Bedingungsloses Grundeinkommen: „Die Menschen arbeiten mehr“
Der Verein Mein Grundeinkommen verlost seit 2014 bedingungslose 1.000 Euro. „Wir sind da, solange der Staat untätig ist“, sagt Michael Bohmeyer.
taz: Herr Bohmeyer, was halten Sie von der Berliner Volksentscheid-Initiative, die einen staatlich finanzierten Modellversuch für ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert?
Michael Bohmeyer: Ich freue mich darüber. Es ist gut, wenn das Thema Grundeinkommen breit und öffentlichkeitswirksam diskutiert wird. Ein staatlich finanzierter Modellversuch würde sicher auch nochmal größer ausfallen als die wissenschaftlichen Studien, die wir finanzieren können. Und Fakten sind wichtig bei diesem Thema, das ja schnell zu einer Glaubensfrage gemacht wird: Manche sehen im Grundeinkommen die Rettung des Abendlands, andere seinen Untergang.
Ihr Verein Mein Grundeinkommen verlost schon seit 2014 regelmäßig Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro, allerdings mit einem Crowdfunding-Ansatz – also auf Basis privater Spenden. Wenn der Staat zahlen soll, wären Sie ja überflüssig.
Michael Bohmeyer ist Initiator von Mein Grundeinkommen. Der Verein kooperiert unter anderem mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Seit 2014 hat der Verein 1.120 Grundeinkommen in Höhe von 1.000 verlost. Die nächste Verlosung ist am 25. Mai. Jede*r kann sich registrieren: www.mein-grundeinkommen.de
Über kurz oder lang ist das auch unser Ziel: uns überflüssig zu machen. Wir sind da, solange der Staat noch untätig ist.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse konnten Sie denn bisher gewinnen – stimmt zum Beispiel die Annahme, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Menschen faul macht?
Im Gegenteil, wir haben eher die Erfahrung gemacht: Diese Menschen wechseln eher in Jobs, die viel besser zu ihnen passen, die sie motivieren. Das trifft vor allem für die Mittelschicht in durchschnittlich bezahlten Jobs zu: Die Motivation steigt, sie arbeiten mehr, gerade weil die Arbeit ein Stück entkoppelt wird vom Lohn. Da schlummert auch volkswirtschaftlich noch ein Wachstumspotenzial. Letztlich geht es um Souveränität, die man gewinnt, wenn man sich weniger erpressbar macht von Lohnabhängigkeiten.
Sie meinen, dieses Gefühl von Souveränität motiviert den Einzelnen im besten Fall, der Gesellschaft etwas zurückzugeben?
Das legen weltweit Studien nahe und das haben wir auch häufig von unseren 1.100 Personen gehört, denen wir in den letzten acht Jahren ein einjähriges Grundeinkommen ausgezahlt haben. Diese Menschen engagieren sich eher fürs Gemeinwohl, sie kreisen weniger um sich selbst und haben mehr Ressourcen für ein ökologisch bewussteres Leben. Derzeit überprüfen wir diese Erkenntnisse in einem Pilotprojekt zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, bei dem 122 Personen mit einem Nettoeinkommen zwischen 1.200 und 2.600 Euro drei Jahre lang 1.200 Euro erhalten. Nächstes Jahr wissen wir dann wissenschaftlich fundiert, welche Wirkung dieses bedingungslos gezahlte Geld auf das Verhalten des Individuums hat – und was das für unsere Gesellschaft bedeuten würde.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle müssten auch letztlich alle gemeinsam bezahlen, oder?
Ja, alle müssten höhere Steuern zahlen. Auch dazu planen wir ab 2023 eine Studie, wir wollen diese Neuverteilung von Einkommen simulieren.
Was heißt das genau?
Wir sind noch in der Konzeptphase – voraussichtlich geht es aber um rund 1.800 Menschen, denen wir 3,5 Jahre ein bedingungsloses Grundeinkommen überweisen. Gleichzeitig simulieren wir einen Steuersatz, der das finanzieren kann. Das Forschungsinteresse ist also: Wie hoch müsste ein optimales Grundeinkommen sein, um die bestmöglichsten Effekte auf den Einzelnen zu haben und dabei gleichzeitig finanziell tragbar zu sein für die Allgemeinheit?
Die Berliner Initiative schlägt minimum 1.200 Euro vor. Müsste man das angesichts der Inflation gerade und der absehbar noch steigenden Preise für Nahrungsmittel und Energie nicht gleich höher ansetzen?
Ich glaube, es ist wichtig, dass man irgendwo anfängt. Erhöhen kann man immer noch. Es geht ja auch nicht um ein Leben in Saus und Braus, sondern um ein würdevolles Existenzrecht.
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