Bericht zum britischen Libyen-Einsatz: Gaddafi überschattet Cameron
Ein Parlamentsausschuss legt einen Bericht zum britischen Militäreinsatz in Libyen 2011 vor. Der Expremier kommt darin nicht gut weg.
„David Cameron war letztendlich verantwortlich für das Versagen, eine kohärente Libyen-Strategie zu entwickeln“, heißt es in der Zusammenfassung des am Mittwoch veröffentlichten Berichts. Sollte Libyens neue Regierung der Nationalen Einheit scheitern, „wird Libyen in einem Bürgerkrieg in großem Stil versinken“.
Großbritannien hatte an der Seite Frankreichs ab 19. März 2011 mit Luftangriffen in Libyen begonnen, gegen die Truppen des Diktators Muammar al-Gaddafi vorzugehen, nachdem der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1973 militärisches Eingreifen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen erlaubt hatte.
Aus dem französisch-britischen Einsatz wurde ab Ende März 2011 die Nato-Operation „Unified Protector“, die Libyens bewaffnete Rebellen gegen Gaddafi unterstützte. Gaddafi wurde am 20. Oktober getötet, die Rebellen ergriffen die Macht, und der Nato-Einsatz endete Ende Oktober 2011. Aber Libyen hat seitdem nicht zur Stabilität gefunden.
Die Kritik ist grundsätzlich
Der Wertung von US-Präsident Barack Obama, Libyen sei eine „Shit Show“ geworden, sei „schwer zu widersprechen“, so die britischen Parlamentarier jetzt süffisant.
Ihre Kritik ist sehr grundsätzlich. „Die britische Politik folgte Entscheidungen, die in Frankreich getroffen wurden“, bemängelt ihr Bericht und führt aus, die französische Politik unter Präsident Nicolas Sarkozy sei ausschließlich französischen Interessen sowie „Sarkozys Eigeninteresse“ gefolgt.
Parlamentsbericht zu Libyen
Die Abgeordneten bezweifeln, dass Gaddafi wirklich seine Gegner abschlachten wollte. Die Regierung Cameron „konnte die tatsächliche Bedrohung, die das Gaddafi-Regime für Zivilisten darstellte, nicht verifizieren, und sie nahm selektiv Elemente von Gaddafis Rhetorik für bare Münze“, schreiben sie und schlussfolgern: „Die britische Strategie gründete auf irrtümlichen Annahmen und unvollständigem Verständnis der Sachlage“. Der Angst vor einem „zweiten Srebrenica“ in Bengasi, also Massakern an Tausenden Zivilisten durch Regierungstruppen, habe Cameron „unangemessenes Gewicht beigemessen“. Der Premier habe auch nicht versucht, Tony Blairs gute Kontakte zu Gaddafi zu nutzen, monieren die Parlamentarier, deren Bericht an solchen Stellen in Verteidigung einer Zusammenarbeit mit Diktatoren abgleitet.
Im Laufe des Krieges habe sich das Interventionsziel verändert: „Eine begrenzte Intervention, um Zivilisten zu schützen, driftete in eine Politik des Regimewechsels mit militärischen Mitteln“. Die Interventionsstrategie habe sich aber nicht entsprechend verändert. „Die britische Intervention in Libyen war reaktiv und enthielt kein Handeln in Verfolgung eines strategischen Ziels.“
Einzelne NSC-Mitglieder hegten Zweifel
So sei nicht bedacht worden, wie nach dem Sturz Gaddafis Sicherheit in Libyen herzustellen sei, und „die Möglichkeit, dass militante extremistische Gruppen versuchen würden, von der Rebellion zu profitieren, hätte nicht einer späteren Betrachtung vorbehalten gewesen sein sollen.“
Diese Fehler kreiden die Parlamentarier Cameron an, obwohl dieser nach seinem Amtsantritt als konservativer Premier im Jahr 2010 eine der wichtigsten Lektionen aus Blairs Irakkrieg umgesetzt hatte: die Gründung eines Nationalen Sicherheitsrats, um Entscheidungsprozesse zu formalisieren. Der Sicherheitsrat NSC habe nämlich Camerons Grundannahme, wonach ein Eingreifen in Libyen im britischen Interesse liege, nicht hinterfragt, obwohl einzelne NSC-Mitglieder daran Zweifel hegten.
Der Auswärtige Ausschuss begann seine Untersuchung im Juli 2015. Nach Sitzungen folgte im März 2016 eine Reise nach Tunesien und Ägypten; ein Besuch Libyens war aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Cameron selbst lehnte seine Ladung durch den Ausschuss aus Zeitgründen ab. Zwei Tage vor Veröffentlichung des Berichts hat der Expremier sein Abgeordnetenmandat niedergelegt und sich aus der britischen Politik verabschiedet.
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