Berliner Grüne zu Brand in Moria: „Berlin wird Druck machen“
Rot-Rot-Grün werde das „Nein“ des Bundes zu einem eigenen Landesaufnahmeprogramm nicht mehr akzeptieren, sagt Grünen-Politikerin Jarasch.
taz: Frau Jarasch, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die brennenden Flüchtlingscamps in Moria sehen?
Bettina Jarasch: Es macht mich wütend, weil es so absehbar war, dass so etwas passieren kann. Spätestens seit Coronafälle im Lager bekannt geworden sind und die Camps einfach abgeriegelt wurden, als es also weitere Zwangsmaßnahmen gab statt Hilfsangebote, musste man davon ausgehen, dass es weiter eskaliert.
Apropos Hilfsangebote: Im Mai wurde beschlossen, dass Berlin über das Bundesprogramm von Innenminister Horst Seehofer (CSU) rund 150 Geflüchtete aus Moria aufnehmen soll. Ende Juli sollten die ersten kommen. Wie viele sind jetzt da?
Meines Wissens sind bisher gerade mal knapp 60 Menschen in Berlin angekommen – und die 8 unbegleiteten Minderjährigen aus dem Frühjahr.
Wo hakt es?
Die Umsetzung ist aufwendig. Da braucht es für jeden einzelnen Asylfall ein Dossier mit Stellungnahmen von UNHCR und anderen Organisationen. Und weil es ein Bundesprogramm ist, können wir da als Land auch nichts beschleunigen. Aber es ist klar: Das muss jetzt schneller gehen.
ist flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und war bis 2016 eine von zwei Berliner LandeschefInnen ihrer Partei.
Was ist mit dem Berliner Landesaufnahmeprogramm, das bisher an der Zustimmung Seehofers scheiterte: Lässt die Koalition das Scheitern so stehen?
Nein, mit den Bildern aus Moria dieser Tage ist endgültig Schluss. Berlin kann und wird da noch mal Druck machen. An dieser Stelle steht Rot-Rot-Grün geschlossen.
Wie wollen Sie denn Druck machen – das Nein von Seehofer ist bisher ja eindeutig.
Am 18. September tagt der Bundesrat, da muss das Thema auf die Agenda – und dann braucht es einen gemeinsamen Beschluss der Länder, dass wir mehr Geflüchtete aufnehmen können als die 928 Menschen, die bisher kommen dürfen. Die Länder hatten ja in einer Abfrage durch das Bundesinnenministerium selbst auch viel mehr Plätze gemeldet, nämlich 2.100. Und ich bin sicher, dass eine nochmalige Abfrage höhere Zahlen bringen würde, auch für Berlin.
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) hatte im Frühjahr gesagt, Berlin könne 2.000 Geflüchtete aufnehmen.
Die Abfrage durch das Innenministerium bezog sich nur auf Familien mit kranken Kindern. Da hieß es, Berlin kann kurzfristig 300 dieser Menschen aufnehmen. Aber ja, Berlin kann in jedem Fall mehr als die 150 Geflüchteten unterbringen, die vom Bund zugewiesen wurden. Und natürlich kann es jetzt nicht mehr nur um besonders schutzbedürftige Menschen gehen, das ist jetzt einfach eine Notlage für alle dort in den Camps. Und da muss sich jetzt, apropos Druck machen, auch die Europäische Ratspräsidentschaft bemühen, da kann man Griechenland nicht alleinlassen.
Hätte Berlin ein eigenes Aufnahmeprogramm, könnte man jetzt handeln und müsste nicht auf Seehofer oder Europa warten.
Wir prüfen als Koalition gerade intensiv, ob wir Rechtsmittel einlegen und gegen die Ablehnung des Landesprogramms klagen. Wir wollen erreichen, dass das Aufenthaltsgesetz so geändert wird, dass die Einvernehmensregelung mit dem Bund gekippt wird. Wir Grüne sind fest überzeugt, dass der Paragraf 23 den Ländern Spielraum für humanitäre Aktivitäten lässt, dazu liegen inzwischen auch viele rechtliche Expertisen vor, insofern ist die Position von Seehofer juristisch mindestens angreifbar. Aber so eine Klage dauert, das bringt die Menschen jetzt nicht hierher. Und sie brauchen jetzt Hilfe. Seehofer kann sich weder als Christ noch als guter Europäer mehr blicken lassen, wenn er das jetzt nicht zur Chefsache macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“