Belarus und EU-Außengrenze: An die Grenze gedrängt
Laut Polen werden Geflüchtete von Belarus bewusst an die Grenze gebracht. So soll die Lage pünktlich zur EU-Debatte eskalieren.
„Immer mehr Gruppen von Migranten werden von belarussischen Truppen zum Grenzübergang Kuźnica gebracht“, teilte das polnische Verteidigungsministerium mit. Polen bereite sich angesichts erwarteter Versuche von Grenzdurchbrüchen „auf jegliches Szenario“ vor. Videos nach zu urteilen, die auf der belarussischen Seite aufgenommenen wurden, bauten die Flüchtlinge Zelte auf und entzündeten Feuer, griffen aber keine polnischen Grenzschützer an.
Belarus hatte letzteres offensichtlich gezielt zu provozieren versucht, um die Situation pünktlich zur EU-Debatte über weitere Sanktionen eskalieren zu lassen. Schon seit einer Woche waren Flüchtlinge von Soldaten aus anderen Abschnitten des Grenzstreifens in die Nähe des Übergangs von Kuźnica eskortiert worden. Dort hatten sie seither in der Eiseskälte ausgeharrt.
Die Grupa Granica, die größte der Hilfsorganisationen auf polnischer Seite, veröffentlichte am Sonntag eine alarmierte Erklärung: Belarus habe Flugblätter unter den Festsitzenden verteilt, die den Menschen Hoffnungen auf den Weitertransport in westeuropäische Länder weckten. „Zudem erhalten wir verstörende Informationen, dass Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt wird, Gewalt gegen polnische Polizisten anzuwenden.“
Grenzzone weiter für Öffentlichkeit gesperrt
So sehr die Flüchtlingshelfer und die polnische Regierung in allen anderen Fragen auseinander liegen – diesen Punkt sahen beide Seiten ähnlich. Polens Innenministerium änderte den Text der SMS, der auf alle ausländischen Handys der Region geschickt wird: „Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen und unternehmen Sie keine Schritte gegen unseren Grenzschutz.“ Darunter war ein Link zur Webseite des polnischen Innenministeriums. Dort ist zu lesen, dass die Geschichte mit den Bussen eine „Lüge“ sei, um die Migrant:innen „zum Sturm auf die Grenze zu bewegen“. Auch das deutsche Bundesinnenministerium sah sich genötigt auf Twitter klarzustellen, dass keine Busse kommen würden.
Offenbar um die Eskalation anzufeuern, hatte die staatliche Nachrichtenagentur BelTA noch am Montagmorgen Videos verbreitet, auf denen zu sehen ist, wie Hunderte Flüchtlinge einen Zaun auf belarussischer Seite durchbrechen, um zum Grenzübergang Kuźnica vorzustoßen. Polens Regierung sprach von „belarussischen Truppen“, die sich konzentrieren würden, und einer von „Weißrussland kontrollierten Eskalation“.
Kuźnica liegt innerhalb der „Emergency Zone“ – der Zutritt für Beobachter ist verboten. Am Rande der Zone, etwa 4 Kilometer westlich des Grenzübergangs, hatten seit Sonntag Journalist:innen ausgeharrt und den regen Verkehr vom Polizei- und Militärtransportern beobachtet. Was innerhalb der Roten Zone passiert, das erfährt die Öffentlichkeit weiterhin nur aus Textnachrichten der Geflüchteten oder vom polnischen Staat. Da hilft, dass immerhin die belarussische Seite seit einigen Tagen internationaler Presse Zugang zu der Region gewährt.
Deutlich ereignisloser als jene der ausgesperrten Journalist:innen sind indes die Tage der Fahrer von an die 1.000 Lkws. Die stauen sich wegen der Schließung von Kuźnica auf mittlerweile 36 Kilometer Länge, teils in zwei Reihen, auf der Landstraße vor dem nächstgelegenen Grenzübergang Bobrowniki. Am Sonntagabend standen die Fahrer mit Warnwesten im eiskalten Nebel, um die Zeit totzuschlagen.
Mit einer solchen Wartezeit hat niemand gerechnet
Ihre Lage ist höchst prekär: „Seit drei Tagen stehe ich hier“, sagte Pawel, ein Fahrer aus der Ukraine. Zu essen kaufen könne er nur einmal am Tag etwas, am Vormittag kämen Händler mit einem Transporter. An Bushaltestellen entlang der Strecke stehen vereinzelte Dixi-Toiletten und Wasserspender, für eine solche Menge an Wartenden in keinem Fall ausreichend. Und auch ihr Diesel wird nicht ewig reichen, um die Standheizungen in Gang zu halten. Mit einer solchen Wartezeit hat hier niemand gerechnet.
Doch bis sich der Verkehr hier wieder normalisiert, wird es wohl dauern. Der polnische Grenzschutz verbreitete am Montag Luftaufnahmen von verlassenen Flüchtlingscamps in den belarussischen Wäldern. In diesen hatten die Wartenden offenbar gewohnt, bevor sie in Richtung des Grenzübergangs Kuźnica gezogen waren oder dorthin getrieben wurden. Dort sollen sich die Flüchtlinge offenbar nun erst mal einrichten.
Die Regierung gab gegenüber der Agentur AFP an, „Hilfslieferungen“ wie Zelte und Heizgeräte dorthin gebracht zu haben, „wodurch das Lager an der Grenze dauerhafter werden könnte“, so AFP. Polen wiederum warf Belarus am Montag vor, die Menschen daran zu hindern, die Grenzregion in Richtung des Landesinneren zu verlassen. Das ist allerdings schon seit August der Fall.
Lukaschenko sagte derweil am Montag, Belarus könne auch ein Angebot der Stadt München annehmen, die Flüchtlinge mit der staatlichen Airline Belavia direkt nach Deutschland zu fliegen, sollte Polen keinen „humanitären Korridor“ zur Verfügung stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe