„Berlin-Abo“ für 29 Euro: Billigticket mit Spaltpotenzial
Bestenfalls entlastet das 29-Euro-Ticket einige NutzerInnen, schlimmstenfalls untergräbt es den brüchigen Nahverkehrs-Konsens von Bund und Ländern.
D ass die neue Verkehrssenatorin Ute Bonde wenig vom neuen Berliner 29-Euro-Ticket hält, hat sie mittlerweile klar gemacht. In einem Punkt aber dürfte die CDU-Frau mit dem Günstiger-Fahren-Angebot, dass Ex-SPD-Landeschefin Franziska Giffey ihr eingebrockt hat, ganz zufrieden sein: Der nötige Finanzbedarf fällt deutlich kleiner aus als erwartet – oder befürchtet. Daraus ergibt sich ein willkommener Punkt auf der Kürzungsliste, die die Ressorts vorlegen mussten und müssen, um den überdimensionierten Haushalt zu entlasten (Stichwort „pauschale Minderausgaben“).
20 Millionen Euro weniger werden nun für das laufende Jahr veranschlagt, um den abgespeckten AB-Monatsfahrschein – offiziell: „Berlin-Abo“ – auf die magischen 29 Euro herunterzusubventionieren. Vielleicht kostet es den Senat am Ende sogar noch weniger. Drei Wochen vor dem Start des Tickets war jedenfalls kaum mehr als ein Sechstel der prognostizierten 650.000 Abonnements geordert worden. Dass es nach den Sommerferien, in denen einige wohl nicht auf das nur 20 Euro teurere Deutschlandticket verzichten wollen, mehr werden, ist absehbar. Ein Schlager wird der Giffey-Rabatt aber eher nicht mehr.
Es sei denn, Bund und Länder fahren das Deutschlandticket demnächst an die Wand, indem sie das bundesweit gültige Nahverkehrs-Billet deutlich kostspieliger machen oder es im Streit gleich wieder ganz einstampfen. Dann wären die 29 Euro tatsächlich für viele die wirtschaftlichste Variante und die Verkaufszahlen würden in die Höhe schießen. Umgekehrt gilt: Bleibt das Deutschlandticket attraktiv genug, dürften die Tage des Berlin-Abos gezählt sein. Schließlich hat es selbst in der SPD nur noch eine überschaubare Anzahl an Fans.
Dabei ist gar nicht abzustreiten, dass alle diejenigen, die es jetzt kaufen, von dem zusätzlichen Nachlass profitieren. Eine andere Frage ist dagegen, ob das Angebot wirklich die dringend benötigte Verkehrswende befördert. Die Giffey-Fraktion in der SPD verweist darauf, dass von den 115.000 künftigen Berlin-Abo-KundInnen, die Anfang Juni gezählt wurden, gut 20.000 vorher gar kein ÖPNV-Abo hatten. Nur darüber, wie viele davon künftig ihr Auto stehen lassen, sagt diese Zahl nichts aus.
Bei einem Gutteil dieser Gruppe wird es sich nämlich um Menschen handeln, die schon bisher nur gelegentlich mit Bus und Bahn unterwegs waren und daran auch nichts ändern werden. Aber bei den gleichzeitig stark gestiegenen Preisen für Einzelfahrscheine lohnt sich das 29-Euro-Angebot eben schon, wenn man mehr als vier Mal im Monat mit den Öffis in der Stadt unterwegs ist – hin und zurück, versteht sich.
Fragwürdige Entlastung
Das eigentliche Problem bleibt, dass das 29-Ticket als verkehrsspolitische Maßnahme „nicht sehr intelligent“ ist, wie es der Mobilitätsforscher Andreas Knie ausdrückt. Es wurde oft genug vorgerechnet, für welche sozial schwachen Gruppen, die nicht ohnehin schon Angebote wie das Sozialticket („Ticket S“) in Anspruch nehmen können, das Geld gezielt per Rabattierung des Deutschlandtickets eingesetzt werden könnte. Das schlösse Mitnahmeeffekte aus. Sprich: Wer sich auch ein 49-Ticket locker leisten kann und es auch bislang bezogen hat, bekommt nicht noch eine zusätzliche Entlastung geschenkt.
Natürlich wäre es am besten, der Nahverkehr in Deutschland kostete gar nichts oder nur einen symbolischen Betrag wie das 9-Euro-Ticket aus Pandemiezeiten, ohne das es die aktuellen Angebote und Debatten gar nicht gäbe. Aber die Verkehrsbetriebe brauchen eben auch Geld für ein gutes und hoffentlich immer besseres Angebot, quantitativ wie qualitativ. Solange die Gesellschaft eher bereit ist, gigantische Summen in Aufrüstung zu stecken als in guten und kostenfreien Nahverkehr für alle, muss dieses Geld auch über Tarife eingetrieben werden.
Das Problematischste am Giffey-Ticket ist und bleibt, dass es die gerade erst errungene bundesweite Einigkeit und Einfachheit im Nahverkehr untergräbt. Schon weil der Berliner Alleingang dem Bund als Beispiel dient, dass die Länder ja einen billigeren ÖPNV selber finanzieren können, wenn sie denn unbedingt wollen. Und auch unter den Ländern erzeugt es neuen Unfrieden.
Schlimmstenfalls wird das „Berlin-Abo“ also zu seiner eigenen Notwendigkeit beitragen, indem es die große Lösung Deutschlandticket unterminiert. Bestenfalls haben eben diejenigen etwas davon, die regelmäßig den ÖPNV nutzen, aber die Stadt selten oder nie auf dem Landweg verlassen wollen. Aber dann – siehe oben – sind die 29-Euro-Tage eben auch gezählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste