Berlin auf dem Weg zur Solarcity: Kraftvolles Scheinen

Auf Schulen werden zwar mehr und mehr Solarpaneele installiert. Insgesamt ist das aber sehr wenig. Jetzt prüft der der Senat eine Solarpflicht.

Eine Photovoltaikdachanlage auf einem Berliner Flachdach mit Blick auf den Fernsehturm

Kraft sammeln, auf den Dächern von Berlin Foto: Paul Langrock

Brutzelt die Sonne über Berlin, sollte man diese doch einfangen und steckdosentauglich machen – könnte man meinen. Für Solaranlagen ist auf den Dächern der Hauptstadt noch massig Platz, sagen Studien. Doch Berlin ist deutschlandweit weiterhin Schlusslicht bei der Nutzung von Solarenergie. Damit leere Dächer stärker bestückt werden, will der Senat Ende des Jahres ein Solargesetz beschließen und prüft eine Solarpflicht für alle Dächer – trotz oder gerade wegen des Mietendeckels.

Pünktlich zum Schulstart nach den Sommerferien bauen die Berliner Stadtwerke derzeit 15 Solaranlagen auf Schuldächer in Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Zehlendorf. Mit weiteren Bezirken, etwa Lichtenberg, gibt es bereits Verträge; oder sie werden verhandelt, wie mit Neukölln. Auch auf anderen öffentlichen Gebäuden kommt die vom rot-rot-grünen Senat seit Jahren propagierte Installation von Solaranlagen langsam in Gang: auf Häusern der Bezirke und öffentlicher Unternehmen, wie der Wasserbetriebe. Das ergeben fünf Anfragen des Linken-Abgeordneten Michael Efler von Anfang Juni, der jährlich abfragt, wie es um die Solarenergie in Berlin steht. Und das ist die gute Nachricht.

Die Schlechte: Insgesamt ist das sehr wenig. Was laut grüner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop „Vorbildwirkung“ haben soll, ist vielmehr Ausnahme. Auf öffentlichen Gebäuden gibt es bei weitem nicht so viel Platz und Sonne für Solaranlagen wie auf Mehrfamilienhäusern, wo das größte Potenzial schlummert (siehe Kasten). Doch im privaten Bereich liegen die Potenziale brach.

Unterm Strich lag der Solarstromanteil in Berlin 2018 bei schmächtigen 1,4 Prozent. Für 2019 dürfte er etwas gestiegen sein, belastbare Zahlen gibt es noch nicht. Auf stolze 25 Prozent solle er bis 2050 klettern, beschloss der Senat im März mit dem Masterplan Solarcity. Schaut man sich die Nutzung erneuerbarer Energien bezogen auf den gesamten Energieverbrauch an, liegt der Anteil bei mageren 4 Prozent (2016) – das zeigt der Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien, Berlin ist hier Schlusslicht.

Solarcity: Bis 2050 soll der Solarstromanteil in Berlin von derzeit 1,3 auf 25 Prozent klettern. Einen Katalog mit 27 Maßnahmen beschloss der Senat im März 2020: Förderprogramme sollen ergänzt, Unternehmen informiert, das Handwerk gestärkt und eine Solarpflicht geprüft werden. Interessenvertreter*innen, wie vom Mieterverein oder Vattenfall, erarbeiteten den Katalog gemeinsam mit dem Fraunhofer ISE.

Dächer: Auf Berlins Dächern scheint reichlich Sonne und dort ist genug Platz für Solaranlagen, ergibt die Studie „Das Berliner Solarpotential“ der Hochschule für Technik (u. a. gefördert vom Land Berlin). Die Hälfte des Potentials von 6 bis 10 Gigawatt sei auf Wohngebäuden zu finden, ein Drittel auf Gewerbegebäuden und nur 600 Megawatt auf öffentlichen Gebäuden. Auch der Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien stellt fest, dass noch mehr gehen könnte: Bei der Nutzung von Photovoltaik gemessen am vorhandenen Potential landet Berlin deutschlandweit auf dem vorletzten Rang. (taz)

Eine Solarpflicht soll das jetzt ändern. Der Senat prüft, ob verpflichtend eingeführt werden kann, dass eine Solaranlage gebaut werden muss – bei Neubauten und dem Bestand, wenn das Dach erneuert wird. Der Entwurf für ein entsprechendes Solargesetz, den der Senat derzeit noch unter Verschluss hält, soll im vierten Quartal beschlossen werden, teilt die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe mit. Um maximal einen Euro pro Monat und Quadratmeter darf die Miete in Berlin laut Mietendeckel steigen, wenn das Haus energetisch saniert wird. Das soll laut Senat auch für die Solarpflicht gelten.

„Eine Solarpflicht ist nicht die intelligenteste Lösung“, sagt Reiner Wild vom Mieterverein. Dem Haus unter dem Dach und den darin wohnenden Mieter*innen würde das kaum etwas bringen. Zwar könnte eine Pflicht Treiberin für Mieterstromprojekte sein, aber dafür müssten Regelungen verbessert werden.

In Berlin, wo 83 Prozent der Wohnungen vermietet sind, sind Mieterstromprojekte für eine sozialverträgliche Energiewende unverzichtbar. Mie­ter*innen profitieren dabei direkt vom günstigen Strom aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach. Eigentümer*innen müssen jedoch überzeugt und gefördert werden: Bislang werden Mieterstromprojekte kaum umgesetzt – sie rechnen sich zu wenig. Zwar lohnt es sich für Hauseigentümer*innen mit Solaranlage bislang deutlich mehr, wenn sie ihren Strom selbst nutzen und nicht ins Netz einspeisen. Doch für sogenannten gemeinschaftlichen Eigenverbrauch wie Mieterstrom gibt es enorme rechtliche Hürden auf Bundesebene. Um Mieterstrom zu stärken, startete Berlin 2018 eine Initiative im Bundesrat – vergeblich. „Wir können nicht länger auf den Bund warten“, sagt der Grünen-Abgeordnete Georg Kössler, weshalb jetzt eine Solarpflicht sinnvoll sei.

Um für aktuell noch unwirtschaftliche Fälle wie Mieterstrom bessere Rahmenbedingungen zu erhalten, müsse Berlin weiter Druck auf den Bund ausüben, sagt Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), das die Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ federführend für den Senat erarbeitet hat. Parallel zu einer Solarpflicht brauche es verstärkte Förderungen auf Landesebene.

Die Idee für eine Solarpflicht ist nicht neu: In Hamburg soll 2023 eine Solarpflicht für den Neubau eingeführt werden – 2025 dann für den Bestand. In Baden-Württemberg soll sie ab 2022 kommen, für Neubauten, die keine Wohngebäude sind. Für den Neubau sei eine Solarpflicht sinnvoll, sollte aber weitere Nutzungsmöglichkeiten der Berliner Dächer als Aufenthaltsort, Technikfläche, Gründach und zur Wasserversickerung berücksichtigen, sagt Juan Victoria von BLS Energieplan, einem Planungs- und Beratungsbüro für nachhaltige Energiesysteme. Wenn auch für den Bestand eine Pflicht komme, müsse die Finanzierung und die Umsetzung einfacher werden. Das erfordere eine Konsolidierung der Förderprogramme von Bund und Ländern.

Fest steht: Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Berlin spielt nicht nur Solarenergie eine Rolle. Kreative Lösungen im Zusammenspiel mit Biomasse, Wärmepumpen oder Blockheizkraftwerken sind gefragt. „Eine Solarpflicht könnte mit einer Energieberatung verbunden werden, um zu schauen, wo Solar, aber auch wo andere Lösungen Sinn ergeben“, sagt Victoria. Sicherlich müsse die Solarpflicht mit Solarthermie und Gründächern verschränkt werden, sagt auch Grünen-Abgeordneter Kössler, „aber jetzt müssen wir erst mal an die Dächer rankommen.“

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