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Bedrohter Kulturhof in Berlin-MitteAbriss um jeden Preis

In Mitte hat der Teilabriss des Kulturhofs „Kolonie10“ begonnen. Die rechtliche Grundlage lieferte ein umstrittenes Gutachten des Nabu-Vorsitzenden.

Bagger schaffen Fakten in der Koloniestraße 10 Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Die alte Werkstatt, ein ehemaliger Büroraum und drei Garagen liegen bereits in Trümmern. Vor einem Bauzaun, der sich durch den schmalen, rund 100 Meter langen Innenhof der Koloniestraße 10 im Wedding zieht, steht eine Mieterin und ist fassungslos. „Der Eigentümer schafft Fakten zu Lasten der Bewohner des Kiezes, der Geschichte des Ortes und der Natur“, sagt die 37-Jährige, die nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen will.

Seit Anfang Januar finden auf dem Grundstück der Koloniestraße 10 in Mitte Abrissarbeiten statt. Der bayerische Immobilieninvestor Romeo Uhlmann will auf dem im Jahr 1860 erbauten Gründerzeithof seit Jahren Mikroapartments errichten. Doch der Bezirk Mitte untersagte den Rückbau bestehender Gebäude bislang aus Gründen des Milieu- und Artenschutzes.

Für einen Teil der Garagen hat der Bezirk nun Abrissgenehmigungen erteilt. Ausgenommen seien jedoch Gebäude, die Haustechnik enthalten oder an denen geschützten Vögel nisten, so eine Sprecherin des Bezirksamtes zur taz. Auch die historischen Remisen, die als Wohnraum genutzt werden, stehen unter Milieuschutz und dürfen nicht abgerissen werden. Dagegen hatte der Investor in den vergangenen Jahren mehrfach erfolglos geklagt. Unter den aktuellen Gegebenheiten sei eine Realisierung des Bauvorhabens daher nicht realistisch, so das Bezirksamt.

Investor soll nicht vor Gewalt zurückschrecken

Dass die von Uhlmann beauftragte Baufirma dennoch mit dem Teilabriss begonnen hat, sorgt für große Aufregung. Schließlich handelt es sich bei dem Hof, der im Sommer zu einer kleinen grünen Oase erblüht, um ein kulturelles Projekt. In den vergangenen Jahren fanden hier noch zahlreiche Veranstaltungen statt: ein Tanzfestival, ein Sportfest, der jährliche Panke Parcours, ein Suppenfestival und immer wieder Flohmärkte.

Davon bliebe nach der Verwertung des Grundstücks nichts mehr übrig, glaubt die Nachbarin. Zumal der Investor bei der Durchsetzung seiner Ziele auch auf Entmietungsstrategien setze und sogar vor Gewalt nicht zurückschrecke. Erst vergangene Woche habe er die Heizungen im Vorderhaus abgedreht; die Bewohner von sechs Wohnungen hätten daraufhin tagelang im Kalten verbringen müssen, berichtet die Mieterin.

Am Freitag soll es dann zu Handgreiflichkeiten gekommen sein: Laut Berliner Zeitung hat Uhlmann einen freiberuflichen Kameramann, der gerade das Grundstück filmte, auf den Boden geschubst und dessen Kamera entwendet. Wie die Berliner Polizei der taz bestätigte, gingen daraufhin drei Anzeigen bei der Polizei ein. Demnach hat der Kameramann Uhlmann wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung angezeigt. Der Eigentümer wiederum habe wegen Hausfriedensbruchs Anzeige gegen den Kameramann erstattet. Auf eine taz-Anfrage reagierte der Eigentümer bis Redaktionsschluss nicht.

Die Nachbarin glaubt, dass sich der Investor an keine Regeln mehr gebunden fühlt. Dafür macht sie auch den Bezirk verantwortlich. Dieser hätte dessen „aggressives Vorgehen“ mit mehr Ehrgeiz verhindern müssen.

Nistplätze von Ringeltauben und Amseln zerstört

Eine Sprecherin des Bezirksamts rechtfertigt die teilweise Abrissgenehmigung damit, dass die betroffenen Gebäude nicht als Brut- oder Ruhestätten wildlebender Tiere dienten. Verstöße gegen Auflagen, insbesondere in Bezug auf den Artenschutz an den geschützten Gebäuden, habe man bislang nicht festgestellt.

Angela Laich von den Berliner Naturfreunden widerspricht dieser Darstellung: So seien Nistplätze von Ringeltauben und Amseln zerstört worden, obwohl diese Vögel ganzjährig geschützt sind. Außerdem fehle eine vollständige und sorgfältige Untersuchung der Fledermausquartiere, deren Lebensräume durch den Abriss beschädigt worden seien, so die ehrenamtliche Vogelschützerin.

Das Gelände der Koloniestraße 10 hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem urbanen Biotop entwickelt, das zahlreichen Tierarten Lebensraum bietet. Unter anderem hat sich eine Kolonie Haussperlinge angesiedelt, die dort ihre Nistplätze gefunden haben. Fledermäuse nutzen das Areal als Ruhe- und Schlafplatz.

Auch die Bewohner der Koloniestraße 10 kritisieren die aus ihrer Sicht investorenfreundliche Haltung des Bezirksamtes. Laut Patrick (Name geändert), seit 14 Jahren Mieter, sollen die Abrissarbeiten Heizungsprobleme in den Wohnungen verursacht haben, da die Gebäude noch ans Heizungssystem angeschlossen waren. Für ihn ist das Vorgehen des Investors klar rechtswidrig.

Nabu-Vorsitzende gab grünes Licht

In der Kritik steht auch der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Berlin, Rainer Altenkamp. Der erstellte im Auftrag von Uhlmann ein artenschutzfachliches Gutachten, das grünes Licht für den Teilabriss gab. Das Bezirksamt Mitte folgte dem Gutachten zwar nur in Teilen und lehnte eine Ausnahmegenehmigung für den Abriss der von Haussperlingen genutzten Vegetation ab. Dennoch wirft Altenkamps Gutachten methodische und artenschutzrechtliche Fragen auf.

„Für jedes Gutachten gelten Standards, die hier nicht eingehalten wurden“, sagt Caroline Seige von der AG Artenschutz der Naturfreunde Berlin der taz. „Dazu gehört, dass die Erfassung von Tierarten während der Vegetationsperiode erfolgt und nicht in der kalten Jahreszeit, wie im Fall der Koloniestraße 10.“ Außerdem müsse der Ausgleich für die betroffenen Tierarten bereits vor den Eingriffen sichergestellt sein. Doch Altenkamp habe seit inzwischen fünf Jahren keine stichhaltigen Ausgleichsvorschläge vorgelegt.

Altenkamp, der das Gutachten nach eigenen Angaben privat und nicht in seiner Funktion als Vorsitzender des Nabu erstellt hat, erklärt auf taz-Anfrage, dass die Erfassung dauerhaft nutzbarer Lebensstätten nicht an die Brutzeit gebunden sei. Auch sei die Ausgleichskonzeption für den Wegfall solcher Lebensstätten Teil des Gutachtens gewesen und seitdem umfangreich ergänzt worden. Den Untersuchungsgegenstand sowie den Umfang der Untersuchung habe die zuständige Untere Naturschutzbehörde des Bezirks festgelegt.

Gutachten zurückgewiesen

Doch auch die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN), der alle großen Naturschutzorganisationen Berlins angehören, hat das Gutachten als methodisch ungeeignet zurückgewiesen. In einer rund 40-seitigen Stellungnahme kritisiert die BLN, dass die Erfassung der betroffenen Vogelarten unzureichend und die von Altenkamp vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen auf einem fremden Grundstück nicht zulässig sei.

Die Kritik an der Gutachterpraxis bei Bauvorhaben in der Hauptstadt ist indes nicht neu: Immer wieder wird über unzureichende Erhebungen und fehlende Ausgleichsmaßnahmen für bedrohte Tierarten berichtet, die auch von Nabu Berlin nahestehenden Gutachtern erstellt wurden. Die meist privat tätigen Gutachter werden direkt von den Bauherren beauftragt – eine gewisse Abhängigkeit von den Geldgebern liegt nahe: Wer zu kritisch prüft, könnte künftig bei weiteren Gutachten übergangen werden.

Berühmte Beispiele sind Großprojekte wie das Dragoner­areal, das Postscheckamt und der Grüne Kiez Pankow. Teilweise wurden die durch solche Gutachten legitimierten Bauvorhaben sogar gerichtlich gestoppt, wie zuletzt im Fall des Jahnsportparks in Pankow. Das Berliner Verwaltungsgericht stellte im November vergangenen Jahres fest, dass die Umwelt- und Naturschutzbestimmungen beim Abriss des Stadions nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Im Fall der Koloniestraße 10 wurde bislang keine Klage eingereicht. Der langjährige Mieter Patrick ist der Auffassung, dass es Aufgabe von Politik und Verwaltung ist, solchen Fällen vorzubeugen. Es dürfe nicht noch einmal passieren, dass ein Investor auf Grundlage eines fragwürdigen Gutachtens Fakten schafft. Dies zu verhindern sei die Politik den Bewohnern der Stadt und der Natur schuldig.

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