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Berichterstattung über Lkw-AnschlagWir sind vorsichtiger geworden

In diesem Jahr gab es viel Kritik an der Berichterstattung der Medien. Wie haben sie sich am Montagabend geschlagen?

Als Journalist mit der Handykamera über die Absperrung hüpfen? Die Morgenpost fand: ja! Foto: reuters

Medienkritik war selten so präsent wie in diesem Jahr. Seit den Attentaten von Paris und Nizza, dem Putschversuch in der Türkei und dem Amoklauf in München diskutieren Redaktionen und die Öffentlichkeit, wie über Breaking News berichtet werden soll. In welcher Form? Mit welchen Worten? Und wie schnell muss es gehen?

Kurz nach 20 Uhr rast der Lkw am Breitscheidplatz in die Menge. Eine knappe Dreiviertelstunde vergeht, bis mit n-tv der erste Sender sein Programm unterbricht. Erst um 21.15 folgt das Erste mit einer Sondersendung der „Tagesthemen“. Das ZDF wartet bis zur regulären Sendezeit des „heute journals“ mit der aktuellen Berichterstattung. Ist das zu spät?

Diese Frage ist nicht neu. ARD und ZDF wurden im Sommer dafür kritisiert, in der Nacht des Putschversuchs in der Türkei zu spät auf Sendung gegangen zu sein. „heute journal“-Moderator Claus Kleber schrieb in der Süddeutschen Zeitung, dass es nicht immer leicht sei, die Programmverantwortlichen davon zu überzeugen, das laufende Programm für eine Sondersendung zu unterbrechen.

Kai Gniffke, Chefredakteur von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, entgegnete dem im Herbst im taz-Interview, dass Redaktionen in derartigen Nachrichtenlagen „Mut zu Langsamkeit“ beweisen müssten. Erste Gerüchte, ungesicherte Meldungen reichten nicht aus, um auf Sendung zu gehen. Dazu kommt ein nicht unwichtiger Aspekt: Fernsehen braucht Bilder. Eigene Aufnahmen vom Breitscheidplatz aber lagen bis 21 Uhr nicht oder kaum vor.

n-tv griff daher auf die Handyaufnahmen eines Reporters der Berliner Morgenpost zurück. Dieser streamte mit seinem Handy vom Breitscheidplatz live auf Facebook. Medien- und Augenzeugenberichten zufolge war er über die Absperrung geklettert und hatte die Kamera auch auf Verletzte und Leichen gehalten, bis ihm ein Passant das Handy aus der Hand schlug. Viele kritisierten diese Form der Live-Berichterstattung, auch weil die Polizei den ganzen Abend über bat, keine Bilder zu verbreiten. Das umstrittene Video hat die Redaktion der Berliner Morgenpost mittlerweile gelöscht.

Gegen die Gerüchteküche

Eine weitere Frage, die Redaktionen nach dem Amoklauf in München beschäftigte, war, welche Folgen Gerüchte im Netz haben können. In München war stellenweise Panik ausgebrochen – angefeuert durch Falschmeldungen in sozialen Netzwerken. Im Gegensatz dazu wurde auf Twitter und Facebook am Montagabend auffallend oft von der Polizei, von Journalist*innen, aber auch von Privatpersonen zur Vorsicht aufgerufen. Möglicherweise haben die Sensibilität und das Bewusstsein darüber, was man mit Posts und Tweets anrichten kann, zugenommen.

Das Format „Was wir sicher wissen und was wir nicht wissen“ scheint bei vielen Online-Nachrichtenseiten mittlerweile zum Standard für Breaking-News-Situationen geworden zu sein. Die Auflistung aller bestätigten Fakten und unbestätigten Meldungen trug dazu bei, dass Leser*innen sehr schnell erkennen konnten, welche Meldungen im Netz echt sind und welche nicht. Wobei allerdings etwa Welt Online auch spekulativen und unbestätigten Berichten Raum in dem Abschnitt „Was wir nicht wissen“ gab.

Noch eine Lehre aus München: Das Wort „Anschlag“ wurde mit großer Vorsicht ausgesprochen. Den ganzen Abend wurde sowohl online als auch in Radio und Fernsehen betont, dass Montagabend noch niemand sicher wusste, ob es sich um ein Attentat oder einen Unfall handelte – das beachtete auch „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni.

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2 Kommentare

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  • Wäre dieser Reporter nicht so kopflos gewesen, hätte er vielleicht geholfen statt zu filmen. Der Job oder gar der Gedanke an den eigenen Ruhm darf in so einer Situation keine Priorität haben. Leben und Gesundheit gehen vor. Hilfsbereitschaft sollte wichtiger sein als alles andere, gerade dann, wenn Menschen als Teil einer Gesellschaft angegriffen werden, zu der man selbst gehört. Aber nun ja, ein wesentliches Zeichen eines Schocks ist halt, dass man nicht mehr vernünftig denken oder handeln kann.

     

    Ich hoffe für diesen Reporter, dass er "nur" sehr verwirrt war und nicht sehr verlogen. Im Übrigen scheint es mir, als hätten die Medien tatsächlich etwas gelernt aus den Anschlägen der letzten Jahre und der anschließenden Berichterstattung. Sogar mehr, als alle Politik und Polizisten zusammen. Aber ich muss zugeben, dass dieser Eindruck auch damit zu tun haben kann, dass ich zu sehr beschäftigt war, als dass ich den ganzen Tag lang diverse Medienberichte hätte konsumieren können.

     

    Zu offen bleibt, dass der Mensch tatsächlich ein Gewohnheits-Tier ist. Eins, das mit seinen Aufgaben wächst. Eine seriöse Berichterstattung kann jedenfalls den Schaden minimieren, den Terror anrichtet. Sie sollte deshalb wichtiger sein als jede Pool-Position in irgend einem Rattenrennen um die höchste Auflage oder Einschaltquote. Wenn der Gedanke, dass man selbst Verantwortung besitzt für andere und das, was man "das Große-Ganze" nennt, erst einmal auch unter den Journalisten Raum gegriffen hat, klappt das mit der Hilfsbereitschaft vielleicht auch noch irgendwann.

  • ich habe kurz nach dem Anschlag das Video des Morgenpostjournalisten gesehen.

    Er hat ganz bewusst keine Verletzten oder gar Tote gezeigt, sondern nur verbal und echt erschüttert immer wieder darauf hingewiesen, dass er dort Verwundete liegen sieht aber sie nicht zeigen möchte um ihre Würde zu wahren.

    Es wurde sehr deutlich , dass er äusserst erschüttert war und selbst kaum mit der Situation umzugehen wusste. In den Bildern (dem Video) waren vor allem zerstörte Stände zu sehen und Leute die dort flanierten. Anders kann ich es kaum ausdrücken, aber man hatte bei vielen Menschen den Eindruck, dass sie ruhig und gelassen dort rumliefen, fast wie auf nem Spaziergang.

    Das war das, was mich am meisten entsetzt hat.

    Paare Hand in Hand langsam die Reihen "entlangschlendernd".

     

    Sicher, man weiss nicht wie man selbst in solch einer Schocksituation reagieren würde ....

    Was mich wunderte, war, dass niemand zu sehen war, der erste Hlfe leistete. Kann aber auch sein, dass man es nur deshalb nicht sah, weil der Reporter eben nicht auf diese Stellen die Kamera hielt.

    Auch das Tatfahrzeug war nur von ferne zu sehen und nicht aus der Nähe.

    Er hat die ganze Zeit sichtlich erschüttert verbal geschildert was er sieht.

    Insgesamt fand ich das ganze angemessen zurückhaltend.

    Es passte zur sachlichen Berichterstattung des ganzen Abends, die ich dann im Deutschlandfunk verfolgte.

     

    Ach ja, die Szene mit dem Handy aus der Hand schlagen hat der Mann auch geschildert und gesagt, dass er versteht, dass jemand aufgebracht reagiert. Alle seien ziemlich fertig. Er schilderte dann weiter das Eintreffen der Rettungskräfte. und das Absperren der Polizei.