Berlin Görlitzer Park: Ein Zaun braucht keine Opfer

Weil die zentrale Zeugin nicht kommt, platzt der Prozess um eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung. Der Park soll trotzdem eingezäunt werden.

Die Polizei steht mit zwei Fahrzeugen im Görlitzer Park

Polizei im Görlitzer Park Foto: Jörg Carstensen / dpa

BERLIN taz | Der Görli-Prozess ist vorerst geplatzt. Und damit wird es so bald keine Antwort geben auf die Frage, die der Stadt monatelange Debatten um Sicherheit, eingezäunte Grünflächen und die Drogenszene im Wrangelkiez beschert hat. Die Frage nämlich, ob das, was im vergangenen Sommer in einer Juninacht im Görlitzer Park passiert ist, eine Gruppenvergewaltigung war – oder nicht.

Der Vorsitzende Richter verkündete am Donnerstag nach kurzer Beratungspause im Strafgericht Moabit, dass die Kammer das Verfahren aussetzt. Der Grund dafür ist, dass das vermeintliche Opfer, die sowohl Zeugin als auch Nebenklägerin ist, bisher nicht erschienen ist und in absehbarer Zeit wohl nicht in Berlin vor Gericht aussagen wird. Die Haftbefehle gegen die drei Tatverdächtigen hat die Kammer nun aufgehoben.

„Ohne die Zeugin kann nicht verhandelt werden“, sagte der Vorsitzende Richter Thilo Bartl. Gleichzeitig habe die Zeugin aber „klipp und klar“ erklärt, dass sie bereit sei, sich in Georgien per Video vernehmen zu lassen. Sie ist Georgierin und war im September in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. Die Frau habe auch geäußert, dass sie weiter „an einer Strafverfolgung interessiert“ sei.

Weil die Zeugin dies so deutlich gesagt hat, ist die Kammer rechtlich verpflichtet, alles zu versuchen, um den Fall abschließend zu verhandeln. Doch bisher hatte das Gericht nach eigenen Angaben weder von der Zeugin noch von ihrem Ehemann die Adresse. Der Richter machte klar, dass das Gericht die Aussage der Zeugin braucht, um offene Fragen in diesem Prozess zu klären.

Video ist echt

Im Januar war zu Beginn der Verhandlungen ein Video als neues Beweismittel aufgetaucht. Das Gericht sieht es als gesichert an, dass das Video „echt“ ist, dass es also zum Tatzeitpunkt im Görlitzer Park aufgenommen wurde und dass es die Zeugin zeigt – nackt, und bei sexuellen Handlungen mit einem Schwarzen Mann. Und dass diese Handlungen mutmaßlich einvernehmlich sind. „Die Angeklagte hat ein Geschehen wie auf dem Video nicht erwähnt“, sagt der Richter. Hier hätte die Kammer demnach einige Nachfragen.

Die drei Angeklagten kamen damit am Donnerstag frei. Sie saßen seit Monaten in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen besonders schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und besonders schweren Raub vorgeworfen. Die Er­mitt­le­r*in­nen hatten per DNA-Test Spermaspuren von ihnen im Intimbereich der Zeugin nachgewiesen.

Doch es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, erklärte Richter Bartl. „Insbesondere der Vorwurf der gemeinschaftlichen Vergewaltigung kann nicht aufrecht erhalten werden.“ Dazu hätte sich die Zeugin in den Ermittlungen zu widersprüchlich geäußert. „Ohne weitere Angaben kann die Kammer nicht ausschließen, dass die DNA-Spuren von freiwilligen sexuellen Kontakten herrühren“, sagte der Richter.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) drängt derweil unbeirrt weiterhin darauf, den Görlitzer Park einzuzäunen und nachts abzuschließen. Daran würden auch die Erkenntnisse aus dem Prozess nichts ändern, hatte er im Januar bekräftigt. Der Bezirk hingegen ist dagegen, ein Zaun werde die sozialen Probleme im Kiez nicht lösen, heißt es dort. Die Debatte hat sich längst abgekoppelt von der Frage, ob hier tatsächlich eine Frau vergewaltigt wurde.

Einvernehmlicher Sex?

Zwei der Angeklagten haben zu den Vorwürfen bisher geschwiegen. Ein dritter hatte über seinen Anwalt erklären lassen, dass die Zeugin und ihr Ehemann ihn in der Tatnacht angesprochen und zu einvernehmlichem Sex überredet hätten. Er sei ihrer Bitte erst nach mehrmaligem Nachfragen nachgekommen und auch nur, weil er sehr betrunken gewesen sei. Er soll auch das Video aufgenommen haben, das die Frau mit einem weiteren Mann zeigt.

Der Prozess muss nun komplett neu aufgerollt werden. Wann das passiert, ist völlig offen. Denn dazu muss das Gericht erstmal klären, wann und ob es die Zeugin vernehmen kann. Dafür muss die Kammer sie offiziell vorladen, und zwar in die deutsche Botschaft in Georgien. Eine gerichtliche Vorladung ist aber ein hoheitlicher Akt. Das bedeutet: Die deutschen Gerichte können den Brief nicht selbst an die Zeugin schicken, sondern müssen die georgischen Behörden um Amtshilfe bitten.

Der Erfahrung nach dauert das mindestens sechs Monate, bestätigte der Staatsanwalt am Donnerstag. Denkbar ist allerdings auch, dass Georgien den Antrag aus Deutschland ablehnt. Entsprechend vorsichtig äußerte sich der Richter: „Es besteht die Möglichkeit, dass das Gesuch erfolgreich sein könnte“, sagte Bartl. „Es sollte also versucht werden.“

Dabei zweifelt Bartl an „der Aussagebereitschaft der Zeugin“. Während der Ermittlungen habe sie zwei Vernehmungen abgebrochen, weil sie sich nicht in der Lage sah, sie fortzuführen. Sie habe mehrere andere, vereinbarte Termine abgesagt. Und sie habe im September Deutschland verlassen, ohne die Justiz darüber zu informieren. „Eine Folge dieser Unzuverlässigkeit ist, dass die Zeugin bisher nie abschließend vernommen wurde“, sagt Bartl. Auch inhaltlich hätten sich ihre Äußerungen teils widersprochen oder sie habe angegeben, sich nicht zu erinnern. Dass die Zeugin dem Gericht am Donnerstag ihre aktuelle, offizielle Adresse übermittelt hat, wertete Bartl immerhin als gutes Zeichen.

Abschiebung droht

Bei einer erneuten Aufnahme des Prozesses kommt noch ein weiteres Problem dazu. Unklar ist nämlich auch, ob die Angeklagten sich dann überhaupt noch in Deutschland befinden und für das Gericht greifbar sind. Zwei der Angeklagten sind vollziehbar ausreisepflichtig.

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass die Ausländerbehörde sie abschiebt, oder dass sie selbst ausreisen. Dann müsste das Gericht sie für den Prozess zurückholen – so es sie denn findet. Ein Prozess in Abwesenheit der Angeklagten unterliegt hohen Hürden, hieß es vom Gericht. Die Angeklagten hätten schließlich ein Anrecht darauf, einer Verhandlung über sie beizuwohnen.

Es könnte am Ende nicht nur ein Prozess ohne Zeu­g*in­nen, sondern auch ein Prozess ohne Tatverdächtige werden.

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