Berichterstattung über Migrant:innen: Ist er „Risiko“ oder „Chance“?
In der Berichterstattung über „Migrant:innen“ betonen Medien heute seltener die „Risiken“. Das legt eine neue Studie nahe – mit Einschränkung.
Dazu wertete er eine Medienanalyse seiner Hochschule aus, die fünf bundesweite Tageszeitungen sowie die acht reichweitenstärksten bundesweiten Fernsehsender in vier Wochen zwischen Januar und April 2021 untersuchte. Während Bild und Welt stärker Risiken betonten, überwogen bei der Süddeutschen Zeitung und der taz die Chancen, so Hestermann. Unter „Risiken betonen“ versteht die Studie etwa die Bezugnahme auf „Belastung des Sozialstaats“ oder „kulturelle Überfremdung“. Insgesamt seien in 29,1 Prozent der Fälle Risiken hervorgehoben worden, in 37,7 Prozent die Chancen – der Rest sei neutral.
Dem Sport komme dabei eine besondere Rolle zu: 12,5 Prozent der Sportberichterstattung fokussiert sich dort auf Risiken von „Migrant:innen“, 61,6 Prozent auf die Chancen. „Teilweise gibt es geradezu hymnische Texte zu Stars in der Bundesliga“, sagt Hestermann. So nannte die Welt beispielsweise den Fußballspieler Luka Jović „Fan-Liebling“.
„Es gab durchaus Verschiebungen zu 2019. Auch kommen Eingewanderte und Geflüchtete mehr zu Wort“, so Hestermann. Seit der ähnlichen Studie zwei Jahre zuvor hätten Redaktionen eine „enorme Zulage der Rechercheleistungen“ erbracht. „Eingewanderte und Geflüchtete sind nicht mehr unsichtbar.“ Hestermann schränkt jedoch ein: „Man muss sehen, dass wir im Untersuchungszeitraum keinen Straftäter hatten wie beim Breitscheidplatz.“ Die Stimmung sei insgesamt fragil. „Wir zeichnen eine Fieberkurve nach, aber es reicht ein Infekt. Wenn der Druck groß ist, halten wir dem stand?“
„Chancen betonen“ ist nicht gleich „normalisieren“
Kritik äußerte Hestermann am Presserat wegen der Änderung des Artikels 12-1 im Pressekodex. In diesem ist festgehalten, dass bei Straftaten „die Zugehörigkeit (der Verdächtigen oder Täter) in der Regel nicht erwähnt werden soll“. Seit 2017 jedoch gibt es den Zusatz: „… es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“ Zuvor durfte die „Zugehörigkeit“ nur dann veröffentlicht werden, wenn es einen begründbaren Sachbezug zur Tat gab. „Die Redaktionen haben die Entscheidung“, so Hestermann. Über mutmaßliche Gewalttäter werde rund 16-mal so viel berichtet, wenn der:die mutmaßliche Gewalttäter:in nicht deutsch ist. Das verzerre die Kriminalstatistik. „Die Redaktionen sollen Haltung zeigen“, fordert Hestermann.
Ferda Ataman, Mitgründerin des Mediendiensts Integration und der Neuen deutschen Medienmacher*innen, teilt die Einschätzung, dass die Berichterstattung besser geworden sei. „Wir bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen beobachten schon einige Zeit, dass es in den Medien sprachsensibler geworden ist.“ Sie kritisiert jedoch die Fragestellung der Studie: „Die Frage, ob Chancen oder Risiken abgebildet werden, ist wichtig, aber wichtiger ist die Frage: Wird Migration als Normalität wahrgenommen? Ist das Fakt?“ Ataman plädiert für mehr Gelassenheit. „Aus Deutschland kommen und gehen jedes Jahr über eine Million Menschen innerhalb der EU, da gibt es keine schockierenden Debatten. Das Gleiche wünsche ich mir für eine globale Debatte.“
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