Berlin auf der Leinwand: Mehr als Netflix für Umme
Bei Ava, dem Streamingdienst der öffentlichen Bibliotheken Berlins, gibt es sehenswerte Berlin-Dokumentationen und -Spielilme zu entdecken.
Klar, ohne Netflix geht es wahrscheinlich nicht mehr. Wegen all den Serien, die es dort zu sehen gibt. Man will ja selbst nachprüfen können, was etwa dran ist an dem (dann doch etwas unverständlichen) Hype um „Das Damengambit“. Aber wegen den Filme, die der US-Streamingdienst im Angebot hat, kann man sich das Abo eigentlich getrost sparen. Da gibt es kaum etwas, was man nicht schon kennt und mehr ist als guter Hollywood-Standard.
In diesem Sinne ist das, was der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB) über seinen eigenen Streamingdienst Ava seit über einem Jahr anbietet, weit mehr als bloß ein Netflix für Leute mit schmalem Geldbeutel, sondern eine echte Fundgrube an guten Filmen, die man bei den großen kommerziellen Portalen eher vergebens sucht.
Allein schon die Namen der Kategorien, unter denen man fündig werden kann, machen mehr Spaß als nur die sonst üblichen Genre-Klassifikationen von „Komödie“ bis „Action-Film“. Bei Sortierungen wie „Filme über Frauen“, wie sie Ava vornimmt, ist schnell das cineastische Interesse geweckt. Oder welche Produktionen lassen sich unter „Zeitreisen“ finden?
Es wird auch schnell klar, dass nicht nur irgendwelche Filme mit ein wenig Anspruch, wie es sich für öffentliche Bibliotheken gehört, in das Programm aufgenommen werden, sondern dass geflissentlich kuratiert wird. Die Auswahl ist so bunt, vielfältig und originell wie nur möglich. Natürlich sind die meisten Filme etwas älter, aktuellere Arthouse-Erfolge werden von deren Rechte-Inhabern wohl lieber erst noch über die kommerziellen Streaming-Plattformen monetarisiert.
Keine üblichen Berlin-Filme
Doch das ist letztlich gar kein Nachteil, im Gegenteil. So bekommt man bei Ava die vielleicht vor acht Jahren in Cannes gezeigten Filme zu sehen, an die man sich gar nicht mehr erinnern kann. Oder die man schon immer einmal sehen wollte, auch wenn man das eigentlich bereits vergessen hatte.
Allein die Auswahl unter der Kategorie „Berlin auf der Leinwand“ zeigt, warum Ava so gut funktioniert. Die üblichen Berlin-Film von „Ein Himmel über Berlin“ bis „Oh Boy“ sucht man hier vergeblich. Dafür findet sich etwa die Dokumentation „Violently Happy“ aus dem Jahr 2016 von Paola Calvo über die Weddinger BDSM-Kommune Schwelle 7.
Diese gibt es inzwischen zwar nicht mehr, doch die Doku über Menschen, die mit Sex, Hang zum Orgiastischen und Selbsttherapie nach einem selbstbestimmteren Leben suchen, bleibt trotzdem eindrucksvoll. Nicht nur, weil hier Sex in seinen unterschiedlichsten Facetten durchaus explizit gezeigt wird, sondern auch Menschen in ihrer nicht nur wortwörtlich physischen, sondern auch psychischen Verletztbarkeit portraitiert werden.
Oder diese Doku „Love, Peace and Beatbox“ von Volker Meyer-Dabisch: Diese ist auch schon 13 Jahre alt, die Szene der Berliner Beatboxer ist schon rein altersbedingt heute eine völlig andere. Und trotzdem folgt man den Figuren, die hier gezeigt werden in einer Zeit, in der die Hip-Hop-Technik des Beatboxings in Berlin erst so richtig populär wurde, gerne überall hin. In ihre Proberäume beim Training für den nächsten Auftritt bei einer Beatbox-Battle. Oder in den sommerlichen Park, wo man sich trifft, um spontan miteinander zu rappen und dazu die Beats mit dem Mund geformt werden.
Echte Fundstücke
Und die ausgewählten Spielfilme, für die Berlin das Setting gibt, sind ebenfalls echte Fundstücke. Etwa „Jack“ von Edward Berger von 2014. Die Geschichte vom zehnjährigen Jack, der sich mit seinem kleinen Bruder durch ein steril wirkendes, abweisendes Berlin schlägt, auf der Suche nach seiner vom Leben überforderten, plötzlich verschwundenen Mutter, ist einfach ergreifend. Warum taucht dieses wunderbare Werk nicht in den ganzen Berlin-Film-Listen auf?
Genausowenig wie die feine Komödie „3 Zimmer, Küche, Bad“ von Dietrich Brüggemann aus dem Jahr 2012, die beweist, dass lustig und deutscher Film unter Umständen eben doch kein Widerspruch sein muss. Und die außerdem belegt, dass man bei der Ava nicht bloß irgendeinen Bildungsauftrag erfüllen, sondern einfach auch mal nur gut unterhalten möchte.
In dem Film wird andauernd umgezogen. Junge Menschen ziehen hierhin, weil sie sich für ein bestimmtes Studium entschieden haben. Oder dorthin, weil sie es nach all den Jahren in einer WG nun doch einmal gemeinsam mit dem Partner versuchen möchten. Dann klappt es jedoch mit dem Studium nicht so wie gewollt und mit der Beziehung auch nicht und schon muss wieder eine Robbe bestellt werden. Brüggemanns Portrait einer Jugend, die sich ständig neu orierntiert und sich auf nichts festlegen kann, ist einfach herrlich. Und ein perfekter Berlin-Film.
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