Bericht von Reporter ohne Grenzen: Doppelt so viele Attacken auf Presse in Deutschland
Fast 90 tätliche Angriffe auf Medienschaffende wurden 2024 hierzulande gezählt. Besonders Nahost-Demos waren ein gefährlicher Einsatzort.

Bei 75 der dokumentierten Vorfälle handelte es sich um Angriffe gegen Menschen. 14 Angriffe richteten sich gegen Redaktionsgebäude oder Wohnhäuser. Am häufigsten waren körperliche Attacken in Form von Tritten und Schlägen, auch mit Gegenständen wie Fahnenstangen oder Trommelschlägeln. Als Angriff gewertet wurden diese, sofern sie Körper oder Ausrüstung tatsächlich getroffen haben. Medienschaffende wurden teils brutal zusammengeschlagen, sie wurden zu Boden gestoßen, in die Genitalien getreten, mit Kaffeebechern oder rohen Eiern beworfen oder mit Pfefferspray attackiert, so die Menschenrechtsorganisation in ihrem Report zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland, deren Bericht an diesem Dienstag veröffentlicht wird.
„38 Fälle körperlicher Gewalt ereigneten sich allein auf Nahost-Demonstrationen in Berlin“, so RSF. „21 weitere Angriffe kamen aus dem verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Umfeld.“ Gerade mit Blick auf Angriffe aus dem rechtsextremen Lager spricht RSF zudem von einer hohen Dunkelziffer, „da gerade Lokalreporterinnen und -reporter, die immer wieder angegriffen werden, dies nicht jedes Mal melden“.
Pressefeindlichkeit und verengter Meinungskorridor
Generell erleben Reporterinnen und Reporter in Deutschland dem Bericht zufolge „eine zunehmende Pressefeindlichkeit und ein verengtes Verständnis von Pressefreiheit“. Viele Leute würden Menschen aus der Medienbranche, die nicht ihrem eigenen politischen Spektrum entstammen, mittlerweile als Gegner ansehen, so die Analyse.
Aber auch innerhalb der Redaktionen habe es 2024 Konflikte gegeben: Vor allem nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des terroristischen Anschlags der Hamas auf Israel, sei der Organisation immer wieder von einem „stark verengten Meinungskorridor“ bei der Arbeit zu Israel und Palästina berichtet worden. Unter anderem Auslandskorrespondenten schilderten aus den Redaktionen äußerst langwierige Kontroll- und Aushandlungsprozesse zu Begriffen, mit denen die israelische Kriegsführung kritisiert werde. Aussagen palästinensischer Quellen und von Menschenrechtsorganisationen oder den Vereinten Nationen würden grundsätzlich infrage gestellt.
Viele Journalisten äußerten zudem Angst vor Bloßstellung in anderen Medien und in den sozialen Netzwerken. Grundsätzlich halte sich die Medienvielfalt in Deutschland weiterhin auf einem international hohen Niveau, doch wirtschaftlicher Druck gefährde sie zunehmend. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ steht Deutschland auf Platz 10 von 180 Staaten. Diese wird am 3. Mai neu veröffentlicht.
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