Bericht der Antidiskriminierungsstelle: Allein gegen den Sachbearbeiter
Migranten, Menschen mit Behinderung, Frauen und Ältere werden systematisch benachteiligt. Jobcenter verstärken dieses Klima zusätzlich.
Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kennt man ähnliche Fälle aus den Jobcentern. „Es kommen Beleidigung, Beschimpfung und unfreundliches Verhalten vor. Es gab auch die Aufforderung zur Abgabe einer Erklärung, aus welchen Gründen die Klientin ein Kopftuch tragen wolle, beziehungsweise müsse“, heißt es in einem Zitat des Gleichbehandlungsbüros Aachen, das sich im dritten Bericht der Antidiskriminierungstelle des Bundes findet.
Grundsätzlich fühlte sich in Deutschland jeder oder jede Dritte in den vergangenen zwei Jahren schon mal diskriminiert, ergab eine repräsentative Befragung. Gut 40 Prozent der Betroffenen, die sich an die Beratungsstellen wenden, berichten dabei über Benachteiligungen im Arbeitsleben und bei der Jobvermittlung, teils wegen der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, wegen einer Behinderung, wegen Alters oder Geschlecht.
Gerade weil es Klienten mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmark schwer hätten, müssten die Arbeitsverwaltungen besonders Bewerbern mit familiären Einwanderungsgeschichten „passgenaue Angebote“ machen, sagte am Donnerstag die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoğuz, bei der Vorstellung des Berichts. In Wirklichkeit aber verstärken Jobcenter und Arbeitsagenturen Diskriminierungen oftmals noch, anstatt sie abzumildern, so der Bericht. Dies betreffe auch Ältere und Behinderte.
„Ein 50-jähriger Ratsuchender mit Behinderung kritisiert, aufgrund seines Alters von der Arbeitsagentur nur dann eine Umschulung finanziert zu bekommen, wenn er einen festen Arbeitsplatz nachweisen könne, der aus dieser Umschulung hervorgehe“, heißt es in dem Bericht. Die Mutter eines lernbehinderten Schulabgängers einer Förderschule bemängelt, dass der Junge automatisch beim Spezialdienst für Werkstätten lande und keinen Zugang zu einem Berufsberater erhalte.
Eine Erhebung des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ), die Teil des Berichts ist, macht für die Diskriminierung in der Arbeitsverwaltung besonders das System der Kennzahlen verantwortlich, das einen hohen Erfolgsdruck in den Jobcentern erzeugt. Man solle die Kennzahlen nicht mehr zur „Zielerreichungskontrolle“ einsetzen, schlug IAQ-Experte Martin Brussig vor.
Der Bericht über Diskriminierung in Deutschland kommt alle vier Jahre heraus. Er wurde von der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, von Aydan Özoğuz und der Behindertenbeauftragten Verena Bentele (SPD) vorgestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption