Befristete Stellen im Familienministerium: Zeitverträge als Anti-Babypille
Das Bundesfamilienministerium stellt Wissenschaftler am liebsten befristet ein. Dabei will die Bundesregierung weg von den Zeitverträgen.
Gefragt sind gute Noten, Fremdsprachenkenntnisse und die Bereitschaft zu Dienstreisen. Eines sollten die BewerberInnen aber besser nicht haben: Kinderwunsch. Denn die ausgeschriebenen Stellen sind auf zwei Jahre befristet.
Laut Daten des Statistischen Bundesamtes hatten im vergangenen Jahr 431.895 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes Zeitverträge. Im Familienministerium ist der Anteil der befristet Beschäftigten zwischen 2004 und 2013 rasant gestiegen: von 1,2 auf 18,6 Prozent, wie eine Anfrage der Links-Fraktion im Bundestag ergab. 2013 wurden mehr als 90 Prozent aller neuen Verträge befristet abgeschlossen. Damit gehört das Familienministerium zu den Spitzenreitern unter den befristenden Bundesministerien.
Eine zeitliche Befristung von bis zu zwei Jahren ist gesetzlich gestattet, ohne dass dafür ein sachlicher Grund angegeben werden muss. Das ist aber nur zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber in den vergangenen drei Jahren kein Arbeitsverhältnis bestanden hat. In diesem Fall bedeutet das: Werden die Verträge nicht entfristet, sind die WissenschaftlerInnen für die nächsten drei darauf folgenden Jahre für den Dienst bei Bundesbehörden gesperrt und müssen sich ein anderes Arbeitsfeld suchen.
Verhütung durch Befristung
Der Personalrat im Familienministerium ist nicht begeistert. „Befristungen sind meistens eine Notlösung“, sagt Bernhard Schmidt, Chef des Hauptpersonalrats in Schwesigs Ministerium. So müssten die Ministerien bei erhöhtem Arbeitsbedarf mit befristeten Stellen aufstocken. Die Schuld dafür liege weniger bei den einzelnen Verwaltungen oder MinisterInnen, sondern beim Haushaltsgesetzgeber, der nicht genügend Planstellen bewillige. Welchen Grund die Befristung im Fall des Familienministeriums hat, ist unklar. Das Haus äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht.
Bernhard Schmidt, Personalrat
Aus politischer Sicht ist die Ausschreibung ein schlechtes Signal. Schließlich zeigt sich die Bundesregierung neuerdings verständnisvoll gegenüber NachwuchswissenschaftlerInnen. Mit der kürzlich beschlossenen Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes will sie jungen AkademikerInnen „bessere Planbarkeit und Verlässlichkeit“ ermöglichen.
Das scheint das Familienministerium dann doch nicht so ernst zu nehmen. Dabei hatte ausgerechnet Schwesig vor einem Jahr Zeitverträge für die niedrige Geburtenrate in Deutschland verantwortlich gemacht: „Befristete Jobs wirken wie die Anti-Baby-Pille.“
Wer gerne auf diese Art verhütet, muss sich beeilen: Die Bewerbungsfrist läuft am Freitag ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland