Beeinträchtigung im Bahnverkehr: „Es werden Strecken gesperrt“
Bund und Länder blockieren eine Gesetzesänderung zur Sanierung des Schienennetzes. Das kann fatale Folgen haben, sagt Verkehrsexperte Dirk Flege.
taz: Herr Flege, Deutschland will sein Schienennetz auf den Stand bringen. Im Sommer soll die Sanierung besonders belasteter Strecken beginnen. Bund und Länder streiten allerdings noch über eine Gesetzesänderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG). Steht jetzt die viel beschworene Generalsanierung auf der Kippe?
Dirk Flege: Je länger es dauert, bis sich Bundesrat und Bundestag einigen, desto mehr wackelt der Zeitplan für die Sanierung von Hochleistungskorridoren, wie der Bund sie plant. Schon Bundesregierung und Bundestag haben lange über die Novelle diskutiert. Wenn jetzt weitere Monate verstreichen, wird das Konzept Korridorsanierung im schlimmsten Fall torpediert.
Warum braucht es die Gesetzesänderung für die Sanierungen?
Bisher wird bei der Finanzierung des Schienennetzes zwischen Ersatzinvestitionen, Neu- und Ausbau sowie Instandhaltung unterschieden. Das sind drei verschiedene Finanzierungsströme, das ist zu fragmentiert. Der Bund kann nur Geld in die Bahninfrastruktur stecken, wenn etwas ersetzt oder neu gebaut wird. An der Instandhaltung kann er sich bisher nicht beteiligen. Wenn man groß angelegt Hochleistungskorridore sanieren möchte, muss man die Finanzierung als Ganzes angehen.
Dirk Flege, 58, ist Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. Dort sind unter anderem Umweltverbände und Verkehrsunternehmen vertreten.
Das müsste doch im Interesse der Länder sein. Warum haben sie das BSWAG in seiner aktuellen Form in den Vermittlungsausschuss geschickt?
Die Novelle, die der Bundestag beschlossen hat, finden erst mal alle gut. Die Länder, aber auch viele Vertreterinnen und Vertreter der Eisenbahnbranche wünschen sich aber noch mehr als das. Bislang ist es so, dass sich der Bund nicht verantwortlich fühlt für die Finanzierung von Bahnhofsgebäuden. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Deutsche Bahn so viele davon verkauft hat und so viele in so einem erbärmlichen Zustand sind. Die Bundesländer sind der Auffassung, dass Bahnhofsgebäude in die Finanzierungsverantwortung des Bundes gehören.
Wenn eine Schienenstrecke saniert und dafür komplett gesperrt wird, braucht es einen Schienenersatzverkehr. Die Länder fordern auch, dass der Bund hierfür Geld gibt.
Das ist eine im Grundsatz richtige Forderung, die sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr gilt. Bei dem, was in den nächsten Jahren vor uns liegt, reicht kein normales Baustellenmanagement. Sondern hier werden über Monate stark frequentierte Strecken gesperrt. Gerade für den Schienengüterverkehr sind damit extrem weiträumige Umleitungen verbunden. Das ist natürlich teuer, bringt Nachteile im direkten Wettbewerb mit dem Lkw und darf nicht dazu führen, dass auf Dauer Transporte von der Schiene auf den Lkw verlagert werden.
Und im Personenverkehr?
Auch da erwartet uns mehr als der normale Schienenersatzverkehr mit Bussen. Monatelang werden Hunderte Busse gebraucht. Das kostet Geld, und damit kann man die Länder nicht alleine lassen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing argumentiert, dass die Länder Geld sparen, wenn in diesen Monaten Nahverkehrszüge wegfallen. Und dass sie deshalb genug finanzielle Ressourcen haben, den Schienenersatzverkehr zu bezahlen. Meines Erachtens ist das eine verkürzte Argumentation.
Als der Verkehrsausschuss und der Haushaltsausschuss im Bundestag über Monate hinweg um die Novelle gerungen haben, war auch der Schienenersatzverkehr Thema. Mehr als die Reform in ihrer aktuellen Version war offenbar nicht drin. Sollten die Länder sie nicht lieber durchwinken, damit der Schienenausbau überhaupt in die Gänge kommt?
Das war in der Tat alles schon monatelang Zankapfel zwischen den Ampelfraktionen: der Schienenersatzverkehr, die Finanzierung der Bahnhofsgebäude oder auch die Digitalisierung des Zugverkehrs. Wie gesagt, die inhaltliche Kritik der Länder finde ich richtig. Jetzt müssen aber alle zusammen, der Bund, die Länder und die Eisenbahnbranche, dafür Sorge tragen, dass sich die Diskussion nicht ins Unendliche zieht. Eine nicht ganz perfekte Gesetzesänderung ist besser als gar keine Gesetzesänderung. Bund und Länder müssen sich schnell einigen. Am besten vor der Sommerpause, damit sich auch Güterbahnen und der Personennahverkehr auf die Belastungen durch die großen Sanierungsprojekte einstellen können.
Das Geld für die Sanierung der Riedbahn, den ersten Teil der Generalsanierung, hat die Deutsche Bahn vorgestreckt. Bleibt die Bahn auf den Kosten sitzen, wenn sich Bund und Länder nicht einigen?
Für dieses Jahr haben der Bund und die Bahn Regelungen gefunden. Zum Beispiel hat die Bundesregierung das Eigenkapital der DB erhöht. Ich glaube nicht, dass die Bahn dann auf den Kosten sitzen bleibt. Aber für 2025 wurde auf jeden Fall noch keine Vorsorge getroffen. Ohne die Gesetzesänderung ist das nicht möglich. Die Sanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim kann wie geplant weiterlaufen, selbst wenn das Gesetz erst zum Ende des Jahres geändert würde.
Gibt es wirklich keine Alternative für die Generalsanierung ab 2025, falls das BSWAG nicht durchkommt?
Wenn das Gesetz nicht durchkommt, wäre das Konzept Korridorsanierung mausetot. Eine andere Lösung für die Schienensanierung liegt einfach nicht auf dem Tisch. Dann müsste man das Netz weiter so sanieren wie bislang. Wenn der Bahnsteig gerade erneuert ist, muss man drei Monate später dieselbe Strecke sperren, weil die Oberleitung repariert werden muss. Vier Monate später wird der Schotter gewechselt. Das war die bisherige Praxis. Kürzere Sperrungen, Bauarbeiten unter dem rollenden Rad, dafür immer wieder Instabilität im Schienensystem. Das hat zu dem Zustand geführt, den alle beklagen: ein völlig marodes Schienennetz, unterfinanziert und völlig überbürokratisiert, jede Menge verschiedene Zuständigkeiten und Finanzierungstöpfe. Deshalb haben sich Bund und Branche ja für die Sanierung der Hochleistungskorridore, diese Radikalkur, entschieden. Das wird wirklich eine harte Herausforderung. Aber eine bessere Alternative hat niemand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen