Putschversuch in Libyen: Lieber Sicherheit als Demokratie
Islamistische Milizen besetzen das Parlamentsgebäude und erklären die Übergangsregierung für abgesetzt. Diese will die Umstürzler festnehmen.
BERLIN taz | Abgeordnete von Libyens ehemaligem Parlament, dem Nationalkongress (GNC), haben sich in der Nacht auf Samstag ein Jahr nach Amtsniederlegung wieder zur Regierung erklärt und den Notstand ausgerufen. Auf dem Gelände des Rixos-Hotels in Tripolis, wo der von der UNO anerkannte Regierungschef Fajis Sarradsch mit seinem siebenköpfigen Staatsrat tagt, zeigte sich überraschend GNC-Chef Chalifa Ghwell vor der Kamera des religiösen TV Senders Tanasah TV.
„Wir starten hiermit eine historische Kampagne zur Rettung Libyens. Wir werden dazu auch mit Partnern aus dem Osten des Landes sprechen und eine Präsidialgarde aufstellen“, kündigte er an. Ghwell hatte im Sommer 2014 mit der islamistischen Gruppe Fajr Libya schon einmal die Macht in Tripolis mit Waffengewalt an sich gerissen. Am Wochenende übernahmen mit dem GNC verbündete Bewaffnete gewaltlos die Kontrolle über Regierungs- und Parlamentsgebäude.
Die Bewohner der 2-Millionen-Stadt schauen nun gebannt auf den Ausgang des Machtkampfs, der sich nach dem Sieg der Armee im ostlibyschen Bengasi nach Tripolis verlagert. Zwei Jahre Häuserkampf und Gewalt endeten dort erst mit dem Aufstieg des pensionierten Generals Chalifa Hafter.
In Tripolis blieben am Wochenende viele Läden geschlossen und Zugangsstraßen gesperrt, ansonsten blieb es ruhig. Von den Kommandeuren der wichtigsten Milizen wie Haithem Tajouri, Abdelrauf Kara und Abdelrahman Swehli wird es nun abhängen, ob ein offener Konflikt ausbrechen wird. Mehr als zehn größere und gut bewaffnete Milizen haben Tripolis unter sich aufgeteilt.
Kern des Friedensplans steht noch aus
Während die Salafisten von Karas „Rada“ Truppe die Einheitsregierung stützen, könnte sich der ehemalige Automechaniker Tajouri bereits auf die Seite der im Osten vorrückenden Armee geschlagen haben.
Premier Sarradsch verurteilte den Putsch und forderte von einem Hotel in Tunesien aus die Verhaftung von Ghwell und seinen Leuten. Der deutsche UN-Sondergesandte Martin Kobler rief zur Ruhe und Umstetzung seines Friedensplans auf, dessen Kern – die Bestätigung von Sarradsch und seiner Regierung durch das vor zwei Jahren gewählte Parlament in Tobruk – noch immer aussteht. Sarradsch und sein siebenköpfiger Präsidialrat konnten jedoch das Parlament und die Bürger nicht von seiner Kompetenz überzeugen. Die Tresore der Banken sind weiterhin leer, täglich bilden sich lange Schlangen. Vor allem die grassierenden Entführungen und der ins bodenlose gefallene Kurs des Dinar sorgen für Unmut.
In Bengasi hingegen scheint sich die Lage zu stabilisieren, wie Hafters Medien suggerieren. Der ehemalige General findet in dem von Kleinstädten und Stämmen geprägten Osten immer mehr Rückhalt.
„Die Libyer ziehen nach dem blutigen Chaos der letzten Jahre die Sicherheit auf der Straße jeder Form von Demokratie vor, die sich nach dem Islamisten-Putsch von 2014 als nicht gerade wehrhaft erwiesen hat“, sagt ein Aktivist aus Tripolis, der aus Angst anonym bleiben möchte.
Die islamistischen Milizen verlieren in Tripolis immer mehr Rückhalt. „Weil die Bürger endgültig genug von der Milizenwillkür haben und mit der Idee von Polizei und Armee sympathisieren, wollen Ghwell und andere mit dem Putsch ihre Positionen in der Hauptstadt sichern, bevor die Armee es tut,“ ist sich der Menschenrechtler sicher.