Belarussische Exilpolitikerin: Die einzig wahre Präsidentin
Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya sprach in Berlin über die Zukunft Belarus’. Ihr Land stehe hinter der Ukraine, nicht Russland.
Die Zahl der politischen Gefangenen in Belarus liegt laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna bei 1.252, vergangene Woche erst wurde die bekannte Journalistin Kazjaryna Andrejewa zu acht Jahren Haft verurteilt. „Die politischen Gefangenen sind unser größter Schmerz“, sagt Tsikhanouskaya.
Zu der Veranstaltung, die in einem Hof vor dem Haus der Statistik am Alexanderplatz stattfindet, sind rund 70 Zuhörer:innen gekommen, darunter viele aus der belarussischen Exil-Community. Als Tsikhanouskaya den Hof betritt, wird sie mit lang anhaltendem Applaus begrüßt. Für die Belaruss:innen hier ist sie die einzig legitime Präsidentin.
Neben Tsikhanouskaya sitzt Tatsiana Khomich, Schwester der inhaftierten Oppositionellen Maria Kalesnikava, auf dem Podium. Auch sie appelliert daran, die politischen Gefangenen nicht zu vergessen: „Es geht um unsere Solidarität, unsere Liebe und unsere Unterstützung“, sagt sie.
Treffen mit deutschen Politiker:innen
Tsikhanouskaya ist zu einem mehrtägigen Besuch nach Berlin gekommen, sie nimmt unter anderem am Gedenken an das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 teil, wo sie am Mittwoch auch Vizekanzler Robert Habeck treffen soll. Tsikhanouskaya erklärt, sie wolle mit deutschen Regierungsvertreter:innen über die Situation in der Ukraine und Visa für belarussische Geflüchtete sprechen. Dabei gehe es etwa darum, medizinische Ausrüstung für die Ukraine zu organisieren und dort mobile Krankenhäuser zu errichten.
Im Bundestag, so sagt sie, soll ein Kreis der „Freunde des freien Belarus“ entstehen. Zudem unterstütze Deutschland die Menschenrechtsorganisationen, die derzeit Beweise für die Verbrechen des Lukaschenko-Regimes sammeln – auch darüber wolle sie mit Regierungsvertreter:innen sprechen.
Belarussische Regierungsbeamte sollen auf diesem Weg zur Verantwortung gezogen werden, internationale Strafverfahren eingeleitet werden. Immer wieder muss die 39-jährige Oppositionspolitikerin im Ausland erklären, dass das belarussische Volk im Ukrainekrieg nicht an Lukaschenkos Seite stehe.
Keine tiefgehende Diskussion
Inhaltlich tief wird die abschließende Diskussion mit dem Publikum nicht. Auf die Frage, ob es Zeit sei, sie als Präsidentin – in welcher Form auch immer – zu vereidigen, antwortet sie, eine solche Formalie ändere überhaupt nichts an der Situation. Auch nach dem Aufbau eines belarussischen Militärkorps im Ausland wird sie gefragt. Tsikhanouskaya entgegnet: „Welches Land würde diese Verantwortung übernehmen?“
Sie konzentriere sich derzeit darauf dem belarussischen Freiwilligenbataillon in der Ukraine (Kastus-Kalinouski-Regiment) Unterstützung zukommen zu lassen. Ob sie sich danach sehne, nach Belarus zurückzukehren? „Natürlich möchte ich zurück in meine Heimat. Aber die Voraussetzung wäre der Sieg über Lukaschenko, und das wäre der Anlass für die Rückkehr von Hunderttausenden, die ihr Land genauso vermissen wie ich.“
Wie sehr Tsikhanouskaya die Hoffnung auf Veränderung verkörpert, wird gegen Ende des Abends deutlich. Eine Vertreterin der Alternativen belarussischen Botschaft in Berlin, die nahe der offiziellen Botschaft von Belarus im Stadtteil Treptow in einem Container aufgebaut ist, übergibt Geschenke an die Oppositionspolitikerin. Darunter sind eine Postkarte, die von einem politischen Häftling gestaltet wurde, ein Stoffgürtel einer Weberin aus Belarus sowie ein gebastelter Origami-Storch. Er soll Glück bringen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!