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Berichterstattung über Mi­gran­t:in­nenIst er „Risiko“ oder „Chance“?

In der Berichterstattung über „Migrant:innen“ betonen Medien heute seltener die „Risiken“. Das legt eine neue Studie nahe – mit Einschränkung.

Bei ihm betonten Zeitungen eher die „Chancen“: Migrant Sir Simon Rattle Foto: Clemens Bilan/Epa

Berlin taz | Wenn Medien von „Migrant:innen“ berichten, betonen sie stärker Chancen als Risiken, vor allem im Sport. Geht es um Kriminalfälle, wird über die Nationalität jedoch 16-mal häufiger berichtet, wenn der:­die Tä­te­r:in nicht deutsch ist. Zu diesen Ergebnissen kommt die vom Mediendienst Integration beauftragte Studie „Zwischen Stürmerstars und Gewalttätern: Die Berichterstattung über Eingewanderte und Geflüchtete“. Studienleiter Thomas Hestermann von der Hochschule Macromedia in Hamburg kommt zum Fazit, dass „die Medien die Chance von Migration neu gewichten“ und „Deutschlands Leitmedien sehr viel gelassener über Migration“ berichteten.

Dazu wertete er eine Medienanalyse seiner Hochschule aus, die fünf bundesweite Tageszeitungen sowie die acht reichweitenstärksten bundesweiten Fernsehsender in vier Wochen zwischen Januar und April 2021 untersuchte. Während Bild und Welt stärker Risiken betonten, überwogen bei der Süddeutschen Zeitung und der taz die Chancen, so Hestermann. Unter „Risiken betonen“ versteht die Studie etwa die Bezugnahme auf „Belastung des Sozialstaats“ oder „kulturelle Überfremdung“. Insgesamt seien in 29,1 Prozent der Fälle Risiken hervorgehoben worden, in 37,7 Prozent die Chancen – der Rest sei neutral.

Dem Sport komme dabei eine besondere Rolle zu: 12,5 Prozent der Sport­berichterstattung fokussiert sich dort auf Risiken von „Migrant:innen“, 61,6 Prozent auf die Chancen. „Teilweise gibt es geradezu hymnische Texte zu Stars in der Bundesliga“, sagt Hestermann. So nannte die Welt beispielsweise den Fußballspieler Luka Jović „Fan-Liebling“.

„Es gab durchaus Verschiebungen zu 2019. Auch kommen Eingewanderte und Geflüchtete mehr zu Wort“, so Hestermann. Seit der ähnlichen Studie zwei Jahre zuvor hätten Redaktionen eine „enorme Zulage der Rechercheleistungen“ erbracht. „Eingewanderte und Geflüchtete sind nicht mehr unsichtbar.“ Hestermann schränkt jedoch ein: „Man muss sehen, dass wir im Untersuchungszeitraum keinen Straftäter hatten wie beim Breitscheidplatz.“ Die Stimmung sei insgesamt fragil. „Wir zeichnen eine Fieberkurve nach, aber es reicht ein Infekt. Wenn der Druck groß ist, halten wir dem stand?“

„Chancen betonen“ ist nicht gleich „normalisieren“

Kritik äußerte Hestermann am Presserat wegen der Änderung des Artikels 12-1 im Pressekodex. In diesem ist festgehalten, dass bei Straftaten „die Zugehörigkeit (der Verdächtigen oder Täter) in der Regel nicht erwähnt werden soll“. Seit 2017 jedoch gibt es den Zusatz: „… es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“ Zuvor durfte die „Zugehörigkeit“ nur dann veröffentlicht werden, wenn es einen begründbaren Sachbezug zur Tat gab. „Die Redaktionen haben die Entscheidung“, so Hestermann. Über mutmaßliche Gewalttäter werde rund 16-mal so viel berichtet, wenn der:­die mutmaßliche Ge­walt­tä­te­r:in nicht deutsch ist. Das verzerre die Kriminalstatistik. „Die Redaktionen sollen Haltung zeigen“, fordert Hestermann.

Ferda Ataman, Mitgründerin des Mediendiensts Integration und der Neuen deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen, teilt die Einschätzung, dass die Berichterstattung besser geworden sei. „Wir bei den Neuen deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen beobachten schon einige Zeit, dass es in den Medien sprachsensibler geworden ist.“ Sie kritisiert jedoch die Fragestellung der Studie: „Die Frage, ob Chancen oder Risiken abgebildet werden, ist wichtig, aber wichtiger ist die Frage: Wird Migration als Normalität wahrgenommen? Ist das Fakt?“ Ataman plädiert für mehr Gelassenheit. „Aus Deutschland kommen und gehen jedes Jahr über eine Million Menschen innerhalb der EU, da gibt es keine schockierenden Debatten. Das Gleiche wünsche ich mir für eine globale Debatte.“

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4 Kommentare

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  • Doppelsprech ist doch aber nichts neues im Journalismus. Wird eine Durchmischung (nach welchen Kriterien auch immer) als gut empfunden, ist es "Diversität", wird es als schlecht empfunden ist es "Heterogenität". Die einen wagen etwas, die anderen riskieren.

  • Herrlich! Wir konnten uns nicht einmal dazu durchringen, die paar Tausend Opfer von Lukaschenkos politischen Manövern aufzunehmen. "Pull-Effekt"! Panik! "2015 darf sich nicht wiederholen!!!" Ebenso Afghanistan; immer noch tun die Behörden alles, damit bloß nicht in der Bild steht, dass die neue Regierung "unkontrolliert" Menschen ins Land lässt. Die Außengrenzen sind heilig, Verbrechen, die dort verübt werden, erhalten carte blanche. Da lässt es sich leicht entspannt berichten. Dieses Thema ist durch, das Maß der Schande voll, & die Folgen werden Deutschlands Zukunft bestimmen. Alles, was jetzt noch über "Migration" berichtet wird, kann nur Heuchelei im Stil der Grünen sein.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    ... rund 16mal so viel berichtet, wenn der/die murmaßliche Täter/in nicht deutsch ist. Hier fehlt der Bezug zur Kriminalstatistik, dh die Häufigkeit im Vergleich.

  • Migration als Normalität wäre für mich auch der Idealzustand. Von den Medien erwarte ich vor allem Fakten und Neutralität, wenn das mit "Haltung" gemeint ist, dann ist alles gut.

    Wenn einzelne Medien bestimmte Aspekte (also Chancen oder Risiken) überbetonen, dann ist das problematisch, wenn dadurch Fakten verzerrt werden. Es ist schade, die Chancen kleinzureden. Es ist genauso falsch, die Risiken mit der rosaroten Brille auszublenden und so zu tun, als gäbe es sie nicht.

    Die wunderbaren Einzelbeispiele von erfolgreichen Profisportlern oder Stardirigenten verzerren ganz sicher die Wahrnehmung. Denn die Schicksale der großen Mehrheit der Migranten sind ungleich weniger attraktiv. Vielen geht es schlichtweg miserabel. Migration löst nur für manche ihre Probleme. Viele andere machen sich mit der Migration das Leben nicht unbedingt leichter. Das gelobte Land sah aus der Ferne schöner aus als es in Wirklichkeit ist. "The grass is always greener on the other side..."