Belgische Behörden und Eier-Skandal: Fipronil-Verdacht länger bekannt
Millionen Eier wurden vernichtet, verarbeitete Produkte werden zurückgerufen. Der Fipronil-Skandal verunsichert Verbraucher, schadet Landwirten und Händlern.
EU-weit gemeldet hatten die belgischen Behörden erste Fipronil-Fälle erst Wochen später am 20. Juli. Am 22. Juli wurde das Gift in den Niederlanden in Eiern von sieben Betrieben nachgewiesen. In den Tagen darauf folgten weitere Funde, auch vier deutsche Geflügelhöfe sowie eine Briefkastenfirma wurden beliefert.
Fipronil ist ein unter anderem bei Hunden und Katzen erlaubtes Kontaktgift, das gegen Hautparasiten wie Läuse, Milben und Flöhe wirkt. Die Anwendung bei Tieren, die Lebensmittel liefern, ist in der EU verboten. In hohen Dosen kann Fipronil für Menschen gefährlich sein. Wie genau es wirkt, ist allerdings nicht bekannt. In Experimenten mit Ratten schädigte der Stoff das Nervensystem und die Leber, hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt. Vorerst gebe es aber keine Befunde mit einem möglicherweise gesundheitsschädlichen Gehalt an Fipronil pro Kilogramm Ei.
Die belgische Behördensprecherin Stragier verteidigte die Entscheidung für die späte Weitergabe des Verdachts. Man habe zunächst Informationen über die Dimension des Problems sammeln müssen. Die ist inzwischen gewaltig: Millionen mit Fipronil belastete Eier wurden in den vergangenen Tagen in mehreren europäischen Ländern aus dem Verkehr gezogen. In Deutschland nahmen Aldi Nord und Süd sämtliche Eier aus den Regalen. Inzwischen gibt es zudem erste Rückrufe für Produkte mit verarbeiteten Eiern. Betroffen sind Salatprodukte eines Lübecker Unternehmens.
Fipronil an vielen Orten nachgewiesen
Deutschland habe wie alle anderen EU-Staaten am 20. Juli erste Informationen erhalten, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Der Meldung zufolge habe es aber keinen Vertrieb in andere Länder und auch nach Deutschland gegeben. Am 28. Juli hätten die Niederlande dann abends über das EU-Schnellwarnsystem informiert, dass belastete Eier nach Deutschland gelangt waren.
Der Minister wies Kritik an seinem Krisenmanagement zurück. „Die Lebensmittelüberwachung ist Aufgabe der Bundesländer.“ Trotzdem habe sich sein Ministerium unverzüglich eingeschaltet und befinde sich im engen Austausch mit den Ländern. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hatte Schmidt vorgeworfen, tagelang in der Versenkung zu verschwinden, während die Verbraucher verunsichert seien. Auch Ex-Agrarministerin Renate Künast (Grüne) kritisierte, ihr Amtsnachfolger habe sich nach Bekanntwerden des Problems erst einmal nicht gekümmert. „Obwohl sich das Land entgeistert gefragt hat: Was machen eigentlich Läusebekämpfungsmittel in meinem Ei?“
In fast allen Bundesländern wurde inzwischen Fipronil in Eiern nachgewiesen. Auch Schweden und die Schweiz sind betroffen. Das für diesen Zweck verbotene Insektengift war vor allem in den Niederlanden in Legehennenbetrieben eingesetzt worden. Die giftige Substanz gelangte nach derzeitigem Stand der Ermittlungen über das Reinigungsmittel Dega-16 in die Ställe. Mutmaßlich hatte ein belgischer Hersteller Fipronil beigemischt.
Gesperrte Betriebe in Niedersachsen
Auch wenn Experten bei den bisher nachgewiesenen Konzentrationen keine großen Gesundheitsrisiken sehen – die Verbraucher reagieren auf den Fipronil-Skandal: Bei Eiern sei mittlerweile „eine deutliche Kaufzurückhaltung“ der Kunden zu beobachten, hieß es vom Lebensmittelhändler Rewe.
Im Niedersachsen waren drei Legehennen-Betriebe gesperrt worden, weil die Eier Fipronil enthielten. Die Landwirte hatten von einem niederländischen Unternehmen das illegal gepanschte Reinigungsmittel bezogen. Auf den drei Höfen werden zusammen etwa 100.000 Legehennen gehalten. Ein weiterer gesperrter Betrieb in einem Nachbarkreis produziert keine Eier, sondern zieht Junghennen auf – auch bei ihnen wurde das Gift nachgewiesen. Hinzu kommt ein Verdachtsfall, der sich als Briefkastenfirma entpuppte. Nach Angaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums vom Samstag prüfen die Behörden noch, wer das Mittel dort abgeholt und benutzt hat.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) forderte Schadenersatz für betroffene Betriebe. Die Landwirte dürften nicht auf ihren Schäden sitzenbleiben, sagte der stellvertretende DBV-Generalsekretär Udo Hemmerling den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Bei dem Fipronil-Einsatz handele es sich „um ein klares Fehlverhalten eines Dienstleisters, der dieses Insektizid illegal einem legalen Desinfektionsmittel untergemischt hat“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch