Berliner Fußball-Klubs: Der Ost-Ost-Konflikt
Einer der beiden Ex-DDR-Klubs der Hauptstadt steigt jetzt vielleicht in die erste Bundesliga auf. Wie hat der 1. FC Union Berlin das geschafft?
An Spieltagen aber drängen in der Regel 22.000 Menschen hierher, auf 37.000 wird ausgebaut. Der Kern steigt immer noch in Köpenick zu, und in der Tram hört man es dann schwer berlinern, obwohl neuerdings sogar Ronja von Rönne Union ganz super findet und der Tagesspiegel über einfliegende Engländer berichtet. Ja, ein bisschen anders ist es hier, gerade so viel, dass es sich gut verkauft.
Dieses Wochenende wird Union Berlin vielleicht ganz oben angekommen sein: Aufstieg in die Fußballbundesliga, diesen symbolträchtigen Ort, der aus 17 Westklubs besteht, und dem von Red Bull als Marketingprodukt installierten RB Leipzig. Im Millionengeschäft Fußball ist manches plumper und sichtbarer als im Alltagsleben. Falls Union aufsteigt, wird die Öffentlichkeit gerührt sein: Ja, es ist ein Ostklub! Irritierend selbstverständlich gibt es dieses Label noch immer, 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Zur selben Zeit, nicht weit von der Alten Försterei entfernt, hat der BFC Dynamo gerade den Abstieg in die fünfte Liga abgewendet. Der alte Berliner DDR-Serienmeister ist so tief gestürzt, dass es hier auch schon wieder irgendwie ursprünglich ist, im baufälligen Jahn-Sportpark, seltsam isoliert im sonst so polierten Prenzlauer Berg – eine eigene Welt. Die Geschichte der alten Erzfeinde BFC und Union kann man mit Shakespeare erzählen. Zwei Berliner Fußballklubs, nicht ganz gleich an Ansehen, in gegenseitiger Abneigung vereint. Aber in echt hat die Geschichte natürlich viele Grautöne.
Was bedeutet den Fans der Osten heute noch?
Der BFC Dynamo gilt zu DDR-Zeiten als der Stasi-Klub, weil er von seinem Ehrenvorsitzenden und damaligem Staatssicherheitsminister Erich Mielke geliebt und bevorzugt wird. Und weil er, wie fast alle DDR-Klubs, einem Träger angegliedert ist, in dem Fall den inneren Sicherheitsorganen. Union Berlin hingegen ist ein ziviler Klub, er soll den Arbeiter unterhalten, aber bloß nicht zu erfolgreich sein. Der BFC holt Meistertitel in Serie, mit freundlicher Unterstützung der Schiedsrichterbranche, und fällt nach der Wiedervereinigung tief.
Und Union, zu DDR-Zeiten ein populärer Klub, aber meist in den unteren Gefilden der DDR-Oberliga unterwegs, kommt nach langen Nachwende-Turbulenzen zu Geld und Kultstatus. Warum kam alles so und nicht ganz anders? Was bedeutet den Fans der Osten heute noch? Fußballgeschichte erzählt deutsche Geschichte – und hier vor allem, welche Spuren die DDR-Zeit hinterlassen hat.
Als die sogenannte Wende kommt, findet Rolf Walter sie „cool“, dieses Wort benutzt der 60-Jährige heute. „Ich wollte sie immer haben.“ Walter ist damals in der Opposition aktiv, unter anderem in der Kirche von Unten und im Friedenskreis Friedrichsfelde, dafür hat er 1988 eine Ausreiseerlaubnis sausen lassen.
Heute arbeitet Walter als freier Fotograf, Anfang der achtziger Jahre ist er noch Stellwerksmeister bei der Deutschen Reichsbahn in Berlin. Erste Erfahrung mit Rebellion hat er beim BFC Dynamo gesammelt, dem Stasi-Klub. Wer glaubte, es sei schwer, mit Fans über Fußball in einer Diktatur zu sprechen, irrt: Walter redet darüber nachdenklich und mit Witz, als habe er nur darauf gewartet, dass jemand fragt.
Eine provokante Spaßveranstaltung
Alle paar Tage hat er noch einen möglichen Kontakt, noch eine Idee, ein altes Foto. Heute wird die Fanszene des BFC vor allem mit Rechten in Verbindung gebracht, aber Anfang der Achtziger ist sie bunt. „Das BFC-Publikum war eigentlich eine kuriose Mischung aus Subkulturen“, erinnert sich Walter. Punks, Skinheads, fließende Übergänge. Rolf Walter kommt zufällig zum BFC, über seinen Großvater, einen strammen Genossen. In Walters Erinnerung gibt es damals sogar ein beschauliches Zeitungshäuschen, das Fanfahnen verleiht, „als Winkelement“. Interessant für widerspenstige Jugendliche wird der BFC Dynamo erst zu Beginn der achtziger Jahre.
„Da hat es bei Auswärtsfahrten richtig gerumst, und da erst hat man die eigene Stärke gespürt. Wenn wir mit 200 Leuten gegen 1.000 Unioner vorgegangen sind und man merkte: Wenn man zusammenhält, hat man eine wahnsinnige Gewalt.“ Auch Walter prügelt damals mit. Damals sei das alles noch nicht politisch gewesen, eher eine provokante Spaßveranstaltung. In Dresden nehmen sie den Lebensmittelmangel aufs Korn, bewerfen die gegnerischen Fans mit grünen Bananen und rufen: Wir haben euch was mitgebracht – Bananen, Bananen.
In Anspielung auf den republikflüchtigen und möglicherweise von der Stasi ermordeten Fußballer Lutz Eigendorf gründet sich ein Fanklub, bis die Stasi dessen Fanklubfahne einkassiert. Auf Auswärtsfahrten hören sie Punkbands und Westmusik, ein Lilahaariger schreit: „Freie Liebe!“, da holen die Leute die Kinder von der Straße. „Die Stasi hat relativ verhalten auf uns reagiert, weil sie froh waren, dass es Fans gab. Mitte der Achtziger ist das dann gekippt, weil sie merkten, dass sie die Kontrolle verlieren, aber da war die Sache eigentlich schon aus dem Ruder gelaufen“, sagt Walter. „Je mehr Gewalt sie anwendeten, umso mehr radikalisierten sich die Leute.“
Es ist ein Versäumnis des Vereins und der Westpresse, dass die Widersprüche der BFC-Geschichte nie in die Gegenwart transportiert wurden. Nach der Wende wurde der Verein zur Verkörperung des Systems. Absurd, wo dieses System doch fast alle Klubs finanziert hatte. Im Image des BFC blieben Linientreue und rechte Hooligans hängen. Da kippte das einst wilde Gemisch nach rechts, hochgeschaukelt durch harte Haftstrafen, neue Schläger und den Reiz der ultimativen Provokation. Vom Punk zum Neonazi war der Weg nicht weit. Prügelnde und plündernde BFCler in der Nachwende-Anarchie ließen die Wessis erschaudern. Der einst subversive Humor ist vergessen, die Geschichte von den guten Rebellen erzählt hingegen Union.
1984 landet auch Rolf Walter im Knast, und als er rauskommt, verschreibt er sich dem politischen Widerstand – „wenn ich noch mal in den Bau muss, dann mache ich es richtig, in der Opposition“. Heute geht er gelegentlich wieder zum BFC, wo immer noch eine DDR-Fahne im Publikum hängt. Nur Provokation, denkt er, denken viele. „Ich glaube, das ist keine Ostalgie; nicht wenige haben ja im Knast gesessen zu DDR-Zeiten. Bei Union sind die viel ostiger, die trauern viel mehr der Vergangenheit hinterher“, meint Walter. Aber stimmt das? Es gehört zu den Widersprüchen dieser Geschichte, dass man die größeren Ossis jeweils beim Rivalen vermutet.
Ein Verein von Gnaden des Systems
Als die sogenannte Wende kommt, will Lopez keinen Anschluss an die BRD. Lopez ist sein Name in der Unioner Fanszene, seinen richtigen Namen will er hier nicht lesen. „Ich war nie ein DDR-Bürger, der abhauen wollte“, sagt Lopez heute. „Ich fand den Sozialismus prinzipiell gut, aber ich war mir bewusst, dass im Osten was falsch läuft.“ Lopez ist seit 1977 Unioner, mit zwölf Jahren kommt er zum ersten Mal ins Stadion. Er ist ein gut gelaunter, warmherziger Typ. Er erinnert sich an ein junges, aufmüpfiges Publikum, die allermeisten unter 25 Jahren. Später umschrieb es das Satireblatt Eulenspiegel mit dem Satz: „Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind, aber jeder Staatsfeind ist Union-Fan“ – unter Unionern ein beliebter Spruch.
„Da ist was Wahres dran“, glaubt Lopez. Auch Götz, damals Platzwart bei Union, träumte zur Wende von einem dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Im Nachhinein findet er das sehr blauäugig. „Aber in der Zeit des Mauerfalls schien alles möglich.“ Ganz kurz auch für die Ostklubs.
Union Berlin, basierend auf dem 1906 gegründeten FC Olympia Oberschöneweide, kultiviert schon früh das Image des Arbeitervereins, verwurzelt in der Bevölkerung. Wie oppositionell oder nicht die Fanszene damals ist, lässt sich heute kaum mehr sicher sagen. In Stasiakten lassen sich nach Angaben der Historikerin Jutta Braun vom Zentrum deutsche Sportgeschichte viele Oppositionskontakte unter Union-Fans nachweisen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Aber natürlich ist es ein Verein von Gnaden des Systems, jeder Union-Präsident ist Parteimitglied. Doch gibt es einen gravierenden Unterschied zum BFC: den Umgang mit DDR-Symbolik. Lopez erinnert sich, wie er 1990 bei einem Auswärtsspiel aus Protest eine kleine DDR-Nadel trug. „Ich wurde von anderen Unionern sofort angehalten: Mach die Scheiße ab.“ Götz erinnert sich an eine Köpenicker Kneipe, die vor einigen Jahren Union- und DDR-Insignien im Fenster hängen hatte. Da sei denen von Fans beschieden worden: „Beides in Kombination passt nicht.“
Mit westkompatibler Distanz zur DDR
Und wenn man heute fragt: Warum gerade Union? Dann haben das Glück und die Zufälle auf einmal eine gewisse Logik. Eine breite Basis, Rückhalt im Kiez und diese demonstrative, westkompatible Distanz zum alten System. Ein öffentlich sichtbares Naziproblem gab und gibt es bei Union nicht, auch, weil „die politische Einstellung am Stadiontor abgegeben wird“, wie Götz es formuliert. Keine DDR-Flaggen, keine Nazibanner, und Streit löst man in der Familie. Das hat mehr von „Der Pate“ als von der linken Fanszene des FC St. Pauli, mit dem Union Berlin gern verglichen wird.
Mit dem Jahr 1990 kommt die fußballerische Wiedervereinigung und spiegelt in vielerlei Hinsicht andere Wende-Erfahrungen. Mit Gleichberechtigung hat der Prozess nicht viel zu tun. Nur zwei Ostteams dürfen in der Bundesliga starten, so lautet der Kompromiss zwischen DFB und dem neuen Ostverband NOFV – und am Ende wird mit vier Absteigern gleich ausgesiebt. In die zweite Liga dürfen sechs Ostklubs hinein, obwohl die Ostvertreter eigentlich alle ihre 14 Erstligisten in den ersten beiden Ligen unterbringen wollten.Es sind folgenschwere Versäumnisse.
Sowohl der BFC als auch Union verpassen die Qualifikation für den Profifußball. Zwischen zusammenbrechenden Strukturen, in den Westen abwandernden Spielern, maroder Infrastruktur und neuer Marktwirtschaft straucheln die Ostklubs, viele erholen sich nie. Am mittelfristig erfolgreichsten werden ausgerechnet einst eher unbedeutende Vereine, Hansa Rostock oder Energie Cottbus etwa. Und nach jahrelangem Niedergang schließlich auch Union.
Götz glaubt, es gebe so etwas wie eine DNA in einem Klub. Etwas, das alle äußeren Ereignisse übersteht. „Trotz aller Skandale des Missmanagements in den Anfangsjahren im neuen Deutschland hatte Union nie das Image verloren, eigentlich der coole Verein zu sein.“ Die kreativen Fanaktionen wie die Rettet-Union-Demo durch das Brandenburger Tor, die Blutspende-Aktion „Bluten für Union“ oder die ehrenamtliche Sanierung des Stadions retten immer wieder direkt und indirekt vor der Pleite und werden irgendwann zum bundesweiten Marketingfaktor. Ist das ein Grund für den Erfolg des Klubs? Dass Union es geschafft hat, „Osten“ mit Nähe und Solidarität zu besetzen statt mit DDR?
Janusz Berthold, BFC-Fan und Marxist
„Ostalgie spielt bei uns keine Rolle“, sagt Lopez entschieden, auch nicht für die Außendarstellung. Viele Unioner betonen das. Die berühmte Hymne von Nina Hagen, „Wir aus dem Osten gehen immer nach vorn“ und „Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen?“, sei gar nicht so nach dem Geschmack vieler Leute aus der Fanszene. Tatsächlich gibt es im Union-Forum lebhafte Dispute darüber, ob man die Zeile überhaupt mitsingen solle. Blöd, gestrig, falsch, finden manche, denn ironischerweise war es ein reicher Westler, der 1998 den Verein rettete. Und dennoch wird die Hymne im Stadion mit am lautesten gebrüllt, Osten und Rebellion sind da plötzlich kompatibel.
„In großen Teilen der Fanschaft sieht man sich eh nicht als Ostverein, da man sich als Berliner schon zu DDR-Zeiten den Zonis überlegen fühlte“, meint Götz. Über die DDR-Flaggen in vielen Stadien nach der Wende machen sie sich in Lopez’ Erinnerung lustig über die Provinztrottel. Gar nicht so unähnlich den BFClern, die Bananen in Dresden schmissen. Sie alle sind Berlin, der Rest ist Dorf. Was schert den Berliner das Gerede von Ost und West? Das mediale Label vom Ostklub wirkt da völlig überholt. Es ist eine regionale Identität, sagen viele.
Eine widersprüchliche Mischung
Als die Wende kommt, ist sie für Janusz Berthold, damals 15 Jahre alt, ein Desaster. Berthold hatte seine erste bewusste Stadionerinnerung beim BFC Dynamo 1984, wurde linientreu erzogen. Er stammt aus einer kommunistischen Familie, der Großvater im antifaschistischen Widerstand, der Vater im Ministerium für Staatssicherheit. „Die Wende war die größtmögliche ideelle Niederlage“, Vater und Großvater gingen daran kaputt, glaubt er.
Janusz Berthold, bis heute überzeugter Marxist, plante damals eine Zukunft in der Auslandsspionage bei der HVA, dem Auslandsnachrichtendienst der DDR. Und sagt doch: „Heute bin ich froh, dass es nicht so weiterging. Die DDR hatte realistisch keine Zukunft mehr.“ Berthold ist einer von denen, die man spontan nicht mit dem BFC in Verbindung bringen würde: Einer, der in alternativen Kneipen und auf linken Demos unterwegs ist, und zugleich einer, der selbst in Mails berlinert und den man irgendwo zwischen Union und einem linken Amateurverein platzieren würde. Manchmal ist der BFC Dynamo eben immer noch eine widersprüchliche Mischung.
In den wilden neunziger Jahren geht Berthold nicht mehr zum BFC, auch, weil es für Linke dort wenig Platz gibt. Stattdessen sucht er Anschluss beim AFFI, einer antifaschistischen Faninitiative. Aber 1999 ist er einer von denen, die zum BFC Dynamo zurückkommen. Janusz Berthold unterteilt die BFC-Nachwendegeschichte in Epochen: erst das Stasistigma, dann die Hool-und-Fascho-Zeit. 2001 geht der kurzzeitig in FC Berlin umbenannte Klub insolvent, er fällt bis in die Verbandsliga.
Seit 2008 geht es für Union aufwärts
Die Verflechtungen jener Jahre zwischen BFC, rechten Hools, Rockern und organisierter Kriminalität sind legendär, zwischenzeitlich sitzt ein führendes Mitglied der Hells Angels im Vereinsvorstand. „Bis vor zehn Jahren war es schwer, da rauszukommen. Mittlerweile rutscht das Stasiding in den Hintergrund. Das Problem ist das rechtsextreme Gedankengut, davon hat sich der Klub nie klar genug distanziert.“ Viel Spielraum gibt es nicht, wenn da alte Fans sind, die man nicht vertreiben will, und wenig frischer Wind von außen kommt – womöglich auch nicht kommen soll.
Dennoch hat sich etwas verändert. Nazisymbolik hat man im Jahn-Sportpark lange nicht mehr gesehen. Die letzten großen Gewaltvorfälle datieren auf 2011. Allenthalben hört man, wie sehr die Vereinsführung bemüht sei, das Image zu verbessern. Der BFC will aufbrechen. Berthold sagt: „Ein Großteil der Klientel im Stadion sind immer noch die alten Fans, viele davon sind jetzt bei Pegida gelandet. Gleichzeitig gibt es den Unterbau mit den Jugendteams, wo ganz viele Migrantenkinder sind. Das ist das Skurrile an dem Verein.“ Auch entsteht, anders als in vielen rechts geprägten Fanszenen, nie eine schlagkräftige Jugendfraktion. Der BFC Dynamo ist wohl sportlich schon zu irrelevant.
Einige sind im Urteil über die fußballerische Wiedervereinigung trotzdem gnädig. Die Historikerin Jutta Braun sagt, die schnelle Einheit sei erst auf Drängen des neuen Ostverbands gekommen, weil die Strukturen zusammenbrachen. Viel Spielraum habe es nicht gegeben. „Ich würde dem Westen da nicht den Schwarzen Peter zuschieben“, meint Braun. Der zweite Kommerzialisierungsschub des Fußballs Mitte der neunziger Jahre aber, sei für den Ostfußball nach diesem Transfer doppelt tragisch gewesen.
Seit dem Aufstieg in die zweite Liga in der Saison 2008/09 kennt Union Berlin im Wesentlichen eine Richtung: aufwärts. Nie so viele Zuschauer, nie so viel bundesweiter Hype – wegen der Stehplätze und der Stimmung und der kommerzkritischen Haltung. Nostalgie, nicht Ostalgie. Seit einigen Jahren ist der Bundesligaaufstieg erklärtes Ziel, gar nicht so zur Begeisterung mancher Unioner. Dirk Zingler, Präsident seit 2004 und nach eigenem Bekunden schon als Kind Union-Fan, ist der maßgebliche Treiber. Zingler empfängt in seinem Büro direkt gegenüber der Alten Försterei. Geräumig mit großzügiger Sofaecke, Zingler raucht noch im Büro, beinahe altmodisch.
„Ostidentität spielt für uns keine besondere Rolle, sondern Identität“, sagt Zingler sofort. Aus dem Osten der Stadt zu kommen, das sei leider für viele immer noch eine politische Angabe. „Für mich spielt die politische Herkunftsidentität, aus welchem Staatssystem wir kommen, keine Rolle. Aber regionale Abgrenzung ist für mich Kern der Bindung zu einem Fußballverein.“ Das Regionale ist die große Erzählung von Dirk Zingler, er spult das routiniert runter, er sagt es dauernd.
Dirk Zingler, Präsident von Union Berlin
Fußball ist für Zingler ein regionales Geschäft, möglicherweise auch aus der Wendeerfahrung. „Viele Dinge in der ehemaligen DDR wurden nach dem Mauerfall fremdgesteuert. Es kamen damals Manager rüber, die uns erzählten, wie das neue Staatssystem funktioniert. Wir standen mit offenem Mund staunend davor. Aber je mehr Zeit verging, umso mehr stellten wir fest: Wir müssen uns wohl um uns selbst kümmern. Und je mehr ein Verein das macht, desto besser kommt er zurecht.“
In Diensten der Stasi
Natürlich hält ein heimatnahes Präsidium nicht als alleinige Erklärung von Unions Erfolg her, und ein Konstrukt wie RB Leipzig hat schließlich auch ohne jede Verwurzelung Erfolg. Das Versprechen ist eher: Auch du, mein Freund, kannst Köpenicker sein. Zingler hütet sich im Gespräch auch penibel vor dem Ostklub-Ding. Über die fehlende Integration der Ostvereine nach der Wende will er nicht klagen, und über die Vergangenheit sagt er: „Natürlich darf man Herkunft nicht verleugnen, die DDR-Zeit gehört zu uns. Aber es ist eben nur ein Teil der Geschichte, und das verwächst sich mit jeder Generation.“
Es ist der große Vorteil Unions gegenüber dem BFC Dynamo, jenem staatlichen Konstrukt, das seine Erfolge nur in der DDR feierte. Union Berlin, dessen Vorläufer 50 Jahre vor der DDR existierte, und dem es 30 Jahre nach dem Mauerfall fantastisch geht – für diesen Verein ist die Zeit dazwischen vielleicht wirklich nur zwei Wimpernschläge, allmählich überschrieben. Nur manchmal nicht.
Dirk Zingler hat dieses Gespräch im Spaziergang genommen, bis es um das Wachregiment geht. Im Jahr 2011 recherchierte der Journalist Matthias Wolf, dass Zingler im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ diente, das der Stasi unterstellt war. Bis zum Unteroffizier hatte er es gebracht, galt als linientreu. Publik gemacht hatte er das nie. Union Berlin, das sich wenige Jahre vorher werbewirksam von einem Hauptsponsor mit Stasiverstrickungen getrennt hatte, saß in einer PR-Klemme. Und stellte sich wie eine Wagenburg um Zingler.
Es ging stattdessen gegen Wolf, den Wessi, der vermeintlich über den Osten richten wollte. Auf Pressekonferenzen wurden ihm keine Fragen mehr beantwortet, er wurde aus der Union-Berichterstattung abgezogen. Wir gegen die, wir aus dem Osten, geschickt inszenierte Union diese Bruchlinie. Und Teile der Presse dämonisierten den Wachdienst eines Teenagers.
Wenn man sich fragt, warum es in Deutschland nach der Wende nie ein neues 1968 gab, nie eine breit gesellschaftlich geforderte, kritische Aufarbeitung der SED-Diktatur, deutet das eine Antwort an: Es existieren mehr Bruchlinien als nur Alt und Jung. Es gibt auch Ost und West.
Dirk Zingler scheinen die Nachfragen aufzuregen, plötzlich wird es kontrovers. Stehen bleibt am Ende dieses Statement: „Die Zeit im Wachregiment ist Teil meines Lebens und gehört zu mir. Es ist legitim, dass ein Journalist darüber recherchierte. Kann man machen. Und dann war die Geschichte wieder vorbei. Für viele bei Union war es kein Geheimnis, und viele beschäftigte es auch gar nicht so sehr, weil auch dieser Wehrdienst Teil einer Biografie in der DDR war.“ Freilich kein ganz normaler Teil.
Natürlich, sagt Zingler, könnten Außenstehende seinen Dienst moralisch verurteilen, aber: „Über mein Leben in der DDR urteilen die Menschen am besten, die Teil davon waren. Natürlich gibt es Menschen, die extrem gelitten haben unter der Stasi und im System DDR. Wenn die sagen, der Begriff Stasi ist ein No-go, habe ich vollstes Verständnis. Auch ich verurteile die Verbrechen, die in der DDR geschehen sind.“ Über Lebensleistungen der Menschen will er reden, nicht so sehr über Systeme. Zingler ist darüber nicht gestürzt, im Gegenteil: Heute könnte die Enthüllung für das Image von Union nicht irrelevanter sein.
Der BFC und die Imagefrage
Eine Statistik der Berliner Morgenpost zeigte vor einiger Zeit, dass Berlin eine fußballerisch geteilte Stadt bleibt: Menschen aus westlichen Bezirken sind eher Mitglieder bei Hertha, die aus dem Osten eher bei Union. Das muss man nicht politisch verstehen; es geht auch um lokale Tradition, und im Umland hat Hertha viele Fans. Der BFC Dynamo ist unterdessen ein Regionalligist mit den üblichen Problemen eines Regionalligisten: zu wenig Geld und Sponsoren, überlastete Ehrenamtler, eine wenig beachtete Liga.
In Peter Meyer ist beim BFC mittlerweile ein Exhool der starke Mann und Geldgeber, weiter kein Werbeargument für Sponsoren. Ewig im Verein auch der Fanbeauftragte Rainer Lüdtke, einer, der der taz mal sagte, die Reichskriegsflagge sei von den Nazis missbraucht worden, und der an einem Tag der Germanen nichts auszusetzen hatte. Sie erreichen aber offenbar die Dynamo-Klientel.
„Wir haben vieles getan, um von dem damaligen Image loszukommen“, sagt Rainer Lüdtke. „Wir haben wie andere Vereine auch Spieler verschiedener Nationen im Verein, vor allem, was unseren Nachwuchsbereich angeht. Dort haben wir einen hohen Anteil an jungen Spielern mit Migrationshintergrund. Wir hatten einen türkischen Trainer. Ich finde es schade, als Verein das erwähnen zu müssen, weil es nicht wahrgenommen wird. Aber wir haben nicht die Gelder, um große Imagekampagnen zu starten.“ Es ist die übliche Haltung, mit der Menschen gern Rassismus von sich weisen – daher können rechte Strukturen gut neben migrantischem Personal existieren, gerade im Fußball.
Wenn es um die Krawalle der Vergangenheit geht, wird Lüdtke ungehalten. Er inszeniert den heutigen BFC als Opfer der Medien. Zugleich spricht er in Bezug auf die neunziger Jahre von „Radikalität“ statt Rechtsextremismus. Fortschritte gibt es dennoch. In der Arbeit gegen Gewalt und mit Fans vor allem, und auch problematische Verbindungen sollen gekappt worden sein. Viel beachtet werden solche Entwicklungen öffentlich nicht.
Aktuell drei Ex-DDR-Klubs in der zweiten Bundesliga
Was bedeutet er also, der Osten, im Verein? Im Gegensatz zu Union hat sich beim BFC, so schildern es viele, die Fanklientel kaum verändert. Es dominieren alte Männer aus dem ehemaligen Osten, die immer schon zu Dynamo gingen. Ein Biotop. Die rechten Kräfte darunter gebe es nach wie vor, möglicherweise sind sie aber auch sichtbarer in einer so kleinen Fanszene. Seit Jahren versucht der BFC im neuen, hippen Stammkiez Prenzlauer Berg mehr Publikum anzuziehen, bisher ohne viel Erfolg.
Union hingegen scheint das hippe Image zuzufallen. Vielleicht wirkt es doch noch zu sehr nach Ost-Zeitkapsel im Jahn-Sportpark, mit DDR-Flaggen im Publikum, Gesängen vom FDGB-Pokal oder dem DDR-Ruf „Sport frei!“ in Teilen der Fanszene – wie ironisch das auch gemeint sein soll. Vielleicht vermischen sich hier Provokation oder Sehnsucht. Und natürlich fehlen Geld und Erfolg, um eine Aufbruchstimmung zu erzeugen.
28, ist taz-Autorin. Sie kommt aus Köln und ist in Wahrheit Bayern-Fan.
„Ostidentität gibt es bei uns sicher noch, aber sie spielt nicht so eine große Rolle“, sagt Rainer Lüdtke. „Wir sehen uns traditionell als Ostverein, aber heute sind wir ein Deutschland.“ Die Zuordnung ist spürbar im Vergleich zu Union, aber Lüdtke hat ja auch nicht halb Europa als potenzielle Kundschaft, sondern Berlin. Und auch er hat eine Jugendabteilung mit Nachwuchs, der mit Ost oder West überhaupt nichts mehr anfangen kann. Ostidentität wächst sich raus, die wirtschaftlichen Lücken bleiben.
In der Bundesliga ist aktuell kein Ex-DDR-Klub vertreten, in der zweiten Liga sind es nach Magdeburgs Abstieg noch drei. Ein Unioner Aufstieg würde ein Stück daran ändern. Als regionale Berliner Fußballgeschichte mit Osthintergrund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid