Berliner Gericht zum Kopftuchverbot: Neutralität ist wichtiger als der Glaube
Das Berliner Arbeitsgericht weist die Klage einer Lehrerin ab. Das Verbot religiöser Symbole in staatlichen Einrichtungen sei verfassungskonform.
„Das Neutralitätsgesetz ist Ausdruck des Souveräns, um bestimmte Konfliktlagen zu lösen“, indem staatliche Einrichtungen neutral gestaltet würden, begründete der vorsitzende Richter Arne Boyer das Urteil. Es sei richtig, dass im Gerichtssaal kein Kreuz hinge. Ebenso richtig sei es, dass Lehrerinnen ohne Kopftuch unterrichteten. „Diesen Ansatz unterstützt die entscheidende Kammer und bittet um Respekt.“
Das Berliner Neutralitätsgesetz war in jüngster Zeit immer wieder Streitpunkt juristischer Auseinandersetzungen. Angestoßen worden war dies durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2015. Damals hatten die obersten Richter in einem anderen Kopftuch-Fall erklärt, das Recht des Einzelnen auf Religionsfreiheit dürfe nur eingeschränkt werden, wenn eine „konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden bestehe, nicht aber aufgrund abstrakter Neutralitätsvorstellungen.
An der Berufsschule erlaubt
Im vorigen Jahr hatte sich das Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz an diesem Urteil orientiert und das Land Berlin zu einer Entschädigungszahlung von rund 8.000 Euro an eine kopftuchtragende Lehrerin verurteilt. Begründung: Indem man ihr nur einen Einsatz an einem Oberstufenzentrum oder einer Berufsschule – dort sind religiöse Symbole für LehrerInnen erlaubt – angeboten habe, habe man gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) verstoßen, das Diskriminierung auf Grund der Religion verbietet.
Zur Frage der Verfassungskonformität des Berliner Neutralitätsgesetzes sagte die Kammer damals: Man könne das Gesetz durchaus „verfassungskonform auslegen“, aber von der Klägerin gehe eben keine „konkrete Gefahr für den Schulfrieden aus.“
Im aktuellen Fall war der Lehrerin, die derzeit in Elternzeit ist und auch nicht vor Gericht erschien, zunächst eine Beschäftigung an ihrer Wunsch-Schule zugesagt worden, einer Grundschule in Berlin-Spandau. Als sie am ersten Arbeitstag jedoch mit Kopftuch erschienen war, hatte man sie dort abgezogen und kurz darauf an ein Oberstufenzentrum versetzt. Dies sei rechtmäßig, entschieden nun die Richter. „Wenn wir sagen, das Neutralitätsgesetz gilt, hatte die Senatsverwaltung keine andere Wahl, als so zu handeln“, erklärte Boyer.
Es gehe um religiöse Symbole an sich
Er betonte die Auffassung seiner Kammer, das Gebot der staatlichen Neutralität sei wichtig, weil „niemand das Gefühl haben darf, dass er in diesen Institutionen (wie Gericht oder Schule, Anm.d.Red.) wegen seiner Religion benachteiligt wird“. Die Kammer schließe sich daher auch nicht der Auffassung an, man müsse das Neutralitätsgesetz „verfassungskonform auslesen“, wie es die KollegInnen im vorigen Jahr getan hatten. Es gehe nicht um eine „konkrete Gefahr“, sondern um religiöse Symbole an sich.
Diese Auffassung begründete Boyer mit einer persönlichen Anekdote. Er sei vor zwei Wochen der Aufforderung der Jüdischen Gemeinde Berlins gefolgt, aus Solidarität eine Kippa zu tragen. Er selbst sei kein Jude, habe sich aber eine gekauft und sie bei der Arbeit getragen – wenn auch natürlich nicht im Gerichtssaal. „Der Effekt war enorm“, so Boyer, er sei vielfach angesprochen worden. „Die Kippa wirkte auf alle ein, die mir begegnet sind.“ Deswegen glaube er nun umso mehr, „dass alle religiösen Symbole Einfluss nehmen“. An dem Argument vieler Berliner LehrerInnen gegen das Kopftuch, allein das Tragen dieses Symbols in der Schule könne Kinder beeinflussen, sei daher wohl auch etwas dran. „Das ist die Krux religiöser Symbole: die einen verstehen darunter das Seelenheil, die anderen das Gegenteil.“
Boyer gab im anschließenden Gespräch mit der taz aber auch zu verstehen, dass die Rechtsauffassung seiner Kammer zum Neutralitätsgesetz mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur schwer in Einklang zu bringen sei. Er rechne damit durchaus mit einer Aufhebung der Entscheidung in nächster Instanz. Er halte eine grundsätzliche Klärung dieser Frage für wünschenswert. Das Land Berlin hätte diesen Weg auch schon im vorigen Jahr gehen können, wenn es in dem anderen Kopftuch-Fall in Berufung gegangen wäre. Damals hatte es jedoch darauf verzichtet und die Entschädigung gezahlt.
Seyran Ates vertritt das Land Berlin
Inzwischen wird Berlin allerdings von der streitbaren Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ates vertreten, die nicht vor Ort war. Sie hatte bereits im Vorfeld dieser Entscheidung angekündigt, im Fall einer Niederlage den Rechtsweg zu gehen, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.
Dieser Weg ist nun auch für die unterlegene Klägerin möglich. Ob ihre Mandantin Berufung einlegt, konnte ihre Anwältin Maryam Haschemi Yekani nach der Verkündung noch nicht sagen. Man wolle erst den schriftlichen Entscheid abwarten, erklärte sie noch im Gerichtssaal.
Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, erklärte zur Entscheidung: damit werde „die Diskriminierung kopftuchtragender, muslimischer Frauen auf dem Arbeitsmarkt fortsetzt“. Dies werde einer multireligiösen Stadt wie Berlin nicht gerecht.
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