchen
Schon im Mai des vergangenen Jahres fragte die taz Pop, ob es ihr nicht schmeichele, dass sie als Regierungschefin gehandelt wurde. Pops Antwort damals: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich weder auf rosa Wölkchen sitze noch mir irgendwelche Krönchen aufsetze.“ Das braucht Pop auch gar nicht, weil es im Herbst an der Partei ist, ein solches Krönchen aufzusetzen – ihr oder Kapek.
Wer von den beiden gerade vorne liegt, lässt sich schwer ausmachen. Es gibt aber Indizien. Kapek, zu Hause im – wie der gesamte Landesverband – links dominierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, war in den vergangenen Monaten weit weniger in der Kritik als Pop. Und obwohl auch andere Führungskräfte aus Partei und Fraktion Pops Wunsch stützen, die bisherige Auto-Messe IAA als Mobilitätsplattform nach Berlin zu holen: Es war die Wirtschaftssenatorin, die beim Grünen-Parteitag im Dezember als große Verliererin aus einer Abstimmung dazu herausging und danach verständlicherweise um ihre Fassung rang. Auch Pops pragmatische Herangehensweise in Sachen Tesla-Ansiedlung vergangene Woche – „man muss nicht immer gegen alles sein“ – brachte ihr Kritik ein.
Pop hat als Senatorin zwar formell mehr Regierungserfahrung. Aber zum einen ist ihre Wirtschaftsverwaltung eines der kleinsten Senatsressorts, zum anderen kann Fraktionschefin Kapek, wenn auch ohne Stimmrecht, in jeder Senatssitzung mit am Tisch sitzen. Es ist auch nicht so, dass da nun holzschnittartig eine Reala und über linke Kreise anschlussfähige Frau einer linken Ideologin gegenüberstünde. Vor einem Monat etwa saß Kapek mit CDU-Chef Kai Wegner in einem Gesprächssalon der Christdemokraten zusammen.
Treffen an Bio-Wurstbuden
Man diskutierte, man war sich zwar nicht einer Meinung, aber per „Du“, und Teilnehmern zufolge mündete das Treffen im kleinen Kreis an einer Bio-Currywurstbude. Auch mit CDU-Fraktionschef Burkard Dregger, der sich nach dem Thüringen-Eklat mit einer sehr misslichen Äußerung selbst in eine rechte Ecke bugsierte, stand Kapek während der Parlamentssitzung am Donnerstag eine Zeitlang plaudernd zusammen.
Ja, bis zur Abgeordnetenhauswahl sind es noch eineinhalb Jahre. Und natürlich wissen die Grünen noch genau, dass 2011 ihr Vorsprung noch schneller dahinschmolz als die Polkappen. Aber die Ausgangsvoraussetzungen sind andere als damals, der Vorsprung dieses Mal längst über eine momentane Welle wie etwa den immer langsamer werdenden „Schulz-Zug“ bei der SPD 2017 hinaus. Es dürfte Zeit sein, die Landesverfassung upzudaten, und in Artikel 55 ein „… oder der Regierenden Bürgermeisterin“ einzufügen. Ob die Kapek oder Pop heißt, braucht ja nicht im Gesetz zu stehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs